Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling

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Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke - Eduard von  Keyserling


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sa­ßen Frau­en ohne Hut und strick­ten. In lan­gen Rei­hen zo­gen die Gym­na­sias­ten, Arm in Arm, die Gas­se ent­lang. Über all dem stand ein blass­blau­er Him­mel von schma­len, ro­sen­ro­ten Wol­ken durch­zo­gen. – Leicht und fröh­lich ging Rosa da­hin. Sie grüß­te die Vor­über­ge­hen­den mit ver­bind­li­chem Kopf­ni­cken und lä­chel­te da­bei ihr stets be­rei­tes, aus­ge­las­se­nes Lä­cheln. Das Ge­fühl, dass der Som­mer­abend auch ihr, wie al­lem rings um sie, gut ließ, stimm­te sie hei­ter.

      »Ich habe die Ehre!« Klappe­kahl war es. Er zog vor Rosa sei­nen ho­hen Stroh­hut und blieb ste­hen. »Schö­nes Wet­ter! Wie geht es dem Papa?« Ein sü­ßes Lä­cheln, das er ganz be­son­ders für Da­men be­reit­hielt, um­spiel­te sei­nen lan­gen Mund. Er trug einen wei­ßen Som­mer­an­zug, eine rote Nel­ke im Knopf­loch und ein Stöck­chen, mit dem er nach­läs­sig an sei­ne Bei­ne schlug.

      »Ich dan­ke«, er­wi­der­te Rosa, »ich ließ ihn beim Nach­mit­tags­schlaf.«

      »So, so! Und die Toch­ter treibt sich der­weil ein we­nig her­um. Ha – ha – jun­ges Blut. Sie wer­den aber mit je­dem Tage hüb­scher, Ro­set­te.« Ne­ckend leg­te er sei­ne Hand auf den Arm des Mäd­chens. »Ohne Scherz! Ich sag­te noch ges­tern zu mei­ner Toch­ter: ›Ro­set­te Herz ist zu hübsch für un­ser Nest; die ge­hört in eine Welt­stadt.‹ Auf Ehre, das sag­te ich.« Rosa er­rö­te­te und mein­te, sie käme gern in eine große Stadt. Der Apo­the­ker glaub­te das wohl; er nick­te, drück­te Rosa die Hand und ging wei­ter, um zwei Schrit­te da­von den Dr. Hol­te an­zu­hal­ten und mit dem Kop­fe nach Rosa hin­deu­tend zu sa­gen: »Ein hüb­sches Mäd­chen, Dok­tor, was? Aber ko­kett, ich sage Ih­nen, wenn die in eine große Stadt kommt – ich ste­he für nichts! Gu­ten Abend, Dok­tor!«

      Vor Stei­nings Kon­di­to­rei saß Her­weg mit ei­ni­gen Ka­me­ra­den, sorg­sam hin­ter ma­ge­ren Ole­an­der­bü­schen ver­bor­gen. Als er Rosa er­blick­te, grüß­te er, und sie nick­te ernst zum grü­nen Laub­git­ter hin­ein. Kaum aber war sie wei­ter­ge­gan­gen, als sie Her­wegs schwe­ren Schritt hin­ter sich ver­nahm. Sie wuss­te, so muss­te es sein; so war es je­den Abend. Treu­lich folg­te er ihr lan­ge Stun­den, zu­wei­len eine Schwen­kung ma­chend, um ihr zu be­geg­nen und sie im­mer wie­der zu grü­ßen. Das war der Aus­druck sei­ner Lie­be.

      Am mor­schen Ge­län­der des Flus­sufers mach­te Rosa Halt. Her­weg kam her­an und lehn­te ne­ben ihr. Ein ste­tes Ge­mur­mel sand­te der Fluss em­por. Im Stru­del, den das Was­ser hier bil­de­te, schwam­men be­weg­li­che Licht­fet­zen. Ein fla­ches, gel­bes Land dehn­te sich auf dem ent­ge­gen­ge­setz­ten Ufer aus. Gro­ße Sand­gru­ben la­gen voll ro­ten Lich­tes, und hin­ter der Wel­len­li­nie der nied­ri­gen Sand­hü­gel ging die Son­ne groß und rot un­ter.

      »Das ist schön, Rosa, nicht?« rief Her­weg und deu­te­te zur Son­ne hin­über. Rosa nick­te, die Bli­cke nach­denk­lich in den Glanz ver­lo­ren. »Schau­en Sie dort das Feld!« fuhr Her­weg fort. »Es ist ganz rot. So rot habe ich’s noch nie ge­se­hen.«

      In der Tat! Ein grel­les Pur­pur­licht ba­de­te das Land. Es schi­en zu be­ben und zu fla­ckern. Dann ward es blas­ser und er­losch. Die Son­ne war hin­ter den Hü­geln ver­schwun­den. Ein mil­de­res Schei­nen klomm den Him­mel hin­an, ein blas­ses, ge­wäs­ser­tes Gold, wie an al­ten Meß­ge­wän­dern. Eine Schar win­zi­ger Wölk­chen flat­ter­te in ei­nem fast wei­ßen Him­mel, vie­le ro­si­ge Schlei­er, klei­ne Flü­gel, eine Schar aus­ge­las­se­ner Che­ru­bim. Wei­ter oben schi­en der Him­mel un­er­meß­lich hoch und veil­chen­blau. Schwei­gend stan­den die bei­den Kin­der vor die­sem Far­ben­wun­der. »Rosa«, frag­te Her­weg end­lich lei­se, in sei­nen gu­ten Au­gen stand ein wei­cher, zärt­li­cher Glanz. »Rosa! Wa­rum sa­gen Sie nichts? Ge­fällt es Ih­nen nicht?«

      »Doch«, mein­te Rosa ernst.

      »Nicht wahr?« be­gann Her­weg wie­der und griff nach Ro­sas Hand, »so et­was… Sie wis­sen, Rosa, wenn ich so et­was sehe, bin ich wie be­k­neipt!«

      »Las­sen Sie, Koll­hardt«, sag­te Rosa; dann setz­te sie ver­stän­dig hin­zu: »Es war sehr poe­tisch.«

      Her­weg emp­fand das wohl. Er küss­te Ro­sas Hand, als hät­te sie das Schau­spiel ge­schaf­fen, und flüs­ter­te: »Rosa! Ich bin Ih­nen wirk­lich gut.« Rosa muss­te er­rö­ten, und es trieb sie nach Hau­se.

      Im Wohn­zim­mer war noch im­mer die be­drücken­de Glut der Mit­tags­stun­den ein­ge­schlos­sen. Rosa öff­ne­te das Fens­ter und lehn­te sich hin­aus, um in das lang­sa­me Herab­däm­mern auf die Häu­ser­gie­bel hin­ein­zu­ge­hen. Sie fühl­te sich er­regt, er­war­tungs­voll und den­noch miss­ge­launt. Er war schön ge­we­sen, der große, leuch­ten­de Abend­him­mel, das selt­sam stil­le Ver­glü­hen. Ge­wiss, sehr schön! Und doch – was war es? Soll­te sie das glück­lich ma­chen? Konn­te das et­was an der Nüch­tern­heit ih­res Le­bens än­dern? Son­nen­un­ter­gang – Gott ja, sehr gut; aber wenn sie es recht be­dach­te, füg­te er nichts zum Le­ben hin­zu. – Her­weg hat­te ihr ge­fal­len, der gute Jun­ge! Wie er sie an­ge­blickt, wie stür­misch er ihr die Hand ge­küsst hat­te: »Rosa, ich bin Ih­nen wirk­lich gut«, das klang rüh­rend.

      Die Stra­ße un­ten war schon ganz in das Hell­dun­kel der Som­mer­nacht gehüllt. Ve­rein­zel­te Spa­zier­gän­ger schrit­ten lang­sam über das Pflas­ter, den Hut in der Hand, ein Lied träl­lernd oder eine Wei­se vor sich hin­pfei­fend. Wa­ren es zwei oder mehr, so klan­gen ab­ge­ris­se­ne Un­ter­hal­tun­gen zu Rosa em­por – über das Wet­ter – Bruch­tei­le ei­ner Er­zäh­lung. ru­hi­ge, gleich­mä­ßig be­rich­ten­de Stim­men. Aus den ge­öff­ne­ten Fens­tern schol­len Lau­te: ein Schel­ten – La­chen – Gäh­nen – Teller­ge­klap­per – ein ver­nehm­li­ches »Gute Nacht«.

      Das gan­ze in­ners­te Haus­le­ben drang in die Som­mer­nacht hin­aus und ließ sich un­ter dem Stern­him­mel eben­so be­hag­lich ge­hen wie un­ter der nied­ri­gen Zim­mer­de­cke. Hin und wie­der ra­schel­te ein nie­der­fal­len­der Tau­trop­fen im Laub, und die feuch­ten Blät­ter be­gan­nen stark und wohl­tu­end zu duf­ten.

      Wei­ter die Stra­ße hin­ab, vor der Kir­che, tra­ten die Bäu­me dich­ter zu­sam­men, und un­ter ih­ren Äs­ten war es ganz fins­ter, den­noch ver­moch­te Rosa von ih­rem Fens­ter aus hie und da ein wei­ßes Mäd­chen­kleid zu er­spä­hen, oder eine bren­nen­de Zi­gar­re leuch­te­te wie ein ro­ter Stern. Hel­les Mäd­chen­la­chen er­scholl, hohe aus­ge­las­se­ne No­ten in die Stil­le ru­fend. So man­che Dienst­magd moch­te sich dort mit ih­rem Schatz der lau­en Nacht freu­en. Rosa nahm In­ter­es­se dar­an. Jene Bäu­me schie­nen et­was Ge­heim­nis­vol­les, Sü­ßes und Lus­ti­ges zu ber­gen, et­was, das sie in ihr ar­mes Le­ben her­über­wünsch­te, et­was von je­nem Ge­fühl­vol­len, das der schö­ne Abend sie er­seh­nen ließ. Ach Gott, ja – et­was…

      Im Ne­ben­zim­mer reg­te es sich. Das war Ag­nes Stock­mai­er. Sie wird so­gleich in das Zim­mer tre­ten und die Lam­pe brin­gen. Die Lam­pe mit ih­rem blau und wei­ßen Por­zel­lan­fuß wird, wie je­den Abend, dort auf der ro­ten Tisch­de­cke ste­hen und ih­ren gel­ben Licht­kreis auf die Zim­mer­de­cke wer­fen. Ja, und der Va­ter wird heim­kom­men und von Klappe­kahl, La­nin und dem Dok­tor er­zäh­len; und sie, Rosa, wird ver­stimmt und un­freund­lich ge­gen ih­ren Va­ter sein – und wie­der ist ein Tag ih­res Le­bens ver­lo­ren. Das muss­te ge­än­dert wer­den! – Gut, mor­gen woll­te sie Her­weg sa­gen, er sol­le sie un­ten am Fluss um neun Uhr abends er­war­ten. Ein


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