Deutsche Charaktere und Begebenheiten. Jakob Wassermann
Читать онлайн книгу.»Ihr seid eurem Fürsten, meinem Vetter, so getreu gewesen, das will ich euch ewig im guten gedenken.«
Von Wittenberg aus zog der Kaiser gegen den Landgrafen von Hessen. Der war schon längst kleinmütig geworden, und als er das Schicksal Johann Friedrichs erfuhr, begann er mit Karl zu unterhandeln. Der Kaiser forderte, daß er sich auf Gnade und Ungnade ergeben, hundertfünfzigtausend Goldgulden Buße zahlen, seine Festungen schleifen und seine Kanonen ausliefern solle. Dagegen wurde ihm schriftlich versichert, daß er Land und Leben behalten, auch mit »einigem« Gefängnis verschont werden würde. Die beiden Vermittler, Joachim von Brandenburg und Moritz von Sachsen, verbürgten sich in dieser Verschreibung mit ihrem Ehrenwort gegen den Landgrafen. Im Vertrauen auf die Kurfürsten nahm der Landgraf die Bedingungen an. Moritzens Gemahlin, die Tochter des Landgrafen, tat vor dem Kaiser einen Fußfall für ihren Vater. Der Kaiser war zu keiner andern Erklärung zu vermögen, als daß der Landgraf sich auf Gnade oder Ungnade zu ergeben habe. Nun kam der Landgraf nach Halle; er speiste mit den beiden Kurfürsten zu Abend; am andern Morgen nahmen die drei Herren ihr Frühstück bei Granvella, und hier unterzeichneten sie das verhängnisvolle Schriftstück, in welchem, ohne daß sie es merkten, der Ausdruck »einiges« Gefängnis verändert war in »ewiges« Gefängnis. Am Nachmittag fand die Abbitte vor dem Kaiser statt. Der Kaiser saß auf dem Thron unter einem vergoldeten Himmel, umgeben von seinen spanischen, italienischen, niederländischen und deutschen Großen. Der Landgraf Philipp kniete in schwarzsamtenem Kleid mit roter Binde kleinmütig und traurig auf dem Teppich vor dem Throne, und hinter ihm las sein getreuer Kanzler Tielemann von Günterode die Abbitte vor. Er las mit kläglichen Gebärden und in kläglichem Ton; auf dem Gesicht des Landgrafen zeigte sich ein Lächeln; es war vielleicht die unbewußte Hilfe seiner leichten Natur gegen das Gefühl der Schmach. Aber der gravitätische Kaiser hob langsam den Finger auf und sagte in seiner brabantischen Mundart: »Wart, ik wöll dir laken lehr.« Nachdem der Reichsvizekanzler die Antwort des Kaisers verlesen, Günterode sich dann höflich bedankt hatte, erwartete der Landgraf des Kaisers Wink, um sich zu erheben. Dieser Wink erfolgte nicht. Nun stand der Landgraf von selber auf und wollte dem Kaiser die Hand reichen. Die kaiserliche Majestät jedoch sah sauer und hielt ihre Hand zurück. Dafür ergriff Alba die Hand des Landgrafen und lud ihn und die andern Fürsten zum Nachtmahl bei sich ein. Alba hatte sein Losament im Schloß. Als die Tafel aufgehoben war, spielte der Landgraf Brett mit einem der sächsischen Räte, es war zehn Uhr vorüber; da kündigte ihm Alba auf einmal an, daß er sein Gefangener sei. Zugleich traten hundert spanische Arkebusiere in den Saal. Die beiden Kurfürsten, die sich für die Freiheit des Landgrafen verbürgt hatten, waren außer sich; Joachim von Brandenburg rief, das sei ein Bösewichtsstück, zog den Degen, um Alba den Schädel zu zerspalten, Moritz aber zeigte sich tief betroffen und blieb bei seinem Schwiegervater die ganze Nacht hindurch. Er versicherte ihm, daß da ein Mißverständnis vorliegen müsse, und er werde mit dem Kaiser sprechen. Dies geschah. Der Kaiser sagte, daß sich ihm der Landgraf auf Gnade und Ungnade ergeben habe; es sei weder Rede noch Schrift davon gewesen, daß man ihn mit »einiger« Gefangenschaft verschonen wolle, nur mit »ewiger« Gefangenschaft habe man ihn verschonen wollen. Und so fand sich auch die Fassung in der Notel, die die Kurfürsten am Morgen unterschrieben hatten, ohne sie näher zu besehen.
Diese spanische Arglist brachte eine große Wandlung in dem Herzen Moritzens hervor. Er sah jetzt wohl, daß der Kaiser Karl darauf ausging, Deutschland spanisch zu machen, aus dem von Schatzungen und fremdem Kriegsvolk erdrückten Reich alles Wasser auf eine Mühle zu leiten, und da erwachte in ihm der Deutsche. Ohne seinen kühn verborgenen und kühn ausgeführten Widerstand wäre die spätere freie Entwicklung Norddeutschlands unmöglich gewesen, und wenn heute nicht ganz Deutschland ein österreichisches Gesicht zeigt, so ist es vielleicht im letzten Grunde der Verwechslung jener Wörtchen »einig« und »ewig« zu danken.
Zunächst freilich mußte Moritz warten. Einerseits fürchtete er, der Kaiser könne seine Drohung wahr machen und den Landgrafen nach Spanien schicken. Anderseits mußte er gewärtigen, daß der allerdurchlauchtigste, großmächtigste und unüberwindlichste Kaiser, welchen Titel Karl jetzt mit einer furchtbaren Realität führte, dem Kurfürsten Johann Friedrich wieder die Freiheit schenke, wodurch im Lande selbst Hader und Krieg ausbrechen mußte. Er war jetzt in der Schlinge. Die Rache mußte aufgeschoben werden.
Er suchte von nun ab sein Heil in der Verstellung. Gerade weil er sich zumeist sehr offen und rücksichtslos auszusprechen pflegte, konnte niemand auf die Vermutung kommen, daß hinter dieser Derbheit eine Berechnung verborgen sei. Als auf dem Reichstag zu Augsburg sich ein protestantischer Fürst an den kaiserlichen Tisch setzen wollte, rief er: »Hier ist kein Platz für Ketzer.« Selbst der undurchdringliche Kaiser Karl konnte sich bisweilen verraten; er hatte sich in Regensburg durch ein Lächeln verraten, als ihm die Protestanten ihre Schrift gegen das Tridentiner Konzil überreichten. Moritz verriet sich niemals. Er pflegte zu sagen: »Wenn ich wüßte, daß mein eigenes Hemd, das mir zunächst am Leibe liegt, meine Gedanken kennte, ich würde es austun und verbrennen.« Kein Mensch in Deutschland, keiner von seinen Freunden und Vertrauten erfuhr etwas von dem, was er im Schilde führte. Er täuschte den Kaiser, der ihn einmal getäuscht hatte, so sicher und vollkommen, daß das Stück, das er vor dem spanischen Senjor aufführte, ohne Zweifel das größte Meisterstück war, das jemals ein Deutscher zustande gebracht hat.
Seiner gewöhnlichen Lebensweise nach mußte man glauben, daß nur das Vergnügen und die Lustbarkeiten Reiz für ihn hätten. In seinem Hoflager beschäftigte ihn unausgesetzt die Wildbahn im Dresdener Forst; er liebte Trinkgelage, Ritterspiele und die Freuden der Fastnacht; ebenso suchte er an fremden Höfen und auf Reichstagen das lustige Leben, und er machte Kundschaft mit schönen Frauen. So schildert ihn Sastrow während des Augsburger Reichstages: »Herzog Moritz hatte seine Kurzweil in der Herberge eines Doktor Haus. Der hatte eine erwachsene Tochter, eine schöne Metze, hieß Jungfrau Jakobina, mit der badete er und spielte täglich Pharao mit ihr und dem wilden Markgrafen Albrecht. Sie lachte fein lieblich und freundlich zu der Fürsten Scherzen und hielten also Haus, daß der Teufel sich drüber freuen mochte und viel Sagens in der ganzen Stadt davon war.« Die Befreiung seines Schwiegervaters schien ihm nicht besonders am Herzen zu liegen. Der Landgraf, der öfter geäußert hatte, Gefängnis fürchte er weit mehr als den Tod, wurde in Donauwörth, wohin er gebracht worden war, sehr hart behandelt. Seine spanische Wache lärmte Tag und Nacht in seinem Quartier; er beklagte sich bitter, daß sie ihn auch bei Nacht visitierten, ob er nicht durch einen Ritz oder durch ein Mäuseloch entwischt sei. Einmal schrieb er an Moritz: »Wenn Euer Liebden so fleißig wären in meinen Sachen als im Bankettieren, Gastladen und Spielen, wäre meine Sach lang besser.«
Kein Wunder, daß der Kaiser glaubte, der vermöge am meisten bei Moritz, der ihm bei seinen Vergnügen Vorschub leiste. Aber der bedächtige und weitschauende Karl durchschaute den bedächtigeren und viel weiter schauenden, scheinbar so uninteressierten und doch so interessanten Moritz mit nichten. Auch die Venezianer, die größten Diplomaten der damaligen Zeit, durchschauten ihn nicht. Der Gesandte Mocenigo sagt von ihm: »Moritz hat viel Mut, aber, wie man glaubt, nicht viel Urteil, und dazu ist er ein sehr leichter Herr. Von ihm hat Karl wenig zu fürchten.«
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