Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

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Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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Sie­ben ge­gen den Mist­hau­fen, den er, wenn nicht als den sel­ben, so doch als den glei­chen an sei­nem rich­ti­gen Plat­ze hin­ter der Su­per­in­ten­den­tur we­nigs­tens mit der Nase wie­der­fand? Vor zwei Men­schen­al­tern war er nicht bloß mit der Nase, son­dern mit der gan­zen Vi­sa­ge, ganz ab­ge­se­hen da­von, was er sonst da­bei ab­krieg­te, hin­ein­ge­drückt wor­den von sei­nem Freun­de Lud­chen, und auch das war was ge­we­sen we­gen des­sen sei­ne Mut­ter sei­nen Freund nicht mit dem ge­hö­ri­gen Wohl­wol­len se­hen konn­te. Was den Va­ter an­be­traf, so hielt sich der durch meh­re­re Tage, so­wohl was Zärt­lich­keit, als was Zorn an­be­traf, mög­lichst fern von sei­nem Spröß­ling, und das Kind hör­te ihn nur von wei­tem brum­men: »Frau, der Jun­ge stinkt ja noch im­mer fürch­ter­lich! Ist denn der Ge­ruch an dem Sch­lin­gel gar nicht wie­der aus­zu­rot­ten? Krieg ihn, wie er da­steht und die Luft ver­pes­tet, doch noch mal in dei­nen Bü­ke­tub­ben!«

      Wei­ter, wei­ter so durch die bal­sa­mi­sche Nacht, Fritz Feyer­abend aus Al­ters­hau­sen! Nimm hin und ma­che die Ge­gen­wart zur Ver­gan­gen­heit und die Ver­gan­gen­heit zur Ge­gen­wart. Al­ten Men­schen, die an­stän­dig einen hei­ßen Le­bens­tag hin­ter sich ha­ben, hilft man dann und wann zu ei­nem Abend­ver­gnü­gen: die Re­gel ist es frei­lich nicht! Die Aus­nah­me, vor­züg­lich die jetzt mit dir bei die­ser dei­ner när­ri­schen Al­ters­ver­gnü­gens­fahrt ge­macht wird, be­stä­tigt wahr­haf­tig nicht die Re­gel; aber du siehst, wie wohl­wol­lend wir obers­ten Mäch­te im­mer noch ge­gen dich ge­sinnt sind: dei­nen Freund Lud­chen Bock lie­ßen wir dich wie­der­fin­den, wie du ihn hier ge­las­sen hast vor sech­zig Jah­ren. Wir sin­d’s ge­we­sen, die ihn dir zur Be­grü­ßung nach dem Bahn­hof schick­ten, – wei­ter, wei­ter hin­ein in die Nacht und den Traum vom Da­sein des Men­schen auf sei­ner Erde, al­tes när­ri­sches Men­schen­kind!…

      »Spitz, bist du denn das?« frag­te Ge­heim­rat Feyer­abend, vor der Pfor­te des Amts­ge­richts­ge­bäu­des sich nie­der­beu­gend und ei­ner feuch­ten, kal­ten Hun­de­schnau­ze die dür­re Hand zum be­freun­de­ten Be­rie­chen und Be­le­cken hin­ge­bend, und zwar mit ei­ni­ger Ver­wun­de­rung; denn sie sind sonst durch­aus nicht so, die Spit­ze. Von den Trep­pen­stu­fen des Amts­ge­richts war er, ohne zu bel­len und bis­sig an­zu­sprin­gen, her­un­ter­ge­kom­men, wie sei­ner­seits zur Be­grü­ßung des grei­sen Al­ters­hau­se­ner Kin­des, und nun er­hob sich auch sein jet­zi­ger Herr, der ge­gen­wär­ti­ge Nacht­wäch­ter der Stadt, aus sei­nem nächt­li­chen Vor­schlum­mer auf der Trep­pe des Amts­ge­richts und kam her­zu:

      »Na, was hat denn der Kö­ter? Hier­her, Boll­mann!«

      »Boll­mann?!« wie­der­hol­te der Ge­heim­rat. Hat­te nicht sein Va­ter den Na­men dem Wäch­ter des Hau­ses zum An­den­ken an einen frü­he­ren Uni­ver­si­täts­freund und noch­ma­li­gen Amts­ge­nos­sen an­ge­hängt? War der Hund wirk­lich noch der Spitz des Hau­ses Feyer­abend, oder war der Name wei­ter­ge­ge­ben wor­den, wie in Süd­west­deutsch­land der des Pfalz­ver­wüs­ters Me­lac?

      Wie dem auch sein moch­te: hat­te der Greis eben vor dem Va­ter­hau­se nur ge­stan­den und zu al­lem sei­nem Mau­er­werk und Fens­tern hin­ge­se­hen, so war er nun mit »un­serm Boll­mann« als Füh­rer drin – trepp­auf und -ab, durch Stu­ben und Kam­mern, vom Kel­ler bis zum Bo­den, durch Hof und Gar­ten, und mit dem al­ten un­ver­än­der­ten »Spitz« fehl­te nichts mehr von al­le­dem, was vor zwei Men­schen­al­tern da­ge­we­sen war!

      Aber die­se In­ven­tur der Ver­gan­gen­heit dau­er­te nur einen Au­gen­blick. Der Was­ser­krug, der vor Ma­ho­meds Bett um­fiel und sei­nen In­halt nicht ver­schüt­ten konn­te, ehe Al­lah sei­nen Pro­phe­ten durch alle sei­ne sie­ben Him­mel ge­führt und eben­falls ihm sei­nen Haus­halt vom Kel­ler bis zum Da­che ge­zeigt hat­te, kam wie­der mal zur Gel­tung.

      »Kann ich Sie wo­mit die­nen?« frag­te der jet­zi­ge Nacht­wäch­ter von Al­ters­hau­sen, den ge­gen Frem­de ihm zu ver­trau­lich er­schei­nen­den vier­fü­ßi­gen Beglei­ter durch einen ver­drieß­li­chen Stock­hieb von dem son­der­ba­ren Nacht­wand­ler weg­scheu­chend.

      »Mit ei­ni­ger Höf­lich­keit! wenn es Ih­nen nicht all­zu schwer wird«, sag­te Dok­tor Feyer­abend mit dem Tone, der auch in den er­lauch­tes­ten Won­ne­bur­gen der Mensch­heit ihm ge­hol­fen hat­te, den Ton der Un­ter­hal­tung auf das rich­ti­ge Maß zu stim­men.

      »Ich habe Ih­nen ja noch gar nichts mit Un­höf­lich­keit ge­sagt!« brumm­te der Mann, mit der Hand an der Müt­ze. »Dass Sie den Ort nicht von der Stel­le tra­gen wol­len, sehe ich auch noch bei schla­fen­der Nacht. Kann ich Sie den Weg wo­hin zei­gen, bin ich gern da­für da. Ich bin hier vom Ma­gis­trat be­stell­ter Nacht­wäch­ter, und das Viech habe ich für’s An­bel­len und nicht An­schmei­cheln bei mir. Mein Name ist Rit­ter­busch, wenn Sie sich mor­gen viel­leicht beim Herrn Bur­ge­meis­ter nach mir er­kun­di­gen wol­len. Ja, ich bin der Nacht­wäch­ter hier in Al­ters­hau­sen!«

      Dass letz­te­res auf ur­al­ter Wahr­heit be­ruh­te, hat­te das alte Al­ters­hau­se­ner Stadt­kind schon in Er­fah­rung ge­bracht; aber der Name!… Was war der Name an Trink­geld wert in die­ser Traum­nacht! Es ist ein son­der­ba­rer Ver­gleich, aber so warm er vor­hin die­se kal­te Hun­de­schnau­ze in sei­ner Hand ge­fühlt hat­te, so war­m emp­fand er nun die­sen Na­men in sei­ner See­le.

      »Rit­ter­bu­schen, ich ver­las­se mich ganz auf Sie. Wir kom­men wohl et­was spä­ter nach Hau­se; aber ich weiß ja die Kin­der gut bei Ih­nen auf­ge­ho­ben!« sag­te eine lie­be Stim­me, das Spinn­rad am Ofen hör­te auf zu schnur­ren, und die zwei Kin­der stürm­ten ge­gen die schö­ne jun­ge Mut­ter an, die mit bei­den Hän­den im lan­gen wei­ßen Hand­schuh ängst­lich den An­griff auf den Pro­vin­zi­al­glanz der Ball­toi­let­te von acht­zehn­hun­dert­neun­und­vier­zig ab­wehr­te. Amé­lie, Kö­ni­gin der Fran­zo­sen, Eli­sa­beth, Kö­ni­gin von Preu­ßen, Alex­an­dra Feo­do­row­na, al­ler Reu­ßen Za­ri­za, Anna, Kai­se­rin von Ös­ter­reich, hät­ten nicht strah­len­der und le­ben­di­ger mit Schin­ken­är­meln, Gold­rei­fen um die Stir­nen und in Kreuz­bän­der­schu­hen in die Al­ters­hau­se­ner Nacht aus den ver­schol­le­nen Mo­den­jour­na­len ih­rer Zeit hin­ein­tre­ten kön­nen!

      »Schaf­fe Sie den Jun­gen je­den­falls zur rech­ten Zeit ins Bett, Rit­ter­bu­schen, und sit­ze Sie nicht sel­ber noch bei ihm, um ihn in den Schlaf zu er­zäh­len, Groß­mut­ter Grimm«, sag­te eine an­de­re Stim­me hin­ein in – die Kin­der­stu­be des Hau­ses Feyer­abend, und der Wirk­li­che Ge­hei­me Me­di­zi­nal­rat Pro­fes­sor Dr. Feyer­abend wen­de­te sich an den Nacht­wäch­ter Rit­ter­busch vor dem Amts­ge­richt von Al­ters­hau­sen, klopf­te dem Pa­tron auf die Schul­ter und sag­te: »Schla­fen Sie ru­hig wei­ter, lie­ber Mann. Wenn ei­ner hier am Ort nicht die Ruhe zu stö­ren wünscht, so bin ich der. Die Wege hier im Orte ken­ne ich sel­ber.«

      Der Spitz, der sich all­ge­mach sei­ner ei­gens­ten Na­tur bes­ser be­son­nen zu ha­ben schi­en, boll dem al­ten Herrn gif­tigst nach; sein Herr, mit der Müt­ze in der Hand, brumm­te:

      »Na nu? Grob­hei­ten soll man sich bei nacht­schla­fen­der Zeit in sei­nem Amte von so frem­der, un­be­kann­ter Mensch­heit sa­gen las­sen? Na, komm du mir wie­der!«

      Mit ver­schlos­se­nen Ohren ging Frit­ze Feyer­abend wei­ter. Die Welt hat­te sich ihm durch Boll­manns kal­te Nase zu ei­nem Kin­der-Git­ter­bett zu­sam­men­ge­zo­gen. Drau­ßen muss­te es eben


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