Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

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Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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her­gab, was der zi­vi­li­sier­te und sen­ti­men­ta­le­re Mensch sein ›Liebs­tes‹ nennt: so war un­ser Ruf doch nicht der bes­te. Wir wa­ren nach un­sern Ver­diens­ten be­kannt von der Stra­ße Bab el-Man­deb bis weit übers Sul­ta­nat Wa­dai hin­aus, und kein ger­ma­ni­scher Steck­brief konn­te uns schwär­zer an­strei­chen, als wir be­reits im Ge­dächt­nis der Leu­te vom Nil­del­ta bis zum Mond­ge­bir­ge an­ge­schrie­ben stan­den. So war es denn auch durch­aus nicht ver­wun­der­lich, son­dern ein­zig ein nur zu lan­ge ver­scho­be­ner Akt der gött­li­chen Ge­rech­tig­keit, als un­se­rer Ex­pe­di­ti­on auf ei­nem Streif­zug ge­gen die Bag­ga­ra­ne­ger durch einen nächt­li­chen Über­fall plötz­lich ein Ende ge­macht wur­de. Mit Lan­zen und Keu­len und Mes­sern ka­men sie über uns, als wir es am we­nigs­ten ver­mu­te­ten, um die Rech­nung für die­ses Mal zu quit­tie­ren, und sie be­durf­ten kei­ner lan­gen Zeit zur Aus­zah­lung des uns von Rechts we­gen Ge­büh­ren­den. Der größ­te Teil mei­ner Rei­se­ge­sell­schaft wur­de auf der Stel­le tot­ge­schla­gen, und nur ein klei­ner Rest wur­de bis auf wei­te­res, ohne alle Rück­sicht auf kör­per­li­che oder mo­ra­li­sche Ge­füh­le, mit Stri­cken aus Aloe- und Palm­baum­fa­sern ge­k­ne­belt. Das Wei­te­re kam bald. Es zeig­te sich, dass mein ar­mer Freund Se­mi­bec­co der be­kann­tes­te und des­halb auch ge­hass­tes­te un­se­rer gan­zen Ban­de war. Man spieß­te ihn, und ich kann nicht sa­gen, dass man ihm zu viel da­durch an­tat, wenn es gleich nicht an­ge­nehm war, der Exe­ku­ti­on und dem drei­tä­gi­gen To­des­kamp­fe des Un­glück­li­chen zu­se­hen zu müs­sen. Die Aus­sicht, in glei­cher Wei­se auf ei­nem zu­ge­spitz­ten Pfahl der Son­ne, dem Durs­te und den Mos­ki­tos aus­ge­setzt zu wer­den, konn­te auch mit dem nil hu­ma­ni ali­e­num a me puto in Ver­bin­dung ge­bracht wer­den. Glück­li­cher­wei­se blieb ich die­sem ›Men­sch­li­chen‹ je­doch fremd. Ich ging nur als ein Han­dels­ar­ti­kel mit va­ri­ie­ren­dem Wer­te von Hand zu Hand, von Stamm zu Stamm, und wur­de zu­letzt im Schat­ten Dsche­bel al Kom­ris zu Abu Tel­fan im Tu­mur­kie­lan­de ei­nem mei­ner ei­ge­nen Ham­pel­män­ner, ei­nem glotz­äu­gi­gen, grin­sen­den Kerl mit blau­en Ho­sen, gel­ben Husa­rens­tie­feln und ei­ner ro­ten Ja­cke – zu­ge­ge­ben. Tie­fer war doch ge­wiss noch nie­mals ein deut­scher Stu­dio­sus der Got­tes­ge­lahrt­heit im Prei­se ge­sun­ken?!«…

      Wir ha­ben zu An­fang die­ses Ka­pi­tels un­se­re Mei­nung da­hin aus­ge­spro­chen, dass man Herrn Leon­hard Ha­ge­bu­cher sei­ne Aben­teu­er er­zäh­len las­sen müs­se, ohne ihn zu un­ter­bre­chen, ohne die Fra­gen und In­ter­jek­tio­nen der Welt da­zwi­schen­plat­zen zu las­sen. An die­ser Stel­le aber kön­nen wir nicht um­hin, un­se­re An­sicht zu än­dern; der Nürn­ber­ger Zap­pel­mei­er fiel denn doch der Bums­dor­fer Ver­wandt­schaft zu stark auf die Ner­ven. Mit of­fe­nem Mun­de, mit zu­rück­ge­hal­te­nem Atem saß sie da, den Er­zäh­ler an­star­rend, und als sie wie­der fä­hig war zu spre­chen, rief sie:

      »Und dann, und dann, o Gott, und dann?«

      »Nichts!« sag­te der Afri­ka­ner mit ei­ner Ruhe, die in der Tat et­was ge­spens­ter­haft Un­heim­li­ches hat­te. Das Licht sei­ner Au­gen schi­en sich wie in ei­nem Ne­bel zu ver­lie­ren, sei­ne gan­ze Ge­stalt sank zu­sam­men, die Mut­ter fass­te ihn laut wei­nend in die Arme, Lina saß mit ge­fal­te­ten Hän­den re­gungs­los im zit­tern­den Gram und Schre­cken, und dem Papa Ha­ge­bu­cher ging wie­der ein­mal die Pfei­fe aus.

      »Nichts!« wie­der­hol­te Leon­hard. »Zwan­zig bis drei­ßig in einen kah­len, glü­hen­den Fel­sen­win­kel ge­kleb­te Lehm­hüt­ten – hun­dert­und­fünf­zig übel­duf­ten­de Ne­ger und Ne­ge­rin­nen mit sehr re­gel­mä­ßi­gen Af­fen­ge­sich­tern und von al­len Al­ter­s­stu­fen – von Zeit zu Zeit To­ten­ge­heul um einen er­schla­ge­nen Krie­ger oder einen am Fie­ber oder an Al­ters­schwä­che Ge­stor­be­nen – von Zeit zu Zeit Siegs­ge­schrei über einen ge­lun­ge­nen Streif­zug oder eine gute Jagd – von Zeit zu Zeit dunkle Heuschre­cken­schwär­me, wel­che über das gel­be Tal hin­zie­hen – zur Re­gen­zeit ein tro­glo­dy­ti­sches Ver­krie­chen in den Spal­ten und Höh­len der Fel­sen! Im Juni des Jah­res acht­zehn­hun­dert­neun­und­vier­zig ge­sch­ah je­ner Über­fall – rech­net, rech­net – zählt an den Fin­gern die Jah­re und – gebt mir ein Glas Was­ser aus un­serm Brun­nen; wahr­haf­tig, es war eine arge Hit­ze und sehr schwül in Abu Tel­fan im Tu­mur­kie­lan­de!«

      »Al­ler Se­gen Got­tes über den gu­ten Mann, wel­cher dich be­frei­te, mein ar­mer Sohn, und dich uns wie­der­gab!« rief die Mut­ter.

      »Van der Mook! Van der Mook! Ja­wohl, ja­wohl; er kam ins Land, jun­ge Lö­wen, Af­fen und an­de­re merk­wür­di­ge Bes­ti­en zum Ver­trieb an die eu­ro­päi­schen Me­na­ge­ri­en ein­zu­han­deln, und da ich all­mäh­lich der Ka­te­go­rie sei­ner Han­dels­ar­ti­kel so ziem­lich an­heim­ge­fal­len war, so trat er kaum aus dem Krei­se sei­nes Ge­schäf­tes her­aus, als er auch um mich zu feil­schen be­gann. Kor­ne­li­us van der Mook, der Name steht frei­lich mit flam­men­der Schrift in mei­ner See­le! Er kauf­te mich bil­lig und wahr­schein­lich nur in ei­ner au­gen­blick­li­chen Lau­ne; aber er kauf­te mich, und das war das wich­tigs­te. Er gab mir Ge­le­gen­heit, auf un­serm Wege durch Dar-Fur und Kor­do­fan durch ver­schie­de­ne klei­ne Hil­fe­leis­tun­gen mich an sei­nen Spe­ku­la­tio­nen be­tei­li­gen zu kön­nen und we­nigs­tens mein Rei­se­geld bis Char­tum zu ver­die­nen. In Char­tum nahm sich die ka­tho­li­sche Mis­si­on mei­ner an, und mei­ne Aben­teu­er en­dig­ten dort; denn von hier an bis zur Mün­dung ist für einen Men­schen, der elf Jah­re in Abu Tel­fan ge­fan­gen saß, der Nil kaum vom eng­li­sier­ten deut­schen Rhein zu un­ter­schei­den, und das rote Rei­sehand­buch er­setzt die Dop­pel­büch­se, den Re­vol­ver und das nu­bi­sche Jagd­mes­ser voll­stän­dig. Ihr sagt, dies sei Bums­dorf und ich hei­ße Leon­hard Ha­ge­bu­cher – ich will es euch glau­ben und muss die Kon­se­quen­zen auf mich neh­men.«

      Wald, Wie­sen, Acker­fel­der, Kirch­turm­spit­zen und Haus­dä­cher, blaue Hö­hen­zü­ge bis in die wei­tes­te Fer­ne – al­les in schöns­ter Ord­nung und in an­mu­tigs­ter Be­leuch­tung; al­les so hübsch und rein­lich, so bunt und fein, so freund­lich und fried­lich wie nur mög­lich, aber al­les des­sen­un­ge­ach­tet nicht im­stan­de, den an die De­ko­ra­ti­on Ge­wöhn­ten in eine un­ge­wöhn­li­che Ek­sta­se zu ver­set­zen.

      Es war aber nicht je­der dar­an ge­wöhnt.

      Der Wald warf sei­nen Schat­ten auf den Rand der Wie­se, und im wei­chen Gra­se un­ter den ers­ten Bäu­men lag Leon­hard Ha­ge­bu­cher und blick­te, zwi­schen den Fin­gern durch, hin­aus in den Son­nen­schein. Er für sein Teil hat­te noch das Recht, am Him­mel und auf Er­den mehr zu se­hen als ganz Bums­dorf und Nip­pen­burg zu­sam­men, und er mach­te in un­ge­stör­ter träu­me­ri­scher Be­hag­lich­keit von sei­nem Rech­te Ge­brauch. Wie ein großes Kind lag er in der Wie­ge der Hei­mat und ließ sich schau­keln und von der Ler­che, dem Fin­ken und dem Wind im Bu­chen­ge­zweig das Lied von der ewi­gen Ju­gend und Schön­heit der Welt vor­sin­gen.

      Auf der Wie­se vor dem Wal­de glänz­ten die leich­ten Früh­lings­klei­der der Mäd­chen, und jede Be­we­gung der jun­gen Ge­schöp­fe muss­te in sol­cher Um­ge­bung, in sol­chem Lich­te zier­lich und gra­zi­en­haft er­schei­nen. Ihr Ru­fen und La­chen und selbst ihr hel­les Ge­kreisch, als sie sich im Spiel durch die Blu­men und das Gras und um die ver­ein­zel­ten


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