Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

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Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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in der Frü­he nach Göp­pin­gen zu Amte ge­hen kön­ne, mal­te sich in jeg­li­cher Ein­bil­dungs­kraft zu ver­lo­ckend aus, dass schon ih­ret­we­gen je­der Ver­stän­di­ge den Mund hielt und die Faust in die Ta­sche schob. Die Bes­te oben schied sich von der Bes­te un­ten, es kam eine ge­wis­se Ord­nung in das Cha­os. Noch stan­den zwar hef­tig ges­ti­ku­lie­ren­de Grup­pen län­ge­re Zeit ein­an­der ge­gen­über, doch plötz­lich er­klang vom Och­sen her die Tanz­mu­sik von all den In­stru­men­ten, die nicht in der Schlacht zu­grun­de ge­gan­gen wa­ren, von neu­em lus­tig los, und auf den Wirts­haus­stie­gen rieb Pechle sich die Hän­de und klopf­te erst den Wirt zum Lamm und so­dann den bri­ti­schen Ka­pi­tän Sir Hugh Slid­de­ry auf die Schul­ter, und sprach mit nicht ge­rin­gem Selbst­ge­nü­gen:

      »Sehn Sie, mei­ne Her­re?!«

      Sie hat­ten es ge­se­hen und ge­hört. Der Eng­län­der sag­te vor Er­stau­nen gar nichts; aber der Lamm­wirt gab viel we­ni­ger sei­nem Er­stau­nen als ei­nem ge­wis­sen Un­mut Aus­druck, in­dem er brumm­te:

      »Was hät­t’s denn au ge­macht, wann sie mir no a Paar Fensch­ter de­mo­liert hät­te? ’s wär do in der Kund­schaft ge­blie­be, und s’ hät­ten’s mor­ge schon hit­zig g’­nug bei mir ab­ge­sof­fa, – Sa­ker­ment!«

      Und da­mit dreh­te er sich kurz um und ging in das Haus, wäh­rend der Ex­stift­ler an den Baro­net sich wen­dend, klein­laut be­merk­te:

      »Recht hat er! Man kann sich auch zu sehr mä­ßi­gen. Das kommt da­von, wenn man noch von Tü­bin­gen her zu gut Be­scheid weiß. Aber die Da­men! Die Da­men! Sa­ker­ment, i möcht nur wis­se, wes­halb ge­rad sie im­mer d’ Lust des Da­seins schtö­re müs­se?! Recht hat der Lamm­wirt g’wiss.«

      In der Wirts­stu­be aber blick­te Chri­sta­bel ge­ra­de in die­sem Mo­ment, nach­dem sie kurz vor­her noch aus dem Fens­ter in die be­weg­te Fins­ter­nis hin­aus­ge­se­hen hat­te, mit großen und ganz ei­gen­tüm­lich leuch­ten­den Au­gen erst auf die Bal­ken­de­cke und so­dann auf die Baro­nin von Ripp­gen und sprach, sich ganz in ih­rem vo­ri­gen, her­ben und hol­d­ru­hi­gen Selbst wie­der und wie­der zu­recht fin­dend:

      »Lucy, das ist ein Mann! O Lucy, dear, die­ses ist in der Tat ein Mann!«

      Das war er; – näm­lich ein Mann, und nicht nur das, son­dern au­ßer­dem auch noch ein ganz son­der­ba­rer Kerl, und als sol­cher wen­de­te er sich von neu­em zu sei­nem eben ge­fun­de­nen eng­li­schen Freun­de, dem Ka­pi­tän Sir Hugh Slid­de­ry, und sag­te:

      »Lie­ber Mann, jetzt sind Sie so gü­tig und las­sen sich ge­fäl­ligst bei Lich­te be­se­hen.«

      »Wha – what?« frag­te der Eng­län­der, und:

      »Yes«, er­wi­der­te Pechle. »Bei Lich­te; denn nach dem was Sie mir vor­hin mit­ge­teilt ha­ben, wird das sehr not­wen­dig sein. Sei­en Sie ganz ru­hig, man kennt das, man ist auch sei­ner­zeit aus man­chem Wirts­haus her­aus­ge­wor­fen wor­den und weiß ziem­lich ge­nau, wie man nach­her aus­schaut. Die Da­men! Die Da­men! Herr von Sch­lid­de­rich! Be­den­ken Sie die Da­men!«

      »Oh die La­dies! Ja, Sie sind recht, Sir!« rief der Ka­pi­tän und ließ sich durch das Ge­drän­ge in dem Haus­flur un­ter die Lam­pe auf dem Haus­flur zie­hen. Kopf­schüt­telnd be­sah ihn Pech­lin sich da­selbst und nahm mit tiefs­tem Ernst wie­der­um das Wort:

      »Ganz mein Eben­bild nach man­chem hei­ßen Kamp­fe! Herr, a prio­ri und a pos­te­rio­ri schlie­ße ich, dass un­ter­wen­dig ein blau­ge­fleck­ter Ti­ger gar nichts ge­gen Sie ist. Wis­se Se, jetzt schtel­le ich Sie dem Rie­ke­le vor, und das bringt Sie in un­se­ren Schlaf­saal und bringt Ihne fri­sches Was­ser und a rei­nes Hand­tuch. Ihre Rei­se­schar­te­ken wer­de ich wäh­rend­dem im Och­sen und vor dem­sel­bi­gen zu­sam­men­su­chen las­sen, und dann kom­men Sie gleich frisch und ro­sig her­un­ter, ich stel­le Sie, wie ge­sagt, den Da­men vor und strei­che Sie nach Kräf­ten als Rit­ter und Men­schen her­aus. Na, es wird noch eine recht ver­gnüg­te Nacht, und Sie wer­den se­hen, dass Ihr Schick­sal Sie in bes­se­re Hän­de gar nicht hät­te fal­len las­sen kön­nen, Herr Haupt­mann.«

      »Oh well«, ächz­te der Eng­län­der, »das mu­er­ken ouich jetzt schon. Well, ouich uill mir ver­las­sen auf Sie, und ouich uill mir wa­schen, und Sie wer­den mir vuor­stel­len die La­dies.«

      »Na­tür­lich! Mar­schie­ren Sie nur mit dem Rie­ke­le ab. Da, Mä­de­le, leucht dem Herrn, zünd ihm d’ Stie­ge ’nauf. Auf Wie­der­se­hen! Wis­se Se, viel­leicht brin­ge mer mit Got­tes Hil­fe und gnä­di­gem Bei­stand auch noch mei­nen in­ti­men Freund, den Baron dazu, dass er sich end­lich ein­mal des Le­bens freut. Ja, so wol­le mer’s ma­che: Sie ma­che sich der Baro­nin in­ter­essant, und i werd mi zu Ih­rer Lands­män­nin hal­te.«

      »Lands – män – nin?« rief der Ka­pi­tän Sir Hugh Slid­de­ry stut­zig.

      »Yes! Aber a Fräu­lein, a Miss, a a’g’­neh­me Miss!« ant­wor­te­te Pechle en­thu­sias­tisch, dräng­te den zö­gern­den Frem­den mit dem Rie­ke­le ge­gen die Trep­pe, schick­te einen Bo­ten nach dem Och­sen, um die Rei­se­ef­fek­ten des Eng­län­ders, so­weit sie noch nicht auf sei­nem oder an­de­rer Leu­te Rücken zer­schla­gen wa­ren, zu sam­meln, und ins Lamm her­über­zu­schaf­fen, und be­gab sich so­dann mun­ter und hei­ter, sei­nes gu­ten Ge­wis­sens nach al­len Rich­tun­gen hin si­cher – – – zu den Da­men! – – –

      »Grüß Gott, mei­ne Herr­schaf­ten!« sprach er freund­lich beim He­r­ein­tre­ten.

      »Da ist er!« stöhn­te der Baron von Ripp­gen, in grund­lo­ses­ter Tie­fe sei­nes Ichs, so­weit ihm das­sel­be von sei­ner Frau noch ge­las­sen war. Die­se, sei­ne Frau wen­de­te sich auf ih­rem Sit­ze ohne von dem Freun­de ih­res Gat­ten No­tiz zu neh­men, und nur Chri­sta­bel er­wi­der­te den Gruß, in­dem sie Vir­gi­ny mit zier­li­cher Ener­gie von sich ab­schob und mit ei­nem lan­gen Blick auf den Ex­stift­ler das Haupt neig­te.

      »Es ist mir lieb, dass ich die Herr­schaf­ten noch wach und au­ßer Bett fin­de. Nicht wahr, die Da­men ha­ben sich nicht durch die harm­lo­se Hei­ter­keit des Abends er­schre­cken las­sen?! Das ist eben das Ge­würz in der Sup­pe des Da­seins, und nicht nur bei uns nennt man das so. Gnä­di­ge Frau, das klei­ne Aben­teu­er ge­hört so­wohl der Form wie dem In­halt nach gleich­falls zu ei­nem Aus­flu­ge nach dem Ho­hen­stau­fen; – o ja, noch schwe­ben die Geis­ter der Ah­nen um den heh­ren Gip­fel, und so lan­ge das deut­sche Volk exis­tiert, wird es sich auch prü­geln, nicht wahr, Fer­di­nand? Gnä­di­ges Fräu­lein be­fin­den sich hof­fent­lich wohl?«

      »Ich dan­ke, Sir«, sprach Miss Chri­sta­bel Ed­dish, »ich emp­fin­de mich we­nigs­tens nun bes­ser.« Und sie sprach das mit ei­nem Tone und ei­nem Ge­sichts­aus­druck, die zwar noch man­cher­lei für Herrn Chri­stoph Pech­lin zu wün­schen üb­rig lie­ßen, aber doch sehr ver­schie­den wa­ren von ih­rem Ge­bär­den­spiel im Abend­son­nen­schein auf der Höhe des Stau­fen­ber­ges. Sie setz­te ihre Freun­din da­durch in Ver­wun­de­rung, und noch mehr da­durch, dass sie noch ei­ni­ge Wor­te mehr für den – den – den »gar nicht aus­–­zu–­den­ken­den Men­schen« fand.

      »Mr. Pich­lin«, sag­te sie, »Sie ha­ben dem Mob im­po­niert, ich habe das ver­nom­men vom Fens­ter, und wir, mei­ne Freun­din und ich, sind Ih­nen sehr ver­bun­den für


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