Durch die Wüste (Abenteuer-Klassiker). Karl May

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Durch die Wüste (Abenteuer-Klassiker) - Karl May


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wir langten wacker zu, und eben hatte mir der Wekil gesagt, daß Omar seine Mahlzeit hinaus in den Hof bekommen solle, da er nicht zu bewegen sei, von seinem Gefangenen fortzugehen, als draußen ein lauter Schrei erscholl. Ich horchte auf, und der Ruf wiederholte sich: »Breh, Effendina, zu Hilfe!«

      Dieser Ruf galt mir. Ich sprang auf und eilte hinaus. Omar lag an der Erde und balgte sich mit den Soldaten herum, der Gefangene aber war nicht zu sehen. Am andern Ausgange aber stand der Schwarze und grinste mir mit schadenfroher Miene entgegen: »Fort, Sihdi – dort reiten!«

      Drei Schritte brachten mich vor das Haus, und ich sah Abu el Nassr eben zwischen den Palmen verschwinden. Er ritt ein Eilkameel, welches einen ganz famosen Schritt zu haben schien. Ich errieth Alles. Wekil war erfolglos im Hofe gewesen, aber er wollte Abu el Nassr retten; er hatte dem Schwarzen den Befehl gegeben, das Kameel bereit zu halten, und den Soldaten befohlen, Omar zu halten und den Gefangenen loszuschneiden. Die elf muthigen Helden hatten sich an diesen Einen gewagt, und der Streich war gelungen.

      Freilich hatten sie dieses Gelingen theuer bezahlt. Omar hatte sein Messer gebraucht, und als ich den Knäuel, den die Kämpfenden bildeten, aus einander brachte, sah ich, daß mehrere von ihnen bluteten.

      »Er ist fort, Sihdi!« keuchte der junge Führer vor Wut und Anstrengung.

      »Ich sah es.«

      »Wohin?«

      »Dorthin.«

      Ich deutete mit der Hand die Himmelsrichtung an.

      »Strafe Du diese hier, Effendi, ich aber werde dem Entflohenen nachjagen.«

      »Er saß auf einem Reitkameele.«

      »Ich werde ihn dennoch ereilen.«

      »Du hast kein Thier!«

      »Sihdi, ich habe hier Freunde, welche mir ein edles Thier geben werden, und Datteln und Wasserschläuche. Ehe er am Horizonte verschwindet, werde ich auf seiner Spur sein. Du wirst auch die meinige finden, wenn Du mir nachkommen willst.«

      Er eilte von dannen.

      Halef hatte Alles gesehen und mir auch geholfen, Omar aus den Händen der Soldaten zu befreien. Er glühte vor Zorn.

      »Warum habt Ihr diesen Menschen befreit, Ihr Hunde, Ihr Abkömmlinge von Mäusen und Ratten – – –«

      Er hätte sicherlich seine Strafpredigt fortgesetzt, wenn nicht die Wekila auf dem Platze erschienen wäre. Sie war wieder dicht verschleiert.

      »Was ist geschehen?« frug sie mich.

      »Deine Truppen sind über meinen Führer hergefallen –«

      »Murdarlar, tschapkinler – Ihr Schurken, Ihr Buben!« rief sie, mit dem Fuße stampfend und die roten Fäuste durch die Hülle zwängend.

      »Und haben den Gefangenen befreit – – –«

      »Tschodschukler, dolandyryschler – Ihr Spitzbuben, Ihr Betrüger!« fuhr sie fort, und es hatte allen Anschein, als ob sie sich an ihnen vergreifen werde.

      »Auf Befehl des Wekil,« fügte ich hinzu.

      »Des Wekil? – Bu kurd, bu jalangdschy, bu faidasitzlikler, bu imaddschilikler – Der Wurm, der Ungehorsame, der Unnütze, der Trotzkopf! Meine Hand soll über ihn kommen, ile gertschekki hemen schimdi, und zwar sogleich, in diesem Augenblick!«

      Sie wandte sich um und ruderte in vollem Zorne nach dem Selamlük.

      O Du beglückende Pantoffelherrschaft, Dein Zepter ist ganz dasselbe im Norden wie im Süden, im Osten wie im Westen! Halef machte ein sehr befriedigtes Gesicht und meinte: »Sie ist der Wekil und er die Wekila, und wir stehen uns hier besser im Giölgeda wekilanün, im Schatten der Statthalterin, als wenn wir ein Bu-Djeruldu hätten und der Giölgeda padischahnün, der Schatten des Großherrn, uns beschützte. Hamdulillah, Preis sei Allah, daß ich nicht so glücklich bin, der Wekil dieser Statthalterin zu sein!« – – – Die Tschikarma.

       Inhaltsverzeichnis

       Auch ich lag auf dem weichen Divan meiner gemietheten Wohnung, schlürfte würzigen Mokka und schwelgte im Dufte des würzigen Djebeli, welcher meiner Pfeife entströmte. Die starken, nach außen fensterlosen Mauern boten dem Sonnenbrande Einhalt, und die aufgestellten porösen Thongefäße, durch deren Wände das Nilwasser verdunstete, machten die Atmosphäre so erträglich, daß ich von der während der Mittagszeit hier so gewöhnlichen Abspannung des Menschen wenig oder gar nichts bemerkte.

      Da erhob sich draußen die scheltende Stimme meines Dieners Halef Agha.

      Halef Agha? Ja, mein guter, kleiner Halef war ein Agha, ein Herr geworden, und wer hatte ihn dazu gemacht? Spaßhafte Frage! Wer denn sonst als er selbst!

      Wir waren über Tripolis und Kufarah nach Egypten gekommen, hatten Kairo besucht, welches der Araber schlechtweg el Masr, die Hauptstadt, oder noch lieber el Kahira, die Siegreiche, nennt, waren den Nil, so weit es mir meine beschränkten Mittel erlaubten, hinaufgefahren und hatten uns dann zum Ausruhen die Wohnung genommen, in welcher ich mich ganz wohl befunden hätte, wenn nicht mein sonst ganz prächtiger Divan und alle Teppiche sehr dicht von jenen springfertigen, stechkundigen Geschöpfen heimgesucht worden wären, von welchen der alte, gute Fischart dichtete: »Mich bizt neizwaz, waz mag daz seyn?«

      und von denen man außer dem großäugigen Pulex canis und dem röthlichen Pulex musculi noch den allbeliebten Pulex irritans und den wütenden Pulex penetrans kennen gelernt hat. Leider muß ich sagen, daß Egypten nicht das Jagdgefilde des ›irritans‹, sondern des ›penetrans‹, also nicht des ›reizenden‹ sondern des ›durchdringenden‹ Pulex ist, und so brauche ich wohl nicht hinzuzufügen, daß mein Kef, meine Mittagsruhe, nicht ganz ohne alle Belästigung geblieben war.

      Also draußen erhob sich die scheltende Stimme meines Dieners Halef Agha, die mich aus meinen Träumen weckte:

      »Was? Wie? Wen?«

      »Den Effendi,« antwortete es schüchtern.

      »Den Effendi el kebihr, den großen Herrn und Meister willst Du stören?«

      »Ich muß ihn sprechen.«

      »Was? Du mußt? Jetzt, in seinem Kef? Hat Dir der Teufel – Allah beschütze mich vor ihm! – den Kopf mit Nilschlamm gefüllt, so daß Du nicht begreifen kannst, was ein Effendi, ein Hekim, zu bedeuten hat, ein Mann, den der Prophet mit Weisheit speist, so daß er Alles kann, sogar die Todten lebendig machen, wenn sie ihm nur sagen, woran sie gestorben sind!«

      Ach, ja wohl, ich muß es eingestehen, daß mein Halef hier in Egypten viel, viel anders geworden war! Er war jetzt außerordentlich stolz, unendlich grob und heillos aufschneiderisch geworden, und das will im Oriente viel sagen.

      Im Morgenlande wird jeder Deutsche für einen großen Gärtner und jeder Ausländer für einen guten Schützen oder für einen großen Arzt gehalten. Nun war mir unglücklicherweise in Kairo eine alte, nur noch halb gefüllte homöopathische Apotheke von Willmar Schwabe in die Hand gekommen; ich hatte hier und da bei einem Fremden oder Bekannten fünf Körnchen von der dreißigsten Potenz versucht, dann während der Nilfahrt meinen Schiffern gegen alle möglichen eingebildeten Leiden eine Messerspitze Milchzucker gegeben und war mit ungeheurer Schnelligkeit in den Ruf eines Arztes gekommen, der mit dem Scheidan im Bunde stehe, weil er mit drei Körnchen Durrhahirse Todte lebendig machen könne.

      Dieser Ruf hatte in dem Kopfe meines Halef eine gelinde Art von Größenwahn erweckt, der ihn aber glücklicherweise nicht hinderte, mir der treueste und aufmerksamste Diener zu sein. Daß er am meisten beitrug, meinen Ruhm zu verbreiten, das versteht sich ganz von selbst; er war ganz und gar in das schmachvolle Laster des weiland Barons Münchhausen senior verfallen und versuchte nebenbei, durch eine Grobheit zu glänzen, welche klassisch zu werden drohte.

      So hatte er sich, unter anderem, von seinem geringen Lohn eine Nilpeitsche gekauft, ohne welche


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