Durch die Wüste (Abenteuer-Klassiker). Karl May

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Durch die Wüste (Abenteuer-Klassiker) - Karl May


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um den Puls nicht bloß zu fühlen, sondern auch zu hören, und – täuschte ich mich nicht – da wehte es leise, leise, fast unhörbar durch den Schleier: »Kurtar Senitzaji – rette Senitza!«

      »Bist Du fertig?« frug jetzt Abrahim, indem er rasch näher trat.

      »Ja.«

      »Was fehlt ihr?«

      »Sie hat ein großes, ein tiefes Leiden, das größte, welches es gibt, aber – – – ich werde sie retten.«

      Diese letzten vier Worte richtete ich mit langsamer Betonung mehr an sie als an ihn.

      »Wie heißt das Übel?«

      »Es hat einen fremden Namen, den nur die Ärzte verstehen.«

      »Wie lange dauert es, bis sie gesund wird?«

      »Das kann bald, aber auch sehr spät geschehen, je nachdem Ihr mir gehorsam seid.«

      »Worin soll ich Dir gehorchen?«

      »Du mußt ihr meine Medizin regelmäßig verabreichen.«

      »Das werde ich thun.«

      »Sie muß einsam bleiben und vor allem Ärger behütet werden.«

      »Das soll geschehen.«

      »Ich muß täglich mit ihr sprechen dürfen.«

      »Du? Weßhalb?«

      »Um meine Mittel nach dem Befinden der Kranken einrichten zu können.«

      »Ich werde Dir selbst sagen, wie sie sich befindet.«

      »Das kannst Du nicht, weil Du das Befinden eines Kranken nicht zu beurtheilen vermagst.«

      »Was hast Du denn mit ihr zu sprechen?«

      »Nur das, was Du mir erlaubst.«

      »Und wo soll es geschehen?«

      »Hier in diesem Raume, grad wie heute.«

      »Sage es genau, wie lange Du kommen mußt!«

      »Wenn Ihr mir gehorcht, so ist sie von heute an in fünf Tagen von ihrer Krankheit – – frei.«

      »So gib ihr die Medizin!«

      »Ich habe sie nicht hier; sie befindet sich unten im Hofe bei meinem Diener.«

      »So komm!«

      Ich wandte mich gegen sie, um mit dieser Bewegung einen stummen Abschied von ihr zu nehmen. Sie hob unter der Hülle die Hände wie bittend empor und wagte die drei Sylben: »Eww' Allah, mit Gott!«

      Sofort aber fuhr er herum:

      »Schweig! Du hast nur zu sprechen, wenn Du gefragt wirst!«

      »Abrahim-Mamur,« antwortete ich sehr ernst, »habe ich Dir nicht gesagt, daß sie vor jedem Ärger, vor jedem Kummer bewahrt werden muß? So spricht man nicht zu einer Kranken, in deren Nähe der Tod schon steht!«

      »So mag sie zunächst selbst dafür sorgen, daß sie sich nicht zu kränken braucht. Sie weiß, daß sie nicht sprechen soll. Komm!«

      Wir kehrten in das Selamlük zurück, wo ich nach Halef schickte, der alsbald mit der Apotheke erschien. Ich gab Ignatia nebst den nöthigen Vorschriften und machte mich dann zum Gehen bereit.

      »Wann wirst Du morgen kommen?«

      »Um dieselbe Stunde.«

      »Ich werde Dir wieder einen Kahn senden. Wie viel verlangst Du für heute?«

      »Nichts. Wenn die Kranke gesund ist, magst Du mir geben, was Dir beliebt.«

      Er griff dennoch in die Tasche, zog eine reich gestickte Börse hervor, nahm einige Stücke und reichte sie Halef hin.

      »Hier, nimm Du!«

      Der wackere Halef-Agha griff mit einer Miene zu, als ob es sich um eine große Gnadenbezeugung gegen den Egypter handle, und meinte, das Bakschisch ungesehen in seine Tasche senkend: »Abrahim-Mamur, Deine Hand ist offen und die meine auch. Ich schließe sie gegen Dich nicht zu, weil der Prophet sagt, daß eine offene Hand die erste Stufe zum Aufenthalte der Seligen sei. Allah sei bei Dir und auch bei mir!«

      Wir gingen, von dem Egypter bis in den Garten begleitet, wo uns ein Diener die in der Mauer befindliche Thür öffnete. Als wir uns allein befanden, griff Halef in die Tasche, um zu sehen, was er erhalten hatte.

      »Drei Goldzechinen, Effendi! Der Prophet segne Abrahim-Mamur und lasse sein Weib so lange als möglich krank bleiben!«

      »Hadschi Halef Omar!«

      »Sihdi! Willst Du mir nicht einige Zechinen gönnen?«

      »Doch; noch mehr ist einem Kranken die Gesundheit zu gönnen.«

      »Wie oft gehest Du noch, ehe sie gesund wird?«

      »Noch fünf mal vielleicht.«

      »Fünf mal drei macht fünfzehn Zechinen; wenn sie gesund wird, vielleicht noch fünfzehn Zechinen, macht dreißig Zechinen. Ich werde forschen, ob es hier am Nil noch mehr kranke Frauen gibt.«

      Wir legten bei dem Kahn an, wo uns die Ruderer bereits erwarteten. Unser voriger Führer saß am Steuer, und als wir eingestiegen waren, ging es flott den Strom hinab, schneller natürlich als aufwärts, so daß wir nach einer halben Stunde unser Ziel erreichten.

      Wir legten ganz in der Nähe einer Dahabïe an, welche während unserer Abwesenheit am Ufer vor Anker gegangen war. Ihre Taue waren befestigt, ihre Segel eingezogen und nach dem frommen muhammedanischen Gebrauche lud der Reïs, der Schiffskapitän, seine Leute zum Gebet ein: »Haï al el salah, auf, rüstet Euch zum Gebete!«

      Ich war schon im Fortgehen begriffen gewesen, wandte mich aber schnell wieder um. Diese Stimme kam mir außerordentlich bekannt vor. Hatte ich recht gehört? War dies wirklich der alte Hassan, den sie Abu el Reïsahn, Vater der Schiffsführer, nannten? Er war in Kufarah, wo er einen Sohn besucht hatte, mit mir und Halef zusammengetroffen und mit uns nach Egypten zurückgekehrt. Wir hatten einander außerordentlich lieb gewonnen, und ich war überzeugt, daß er sehr erfreut sein werde, mich hier wiederzufinden. Ich wartete daher, bis das Gebet beendet war, und rief dann zum Deck empor.

      »Hassan el Reïsahn, ohio!«

      Sofort reckte er sein altes, gutes, bärtiges Gesicht herab und frug:

      »Wer ist – – o, Allah akbar, Gott ist groß! Ist das nicht mein Sohn, der Nemsi Kara Effendi?«

      »Er ist es, Abu Hassan.«

      »Komm herauf, mein Sohn; ich muß Dich umarmen!«

      Ich stieg empor und wurde von ihm auf das Herzlichste bewillkommnet.

      »Was thust Du hier?« frug er mich.

      »Ich ruhe aus von der Reise. Und Du?«

      »Ich komme mit meinem Schiffe von Dongola, wo ich eine Ladung Sennesblätter eingenommen habe. Ich bekam ein Leck und mußte also hier anlegen.«

      »Wie lange bleibst Du hier?«

      »Nur morgen noch. Wo wohnest Du?«

      »Dort rechts in dem alleinstehenden Hause.«

      »Hast Du einen guten Wirth?«

      »Es ist der Scheik el Belet des Ortes, ein Mann, mit dem ich sehr zufrieden bin. Du wirst diesen Abend bei mir sein, Abu Hassan?«

      »Ich werde kommen, wenn Deine Pfeifen nicht zerbrochen sind.«

      »Ich habe nur die eine; Du mußt also die Deinige mitbringen, aber Du wirst den köstlichsten Djebeli rauchen, den es je gegeben hat.«

      »Ich komme gewiß. Bleibst Du noch lange hier?«

      »Nein. Ich will nach Kairo zurück.«

      »So fahre mit mir. Ich lege in Bulakh an.«

      Bei diesem Anerbieten kam mir ein Gedanke.


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