Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten. Friedrich Glauser

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Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten - Friedrich  Glauser


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schien, daß ein einfacher Fahnder solche Kompliziertheiten besser verstand als ein Studierter… Sonja war zur Gegenpartei übergegangen… Merkwürdig, es hatte damit begonnen, daß der Wachtmeister dem Mädchen die Tränen getrocknet hatte… Solche Dinge waren zart wie die Fäden, die im Altweibersommer durch die Luft fliegen; nachdenken durfte man über sie, aber von ihnen sprechen? Sicher, wenn man solches aussprach, bekam man das Zitat von Locard an den Kopf geschmissen… Mit Recht! Mit Recht!…

      Merkwürdig, wie Stimmen sich verändern konnten! Sonjas Stimme war tief und ein wenig heiser, als sie weiter erzählte:

      »Da sagt der Bruder: ›Du stehst ja gut mit dem Schlumpf. Ihr wollt euch ja sogar heiraten. Jetzt kann er zeigen, ob er dich wirklich gern hat. Du sagst ihm morgen, daß er sich verdächtig machen muß. Es muß so aussehen, als ob er den Mord begangen hätte… Bis wir die Versicherungen ausbezahlt bekommen haben… Dann werden wir schon sehen, daß wir ihn frei bekommen.‹ Ich hab' mich zuerst geweigert, aber nicht lange. Ich war ja so dumm. Ich hab' zuviel Romane gelesen. Und in den Romanen, da kommt ja immer vor, daß einer sich für eine Frau opfert, freiwillig ins Gefängnis geht, um sie nicht zu verraten. Wir haben dann noch alles besprochen. Ich sollte den Schlumpf am nächsten Abend aufsuchen, ihm die dreihundert Franken geben, dann sollte er in den ›Bären‹ und dort etwas trinken und eine Hunderternote wechseln. Der Bruder hat dann dem Murmann angeläutet…«

      Das Telephon, von dem Murmann gesprochen hatte! Die unbekannte männliche Stimme! Es war wirklich alles konstruiert wie in einem Roman… Man müßte noch mit dem Armin reden… Und welche Rolle spielte der Coiffeurgehilfe in der ganzen Angelegenheit? Gerber hatte ein Motorrad; ob er wohl auch ein Auto lenken konnte? Sicher! Man müßte wissen, was Cottereau, der Obergärtner, beim alten Ellenberger gesehen hatte, um von ein paar Burschen so übel behandelt zu werden… Studer geriet mehr und mehr ins Träumen. – Der alte Ellenberger hatte eine Waffe gekauft… Vielleicht doch zwei Schüsse? Hatte jemand beim Selbstmord nachgeholfen?… Vielleicht Witschis Arm gehalten?… Oder hatte Witschi daneben geschossen, und ein anderer…

      »Warum hast du dem Coiffeurgehilfen eigentlich den Füllfederhalter geschenkt?« fragte Studer in die Stille. Und dabei sah er den Gerber vor sich mit seinen allzu roten Lippen und mit seinem Mantel, der blaue Aufschläge trug.

      »Er hat uns damals in der Nacht zusammen gesehen, den Schlumpf und mich«, sagte Sonja leise. »Und er hat gedroht, er erzähle es dem Statthalter, daß der Schlumpf unschuldig ist…«

      »Wann hat er Euch gesehen?« Ganz scharf stellte Studer die Frage.

      »Am Unglücksabend, am Dienstag, um zehn Uhr, auf der andern Seite des Dorfes, gar nicht in der Nähe des Ortes, wo man den Vater gefunden hat…«

      »So«, sagte Studer. Dann vertiefte er sich wieder ins Schreiben. Der Untersuchungsrichter diktierte langsam. Studer kam gut nach.

      Aber es war dennoch ein mühseliges Tun. Der Untersuchungsrichter begann Fragen zu stellen, kreuz und quer, er wollte alles wissen, er bohrte und bohrte, es ging eine halbe Stunde, es ging eine ganze Stunde. Selbst Studer standen die Schweißperlen auf der Stirn, und Sonja war nahe am Zusammenklappen. Nur der Bursche Schlumpf hielt sich aufrecht. Er stand an der Wand, er antwortete kurz und klar, wenn eine Frage an ihn gestellt wurde. Dabei schien er gar nicht übermäßig erfreut zu sein, daß er nun bald wieder die Freiheit würde genießen können. Studer verstand ihn so gut. Die Heldenrolle war ausgespielt – und der Bursche Schlumpf hatte sich gar nicht wie ein Romanheld benommen! Er hatte seine Unschuld beteuert, er hatte versucht, sich umzubringen… Nein, er war durchaus keine leuchtende Gestalt… Gott sei Dank, dachte Studer; er hatte nichts übrig für Helden. Er fand bei sich, daß es eigentlich gerade die Schwächen waren, die die Menschen liebenswert machten…

      Endlich, endlich war der Untersuchungsrichter fertig. Es war bei der ganzen Fragerei nichts Wichtiges mehr herausgekommen. Hätte man Sonjas Erzählung auf einer Platte aufgenommen, dachte Studer, so wäre der Eindruck lebendiger gewesen, richtiger als das trockene Protokoll in der indirekten Rede… Sei's drum.

      »Ich werde natürlich«, sagte der Untersuchungsrichter, nachdem er Sonja (»Du wartest auf mich, Meitschi«, hatte Studer ihr gesagt, »Ich führ' dich heim…«) und Schlumpf gnädigst entlassen hatte, »ich werde natürlich mit dem Herrn Staatsanwalt die Sache besprechen, und dann wird einer Haftentlassung des Schlumpf nichts im Wege stehen…«

      »Hüten Sie sich, das zu tun, Herr Untersuchungsrichter«, Studer drohte mit dem Finger und ein merkwürdiger Ausdruck saß in seinen Augen. »Lassen Sie den Herrn Staatsanwalt vorläufig ganz aus dem Spiel. Sie brauchen doch Bestätigungen, Sie müssen doch zuerst den Bruder, die Mutter verhören. Sie müssen den Baumschulenbesitzer vorladen. Sie müssen Bestätigungen haben…«

      »Aber Studer, um Gottes willen, es ist doch ganz klar, daß es sich um einen Selbstmord handelt… !«

      Studer schwieg. Dann sagte er:

      »Ich möchte gern den Autodieb sprechen…«

      »Ist das nötig?«

      »Ja«, sagte Studer.

      Der Untersuchungsrichter zuckte die Achseln, als wolle er andeuten, daß man sich allerhand gefallen lassen müsse. Aber er wollte doch einen kleinen Triumph haben, darum sagte er spitz:

      »Sie haben vorhin Doktor Locard zitiert, nicht wahr? Aber… Sie…« Vor Studers Blick wußte der Untersuchungsrichter plötzlich nicht weiter. Aber der Wachtmeister sprach den Gedanken seines Gegenübers rücksichtslos aus:

      »Sie meinen, ob ich selbst nicht auch ein Halbverrückter bin? Aber mein lieber Herr«, dem Untersuchungsrichter gab es ob dieser Anrede einen kleinen Ruck – diese Familiarität! – wir haben alle einen Vogel im Kopf. Manche haben sogar eine ganze Hühnerfarm…« Der Untersuchungsrichter beeilte sich, auf die Klingel zu drücken…

      Der Autodieb

       Inhaltsverzeichnis

      Er sah aus wie eine Kreuzung zwischen Dackel und Windhund. Vom Dackel hatte er die X-Beine und vom Windhund den nach vorne spitz zulaufenden Kopf. Übrigens hieß er Augsburger Hans, fünfmal vorbestraft. Ihm drohte die Versorgung.

      Studer kannte ihn, obwohl Augsburger Hans mehr in anderen Kantonen seinem Beruf nachgegangen war – er war Einbrecher, aber ein vom Pech verfolgter, ein kleiner, mieser Dilettant – denn der Wachtmeister hatte ihn auf Anforderung fremder Behörden schnappen müssen…

      »Salü, Augsburger«, sagte Studer. Er stand von seinem Platz an der Schreibmaschine auf, ging auf den Eintretenden zu, schüttelte ihm die Hand. Der Polizist an der Tür zeigte ein leichtes Erstaunen, aber Augsburger ließ sich durch die herzliche Begrüßung nicht aus der Ruhe bringen.

      »Eh, der Studer!« sagte er. »Grüß-ech, Wachtmeister!«

      Dann zum Untersuchungsrichter gewandt:

      »Der Wachtmeister ist nämlich ein Gäbige«, sagte der Augsburger. »Einer, mit dem man reden kann. Wachtmeister, habt Ihr eine Zigarette?«

      »Ja, wenn du uns nicht anlügst!«

      Und Studer blinzelte dem Untersuchungsrichter zu, er solle ihn das Verhör führen lassen. Der Untersuchungsrichter nickte, suchte auf seinem Tisch nach dem Aktendeckel »Augsburger Hans, Autodiebstahl« und reichte ihn dann Studer hin.

      Studer blätterte. Nichts Interessantes. »Bei einem vorgeschriebenen Patrouillengang… vor dem Bahnhof… Fahrer angehalten… kein Fahrausweis… handelt sich um einen im Polizei

      Anzeiger Ausgeschriebenen… Leistete keinen Widerstand… ließ sich abführ…«

      »Ist das Verzeichnis der Effekten, die dem Augsburger abgenommen worden sind, auch bei den Akten?« fragte Studer.

      »Doch, ich glaube«, sagte der Untersuchungsrichter und spielte wieder mit seinem Papiermesser.

      »Ah, ja, hier«, und


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