Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz


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in un­se­re Stun­den auf­ge­nom­men. Ihre ei­ge­nen in der Ju­gend er­wor­be­nen Kennt­nis­se ka­men ihr da­bei zu­stat­ten, und wir hol­ten sie all­mäh­lich mun­ter ein. Über gram­ma­ti­sche Schwie­rig­kei­ten hal­fen bei­den Tei­len die lus­ti­gen Reim­re­geln weg:

       Was man nicht de­kli­nie­ren kann,

       Das sieht man als ein Neu­trum an, usw.

      So blieb das Ler­nen im­mer ein Spiel un­ter an­de­ren Spie­len. Wir über­setz­ten klei­ne Übungs­stück­chen aus dem »Mid­den­dorf«, la­sen eine Sei­te in L’Hom­monds Viri Il­lus­t­res und ver­fer­tig­ten so­gar ge­reim­te Knit­tel­ver­schen in un­se­rem Sup­pen­la­tein, al­les mit dem glei­chen Ver­gnü­gen, mit dem wir die uns über­las­se­nen Ra­bat­ten an­pflanz­ten, auf ho­hen Ern­te­wa­gen fuh­ren, den länd­li­chen Pfer­den und Och­sen auf den Rücken klet­ter­ten, den Nach­ba­rin­nen beim Aus­gra­ben der Kar­tof­feln hal­fen oder auf lan­gen Spa­zier­gän­gen, wo­bei man bar­fuß in klei­nen Seen und Pfüt­zen quat­schen durf­te, für Ed­gars Aqua­ri­um Sala­man­der und Kaul­quap­pen fin­gen. Das schöns­te aber war, im of­fe­nen Neckar zu ba­den, an sei­nen Wei­de­nu­fern die aus­ge­wor­fe­nen Mu­schel­scha­len zu sam­meln, in de­nen man sich die Far­ben an­rieb, oder sei­ne nie­de­re Furt un­ter Jo­se­phi­nens Füh­rung mit hoch­ge­schürz­ten Klei­dern zu durch­wa­ten, um dann jen­seits im Sir­nau­er Wäld­chen sich aus­zu­tol­len. Der ei­gen­tüm­li­che Ge­ruch des flie­ßen­den Süß­was­sers, der an den Necka­ru­fern be­son­ders stark war, hat sich mir aufs tiefs­te ein­ge­prägt und er­regt mir, wo ich ihm be­geg­ne, ein un­be­schreib­li­ches Ju­gend- und Hei­mat­ge­fühl. In dem sonn­be­strahl­ten, sil­bern rie­seln­den Neckar ver­ehr­te ich ein be­seel­tes hö­he­res We­sen. Ich warf ihm ab und zu ein paar Blu­men oder eine Hand­voll glit­zern­der Per­len aus mei­ner Per­len­schach­tel hin­ein, und wenn ein Fisch auf­hüpf­te, schi­en mir das ir­gend­wie ein gu­tes Zei­chen. Er hat­te aber auch noch ein an­de­res dä­mo­nisch wil­des Ge­sicht, das ich schau­dernd noch mehr lieb­te: dort an der nach Ess­lin­gen füh­ren­den be­deck­ten Brücke, die wir das Was­ser­haus nann­ten, ver­brei­ter­te sich sein Lauf für mein Auge ins Uner­mess­li­che. Un­ter den Pfei­lern schüt­tel­te er wil­de brau­ne Lo­cken, schnaub­te und rüt­tel­te an dem Bau, dass ich wie ge­bannt stand und kaum von der Brücke weg­zu­brin­gen war. Am ge­heim­nis­volls­ten aber er­schi­en er mir in Ess­lin­gen sel­ber, wo­hin wir oft durch das alte Wolf­stor pil­ger­ten. Dort stand ich in dem be­freun­de­ten Haus die gan­ze Zeit am Fens­ter und sah auf die stil­le Flut hin­un­ter, die die Rück­sei­te des Ge­bäu­des un­mit­tel­bar be­spül­te. Ich war dann, wäh­rend die Müt­ter auf dem Sofa sa­ßen und Kaf­fee tran­ken, in Ve­ne­dig, sah schwarz­ge­schnä­bel­te Gon­deln, die ich aus Ab­bil­dun­gen kann­te, und Mar­mor­pa­läs­te in fei­er­li­cher Pracht.

      In mei­ner Vor­stel­lung ist es in Obe­reß­lin­gen im­mer Som­mer ge­we­sen. Wie es mög­lich war, uns wäh­rend der lan­gen Win­ter­mo­na­te in den en­gen Räu­men zu hal­ten, ist mir nicht er­in­ner­lich. Un­se­re Leb­haf­tig­keit mag die dich­te­ri­schen Ge­bil­de, mit de­nen sich un­ser Va­ter trug, schwer ge­nug be­ein­träch­tigt ha­ben und war die Ur­sa­che, dass er den Tag über nur sel­ten das Kin­der­zim­mer be­trat, ja nicht ein­mal die Mahl­zei­ten mit der Fa­mi­lie teil­te. Des­halb tritt auch sei­ne Ge­stalt in mei­nen frü­hen Erin­ne­run­gen we­nig her­vor; sie wan­delt nur manch­mal ernst und ho­heits­voll über den Hin­ter­grund.

      O die Som­mer­se­lig­keit, als man sel­ber noch nicht hö­her war als die rei­fen son­ne­duf­ten­den Ähren, zwi­schen de­nen man sich durch­wand, um die blau­en Korn­blu­men und die flam­mend ro­ten Mohn­ro­sen her­aus­zu­ho­len. Wenn ich noch ein­mal nach­emp­fin­den könn­te, was das Kin­de­rohr bei den Schil­ler­schen Ver­sen:

       Win­det zum Kran­ze die gol­de­nen Ähren,

       Flech­tet auch blaue Zya­nen hin­ein –

      an Fül­le des Seins ge­noss! Die gül­de­nen Hal­me, das sat­te Blau und Rot der Blu­men sa­hen mich dar­aus noch schö­ner an, durch einen tie­fen Gold­ton aus der Far­ben­scha­le der Poe­sie ver­klärt. Da­mals wa­ren die Wor­te der Spra­che kei­ne rein geis­ti­ge Sa­che, es haf­te­te ih­nen noch eine köst­li­che Stoff­lich­keit von den Din­gen, die sie be­zeich­nen, an. Ich leb­te und web­te um jene Zeit in den Schil­ler­schen Bal­la­den. Die Göt­ter Grie­chen­lands, Die Kla­ge der Ce­res, Kas­san­dra und vor al­lem Das Sie­ges­fest wa­ren mir die liebs­ten. Ihr glo­cken­ar­ti­ger Klang be­zau­ber­te mich, wäh­rend ihre Ge­gen­stän­de mei­ne in­ne­re Welt be­völ­ker­ten. Selbst ein rein phi­lo­so­phisch ge­rich­te­tes Ge­dicht wie Das Ide­al und das Le­ben war mir schon in mei­ner Früh­zeit völ­lig ge­läu­fig und so­gar ganz be­son­ders teu­er. Das Ge­dank­li­che dar­in, das ich noch nicht mit­den­ken konn­te, emp­fand ich als ein dunkles pro­phe­ti­sches Rau­nen von hö­he­ren Din­gen, und es wirk­te poe­tisch, eben weil ich es nicht ver­stand. Zu­gleich hat­te es auch eine er­he­ben­de Macht, wie ein un­ver­stan­de­nes, aber gläu­big ver­ehr­tes Stück Sit­ten­ge­setz. Ich hü­te­te mich über­haupt, ein Ge­dicht zu zer­glie­dern oder auch nur ei­nem Wor­te nach­zu­for­schen, des­sen Sinn mir dun­kel war. Denn das hö­he­re Ah­nen lab­te mich viel mehr als ir­gend­ei­ne tat­säch­li­che Er­kennt­nis. In­dem mir sol­che Ver­se im Heran­wach­sen im­mer ge­gen­wär­tig blie­ben, be­merk­te ich es sel­ber nicht, wie ich all­mäh­lich in das rich­ti­ge Ver­ständ­nis hin­über­g­litt. Ich glau­be, dass un­se­re Mut­ter rich­tig ge­lei­tet war, als sie uns die Schil­ler­schen Ge­dich­te in ei­nem so frü­hen Le­bensal­ter in die Hän­de gab. Denn sie ver­brei­ten ne­ben ei­nem rei­chen sach­li­chen In­halt die hohe und rei­ne Luft, wor­auf es doch für die Kind­heit vor al­lem an­kommt. Her­nach mag sich das rei­fen­de künst­le­ri­sche Be­dürf­nis sei­ne Wei­de su­chen, wo ihm am wohls­ten ist. Dass mei­ne ers­te Welt eine so schö­ne und wei­he­vol­le war, ver­dan­ke ich die­sem Dich­ter vor­zugs­wei­se mit, ob­gleich er nicht ihr ei­gent­li­cher Schöp­fer, son­dern nur ihr Ver­meh­rer und Er­hal­ter ge­we­sen ist. Die frü­he­s­ten Ein­drücke ka­men mir aus den Ho­me­ri­schen Ge­sän­gen, die uns Mama, so­bald wir nur ge­läu­fig le­sen konn­ten, zu­nächst in pro­sa­i­scher Be­ar­bei­tung, in die Hän­de ge­ge­ben hat­te. Die grie­chi­sche Göt­ter- und Hel­den­sa­ge ver­band sich blitz­schnell und un­auf­lös­lich mit un­se­rer Vor­stel­lung. Der Olymp mit al­len sei­nen In­sas­sen thron­te leib­haf­tig in un­se­rem Gar­ten. Wir sel­ber üb­ten uns flei­ßig im Speer­wer­fen und Bo­gen­schie­ßen. In dem quat­schi­gen gel­ben Obe­reß­lin­ger Lehm bis an die Ell­bo­gen wüh­lend, bau­ten wir die hei­li­ge Tro­ja auf, schlepp­ten aus dem Röh­ren­brun­nen zahl­lo­se Was­serei­mer her­bei, um die Win­dun­gen des Ska­man­der­bet­tes zu fül­len. Dann ver­wan­del­ten wir uns selbst in Hel­den und Göt­ter, und um die Mau­ern Tro­jas wur­de mit Macht ge­run­gen. Ich trug wie die Brü­der Helm und Schild und Lan­ze aus Papp­de­ckel und Gold­pa­pier so­wie ein mit dem Me­du­sen­haupt ge­schmück­tes Pan­zer­hemd und warf den di­cken Al­fred, wenn er als Ares an­stürm­te, im Nah­kampf nie­der, wo­bei er vor­schrifts­mä­ßig brüll­te »wie zehn­tau­send Män­ner«. Die­ser schö­ne Kna­be, der sich sel­ber But­zel nann­te, war nach der Schil­de­rung mei­ner Mut­ter bis ins zwei­te Le­bens­jahr das put­zigs­te und lie­bens­wür­digs­te Kerl­chen ge­we­sen; nach ei­ner Kin­der­krank­heit aber hat­te ihn plötz­lich eine nicht zu bän­di­gen­de Wild­heit und Un­art


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