Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz


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glei­che ge­tan. Nur war kein Ver­gleich zwi­schen den Weg­stre­cken des einen und des an­dern Fal­les, und sie ließ auch auf ih­rem Tisch kein Ma­nu­skript zu­rück, das wie ein Kind nach ih­rer Heim­kehr wein­te. Nach­träg­lich wun­de­re ich mich, warum nicht eine gute Frau aus der Nach­bar­schaft ihr den klei­nen Dienst leis­ten konn­te; aber frei­lich war es so, dass für ihre Be­die­nung kein Pfen­nig drauf­ge­hen durf­te. Unend­lich grö­ße­re Wer­te an Zeit, Schaf­fens- und Ju­gend­kraft ka­men da­ge­gen nicht in Be­tracht, die wa­ren in Fül­le da, man brauch­te sie nicht zu spa­ren.

      Ich war ihr aber auch eine Ver­gü­tung schul­dig, weil ein Mann von Geist und Per­sön­lich­keit, der Na­men und Stel­lung in der Welt be­saß und das Müt­ter­lein auf den Hän­den zu tra­gen ver­sprach, seit län­ge­rer Zeit zart und stand­haft um mich warb. Es war wie­der ei­ner der Fäl­le, wo sich ohne al­les Be­sin­nen ein so ka­te­go­ri­sches Nein aus mei­nem In­nern er­hob, dass die sehr er­heb­li­chen welt­li­chen Vor­tei­le gar kei­ne Ver­su­chung be­deu­ten konn­ten. Für sie war es ein Schmerz, denn sie ver­stand sich be­son­ders gut mit die­sem Man­ne, und ich zweifle nicht, dass er sein Wort ge­hal­ten und sie mit al­len Auf­merk­sam­kei­ten um­ge­ben hät­te. Vor mir je­doch la­gen an­de­re Wege, stei­ni­ge­re, wie ich wohl wuss­te, aber sol­che, auf de­nen ich mei­ne Flü­gel brau­chen konn­te; die­ser all­zu be­que­me war nicht für mich. Zum Trost ge­reich­te mir die Über­zeu­gung, dass sie auch mit ei­nem selbst­ge­wähl­ten Schwie­ger­sohn nicht glück­lich ge­we­sen wäre; sie war all­zu­sehr ge­wöhnt, mich al­lein zu ha­ben, um die An­sprü­che ei­nes an­de­ren an mich zu er­tra­gen.

      *

      Die Jah­re am Pog­gio Im­pe­ria­le ge­hör­ten zu den frucht­bars­ten und dar­um schöns­ten mei­nes Le­bens. Die Um­ge­bung konn­te nicht glück­li­cher ge­fun­den sein. Au­ßer­halb der Por­ta Ro­ma­na, seit­lich von dem her­auf­füh­ren­den herr­li­chen Zy­pres­sen­weg, der lei­der nach dem Krieg sehr zu­rück­ge­gan­gen ist, lag völ­lig ins Grün der Fel­der ein­ge­bet­tet das länd­li­che Haus, wo ich nun für eine Rei­he von Jah­ren die Len­ze kom­men und ge­hen, die ers­ten Veil­chen auf­blü­hen, den Reb­stock wei­nen sah und ta­ge­lang das Ge­schril­le der Zi­ka­den von den Öl­bäu­men hör­te. Dort in tiefer Ge­bor­gen­heit konn­te ich end­lich nach Her­zens­lust ar­bei­ten. Es bro­del­te wie­der in­ner­lich von em­bryo­na­len Ge­bil­den, die bis zum hal­b­en Leib her­auf­stie­gen, mich an­sa­hen und, wenn ich sie nicht fas­sen konn­te, wie­der ver­san­ken, um an­de­ren Platz zu ma­chen. Mit­un­ter war es nur eine Fra­ge des Zu­falls, wel­che schließ­lich durch­drin­gen wür­den. Ich hat­te un­ter­des­sen die klei­nen »Con­tes« von Mau­passant ken­nen­ge­lernt und be­wun­dernd ge­se­hen, mit wel­cher Leich­tig­keit der Fran­zo­se die tech­ni­schen Schwie­rig­kei­ten der No­vel­le meis­tert, die­ser ho­hen Kunst­form, die so we­nig ver­stan­den wird. Es war mir schon frü­her auf­ge­gan­gen, dass die üb­li­che grad­li­ni­ge Er­zäh­lungs­form in der drit­ten Per­son; wo­bei der Ver­fas­ser al­les Ver­bor­ge­ne weiß und also ge­wis­ser­ma­ßen um die Ecke sieht, für die­se Gat­tung nur bei ein­fa­chen Ver­wick­lun­gen und mä­ßi­ger Per­so­nen­zahl güns­tig zur An­wen­dung kommt, weil an­dern­falls die ge­for­der­te Ein­heit lei­det und die No­vel­le leicht in einen klei­nen Ro­man aus­ar­ten kann. Un­längst hat­te ich es er­lebt, dass mir ein Lieb­lings­stoff über die Ufer trat und ich dar­um ein schon fort­ge­schrit­te­nes Ma­nu­skript gänz­lich ver­wer­fen muss­te. Nun sah ich an Mau­passants Bei­spiel, wel­che Mög­lich­kei­ten der Er­zäh­ler hat, sei­nen Stoff zu be­wäl­ti­gen, wenn er ihn in einen Rah­men spannt, der das Aus­flie­ßen ver­hin­dert und ihn zur ver­stärk­ten Wir­kung zu­sam­men­fasst. Es war ja die­ses Ver­fah­ren nicht neu: mit ei­ner den Fran­zo­sen noch über­bie­ten­den Fein­heit der Er­fin­dung hat­te es schon mein Va­ter in sei­ner »Blas­sen Apol­lo­nia« ge­hand­habt. Un­be­greif­lich, dass Hey­se, den sie da­mals den Meis­ter der No­vel­le nann­ten, die »Blas­se Apol­lo­nia« ta­deln zu müs­sen glaub­te, weil ein tra­gi­sches Schick­sal, das einen Ro­man­band hät­te fül­len kön­nen, auf we­ni­ge Sei­ten aus­ge­presst war, als ob das nicht die hö­he­re Kunst­leis­tung wäre. Mau­passant bil­de­te die­se Tech­nik auf eine Wei­se aus, dass er die Rah­men­form in un­end­li­chen Ab­wand­lun­gen ge­brau­chen konn­te, sei’s auch ge­le­gent­lich nur als schmäls­te Um­ran­dung, die ihm bloß die Verant­wor­tung für das Er­zähl­te auf einen er­dich­te­ten Drit­ten ab­la­den oder es we­nigs­tens aus der Här­te un­mit­tel­bars­ter Nähe rücken muss. Es ist der­sel­be Vor­teil, den der be­kann­te Herr »Ich« als Er­zäh­ler ge­nießt, der auch nicht al­les zu wis­sen braucht, was hin­ter sei­nem Rücken ge­schieht, wie­wohl der ein­ge­scho­be­ne Drit­te sich meist durch sei­ne Un­ver­bind­lich­keit bes­ser emp­fiehlt. Es war sei­ner­zeit noch halb in­stinkt­mä­ßig ge­sche­hen, dass ich in dem »Hei­li­gen Se­bas­ti­an« den Ma­ler sein Schick­sal in der Ich­form er­zäh­len ließ und da­durch der Viel­falt der Er­schei­nun­gen einen Damm setz­te. Nach der Be­geg­nung mit der Kunst Mau­passants gab ich mir über die Stilbe­deu­tung der Rah­men­form ge­naue­re Re­chen­schaft. Die­ser war denn auch der ein­zi­ge zeit­ge­nös­si­sche Er­zäh­ler, von dem ich mir be­wusst bin, ge­lernt zu ha­ben, näm­lich das ge­lernt, was man im­mer von dem Form­ge­fühl der Ro­ma­nen ler­nen kann, das Hand­werk­li­che – man darf ja wie­der vom Hand­werk­li­chen re­den, seit­dem der Wahn, als müs­se der Meis­ter fer­tig vom Him­mel fal­len, durch die Ent­de­ckung ent­kräf­tet ist, welch ein Über­maß plan­vol­ler Ar­beit gar ein Ge­ni­us wie Höl­der­lin an den Rie­sen­wurf sei­ner ge­heim­nis­vol­len spä­ten Hym­nen ge­wen­det hat. – Um so lei­di­ger wa­ren mir die Nach­ah­mer, die gar nicht mit der Auf­bau­kunst ih­res fran­zö­si­schen Vor­bil­des noch mit sei­ner fein­ge­schlif­fe­nen, ins Herz der Din­ge sto­ßen­den Sprach­meis­ter­schaft zu wett­ei­fern such­ten, son­dern mit sei­nen hei­klen In­hal­ten, die ohne sei­ne Ge­nia­li­tät nur schmut­zig wa­ren. Dass die­ser große Künst­ler nur in den klei­nen Aus­schnit­ten aus dem Le­ben, im Raum der Sa­ty­re, groß ist, und dass es ihm für ein brei­te­res Welt­bild am ei­ge­nen Men­schen­tum ge­brach, ging der Mas­se sei­ner Be­wun­de­rer gar nicht auf. In sei­nem kal­ten Glanz muss­ten auch die Ge­schöp­fe sei­ner Ein­bil­dungs­kraft mit sei­nen so wun­der­voll ge­zeich­ne­ten Land­schaf­ten un­ver­bun­den blei­ben, weil er aus al­len Din­gen und We­sen die See­le her­aus­blies. Mir gab er durch sein Kön­nen eine star­ke Lust zur No­vel­le und den fie­bern­den Auf­trieb, die emp­fan­ge­nen An­re­gun­gen im rein For­ma­len – in Ver­kür­zun­gen und Über­schnei­dun­gen – aus­zu­bau­en und auf völ­lig an­de­re Vor­stel­lungs­wel­ten zu über­tra­gen. So­bald ich es bei dem weg­ge­leg­ten Stoff mit der Rah­men­form ver­such­te, war die Ein­heit da und die Er­zäh­lung ge­ret­tet. Ich ge­wann da­bei noch den Vor­teil, dass ich in ei­nem Rah­men­ge­spräch zwi­schen Freun­den wie in ei­ner mu­si­ka­li­schen In­tro­duk­ti­on das The­ma auf­klin­gen las­sen konn­te. Und das war in die­sem Fal­le be­son­ders güns­tig, weil der sprin­gen­de Punkt der Ge­schich­te – der Ur­trieb des Wei­bes nach Mut­ter­schaft als tra­gi­sches Ver­häng­nis – noch gar nicht in der Li­te­ra­tur ein­ge­führt war: Den »Ruf nach dem Kin­de« hat­te man um jene Zeit noch nicht ver­nom­men. Kein Wun­der, denn der Spre­cher für die Frau­en­see­le war in der Dich­tung bis­lang der Mann ge­we­sen, und die­ser hat­te von je die Frau nur als Lieb­ha­be­rin ge­kannt, schrieb ihr dem­nach nur das Ver­lan­gen nach dem Man­ne, nicht das tiefe­re nach dem Kin­de zu. »Un­se­re Car­lot­ta« be­frem­de­te


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