Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz


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Wo? Wo? – Da – dort. Seht ihr sie? Ja! Ja! – Sie sa­hen sie alle und be­haup­ten noch heu­te, dass sie da­ge­we­sen sei.

      Wie war das nun, Ar­man­do? Glaub­ten die Leu­te wirk­lich, eine Er­schei­nung zu se­hen? Oder scheu­ten sie sich nur, zu ge­ste­hen, dass sie nichts sa­hen?

      Er zuck­te die Ach­seln: Ich weiß nur, dass ich sel­ber nichts sah gar nichts. Nean­che un pi­pistrel­lo. (Nicht ein­mal eine Fle­der­maus).

      *

      Zu den Be­son­der­hei­ten der Volks­art ge­hört die über­ra­gen­de Stel­lung der Frau. Dass alle Häu­ser nach der Frau ge­nannt wer­den, ist nicht wie bei den Vil­len der Frem­den eine dem zar­tren Ge­schlech­te dar­ge­brach­te Hul­di­gung, son­dern der Aus­druck ei­nes wirk­li­chen, wenn auch nicht amt­lich fest­ge­leg­ten, so doch die Vor­stel­lung be­herr­schen­den Sach­ver­halts: in For­te de’ Mar­mi ge­hört das Haus der Frau. Im glei­chen Sin­ne ist sie auch das Haupt der Fa­mi­lie; ein Kind, das man fragt, wem es ge­hö­re, wird un­wei­ger­lich ant­wor­ten: der Ro­si­na, der Fi­lo­me­na oder wie sonst sei­ne Mut­ter hei­ßen mag, was auch all­ge­mein für den Ver­kehr ge­nügt, höchs­tens dass noch zur nä­he­ren Be­zeich­nung ge­le­gent­lich ihr Mäd­chen­na­me hin­zu­ge­fügt wird, den sie ihr Le­ben lang bei­be­hält. Der Ehe­mann muss schon eine Per­sön­lich­keit von Ge­wicht sein, wenn er gleich­falls ge­nannt wird. Ein be­son­ders drol­li­ges Bei­spiel lie­fer­te ein Schnit­ter, ein se­ga­to­re, nach wel­chem sei­ne Frau zu­nächst die se­ga­tora hieß. Das hat­te nun die Fol­ge, dass er sel­ber im Volks­mund nicht mehr der se­ga­to­re, son­dern nur noch der Mann der se­ga­tora war.

      Wenn un­ter den Män­nern Streit aus­bricht, so brau­chen sich nur die Frau­en da­zwi­schen­zu­stel­len, und der Zank hört auf – per ris­pet­to alle don­ne (aus Ach­tung vor den Frau­en), wie mir die zu­ver­läs­sigs­te Zeu­gin aus dem Ort ver­si­chert. Der Grund für die­se volks­tüm­li­che Form des Mut­ter­rechts ist der glei­che, den Ba­cho­fen für die über­ra­gen­de Stel­lung der Spar­ta­ne­rin­nen an­gibt: dass die Män­ner das gan­ze Jahr auf Kriegs­zü­gen ab­we­send sind, was in un­se­rem Fal­le durch die lan­gen See­fahr­ten er­setzt wird. Da­mit hängt es wohl auch zu­sam­men, dass häu­fig die Frau äl­ter ist als der Mann, wo­durch die häus­li­chen Be­lan­ge, die aus­schließ­lich in Frau­en­hän­den lie­gen, bes­ser ge­si­chert sind.

      *

      For­te dei Mar­mi, se­li­ges, zur Wahr­heit ge­wor­de­nes Wun­sch­land, das ich sel­ber mit er­schaf­fen half! Was wäre mein Le­ben ohne dich ge­wor­den? Du hast die ban­ge Men­schen­see­le auf ewig dem großen Mee­re ver­mählt, das ihr die klei­nen Küm­mer­nis­se und Ängs­te weg­spül­te und ihr die Kraft gab für das um­ge­trie­be­ne Le­ben und für das ein­sa­me Werk. Ich nahm es fort­an mit mir, wo­hin ich ging. Da­rum soll die­ser Teil mei­ner Rück­schau mit ei­nem Hoch­ge­sang auf das Meer schlie­ßen, wie er be­gon­nen hat:

       O tief im Lan­de bei Nacht und Tag

       Ver­nehm’ ich des Mee­res Wel­len­schlag.

       Ich seh’s, wie es phos­p­horn im Mond­licht ruht,

       Sich in Buch­ten schmiegt oder brüllt vor Wut

       Und mit lau­tem Guß, wenn der Sturm ver­grollt,

       Kies und Mu­scheln zum Stran­de rollt.

       Sei­ne Rhyth­men furcht­bar und fei­er­lich,

       Sei­ne Welt­ge­sän­ge durch­brau­sen mich

       Und das Seh­nen des Bu­sens, der ewig wallt

       Nach der blas­sen, wan­deln­den Licht­ge­stalt.

       O wär’ ich der schim­mern­de Al­ba­tros,

       Der Kö­nig der Mee­re, des Sturms Ge­noss!

       Am Kap der Win­de wär’ ich zu Haus,

       Dort jag­t’ ich und ruht’ auf den Wo­gen aus,

       Und ich hör­te des Eis­bergs Donner­ge­krach,

       Dem Golf­strom zög’ ich, den Win­den nach. –

       Im Tal, auf Ber­gen und wo ich sei,

       Nach dem Mee­re schwebt mei­ne See­le frei,

       Sie haust auf Klip­pen, der Welt ent­fernt,

       Sie at­met im Sturm und hat’s Fürch­ten ver­lernt

       Und singt mit der Wel­le, die steigt und flieht,

       Ihr ur­alt ewi­ges Sehn­suchts­lied.

      Jetzt sehe ich mich wie­der in Flo­renz in der schöns­ten Heim­stät­te, die ich je be­ses­sen habe und der ich heu­te noch ein we­nig im Her­zen nach­traue­re. Sie liegt in der Via de’ Bar­di, in ei­nem Ne­ben­bau des mit der ge­schicht­li­chen Ver­gan­gen­heit von Flo­renz ver­knüpf­ten Palaz­zo Cap­po­ni, und das Haus hat eine wun­der­ba­re Dop­pelaus­sicht, nach Nor­den über den un­ten flie­ßen­den Arno mit sei­nen Brücken und die gan­ze am rech­ten Flus­sufer ge­la­ger­te Stadt bis nach Fie­so­le und der vier­fach ge­teil­ten Stirn des Mon­te Se­na­rio, die da­mals noch das dunkle Ge­lock ih­rer pracht­vol­len Be­wal­dung trug, nicht ah­nend, die schö­ne, wie bald sie der Geld­sucht zum Op­fer fal­len wür­de. Von der Süd­sei­te, wo mein zwei­fens­te­ri­ges Ar­beits­zim­mer lag, sa­hen die hän­gen­den ver­wil­der­ten Gär­ten un­ter­halb der Cos­ta San Gior­gio her­ein. Mei­nem Fens­ter im zwei­ten Stock­werk ge­ra­de ge­gen­über stand – er steht noch heu­te – auf glei­cher Höhe wie ein Wäch­ter, ei­ner be­ängs­ti­gend schma­len Mau­er auf­ge­pflanzt, ein Rit­ter aus Stein mit Helm und Schwert, au­gen­schein­lich die Ar­beit ei­nes Stein­met­zen, aber durch­aus künst­le­risch emp­fun­den. Ich blick­te je­den Abend noch ein­mal zu ihm hin­über und emp­fahl mich sei­ner tap­fe­ren Ob­hut, ihn sel­ber aber al­len gu­ten Geis­tern, dass ihn kein Erd­be­ben über Nacht von sei­nem luf­ti­gen Stand­ort her­un­ter­wer­fe. Die weit­räu­mi­ge Woh­nung mit den vie­len Ne­ben­ge­las­sen und ih­ren fan­ta­sie­vol­len Un­re­gel­mä­ßig­kei­ten war wie für mich er­fun­den. Auf der Nord­sei­te führ­te von dem großen Empfangs­zim­mer, das auf den Arno blickt, lin­ker Hand eine klei­ne Stu­fe in das tiefer lie­gen­de Schlaf­ge­mach, das durch eine große Glas­wand in zwei Tei­le ge­schie­den war und dem ein rie­si­ges Glas­fens­ter nach dem Flus­se ganz und gar das Aus­se­hen ei­nes glä­ser­nen Turm­ge­machs gab. Hier war die Au­ßen­wand durch eine klei­ne Tür durch­bro­chen, von der ein Trepp­chen zu der auf hal­ber Höhe des Stock­werks ge­le­ge­nen ge­räu­mi­gen Ve­ran­da führ­te, dem hoch­will­kom­me­nen, gleich in An­griff ge­nom­me­nen Raum für einen Haus­gar­ten, denn das Kli­ma ließ da­mals noch das Über­win­tern ed­ler Pflan­zen im Frei­en zu. In dem hin­aus­ge­bau­ten Glas­ge­mach, das mir oft mit dem wei­ten Ster­nen­him­mel dar­über wie ein die Dun­kel­heit durch­se­geln­des Schiff er­schi­en, hör­te ich so gern vor dem Ein­schla­fen dem wech­sel­lo­sen Rin­nen des Arno zu. Wie so ver­schie­den die Stim­me ei­nes Flus­ses von dem mäch­ti­gen, viel­stim­mi­gen Or­che­s­ter des Mee­res, sie regt nicht an wie die­ses, sie lullt durch ihre Ein­tö­nig­keit in Schlaf. Und beim Er­wa­chen schon wie­der der ers­te Blick auf die Har­mo­nie ei­nes Stadt­bil­des, wie die Welt kein zwei­tes be­sitzt. Durch eine Rei­he von Ta­gen war mein Ent­zücken über die neue Woh­nung so groß, dass ich zu gar kei­ner Be­schäf­ti­gung kam, ich ging im­mer von ei­ner Sei­te zur an­de­ren,


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