Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz


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Lä­cheln um ih­ren Mund. – Ein un­be­wus­s­ter, tief un­schul­di­ger Mensch, ohne Schwe­re wie Luft und Raum! und so ist sie in mir ge­blie­ben. Möch­te ich ein­mal den glei­chen Nachruhm hin­ter­las­sen, de­nen die mich um­ga­ben, Luft und Raum ge­we­sen zu sein!

      Aber das letz­te Rin­gen war furcht­bar. Es war wie ein ver­zwei­fel­ter kör­per­li­cher Wi­der­stand im Un­be­wuss­ten ge­gen die her­ein­bre­chen­de Über­ge­walt. Wie lan­ge es noch dau­er­te, weiß ich nicht, ich hat­te zu­letzt die Zeit­be­grif­fe ver­lo­ren. Ihre in mei­nem Mut­ter­büch­lein dar­ge­stell­te letz­te Le­bens­zeit ist die von ihr selbst ge­leb­te, die schö­ne­re, denn sie sah ja nicht hin­ter die Ku­lis­se, wo mei­ne see­li­sche und leib­li­che Not sich ver­barg; die ste­ten her­zens­ban­gen Nacht­wa­chen, und dass ich kaum noch ins Freie oder zu war­mer Nah­rung kam, hat­ten mich gänz­lich aus­ge­schöpft. Ich hat­te am Ende kei­nen Bluts­trop­fen mehr im Ge­sicht und kämpf­te stünd­lich mit dem Schwin­del. Ich muss­te fürch­ten sel­ber be­wusst­los nie­der­zu­bre­chen, in die Kli­nik ge­bracht zu wer­den und bei mei­ner Rück­kunft den Platz ne­ben mir leer zu fin­den. Da lo­cker­te ich halb be­wusst die ge­wal­ti­ge Wil­lens­an­span­nung, mit der ich sie noch im­mer hielt, da­mit ihr nicht das Schwers­te zu­stie­ße, ohne mich ih­ren letz­ten Kampf aus­zu­kämp­fen. So­bald ich aber wie­der Kräf­te fühl­te, war es auch nur durch ein paar Stun­den Schlaf, so such­te ich sie aber­mals auf das hin­ster­ben­de Le­ben zu über­tra­gen. Doch das Spiel war am Ende. Nach ei­ner schreck­li­chen Nacht, wo die Le­bens­kraft noch ein­mal ge­walt­sam durch­brach, dass sie sich in mei­nen Ar­men wand und rang, wie um sich das Ir­di­sche vom Lei­be zu zie­hen, kam der Au­gen­blick, wo sie aus tie­fem Mor­phi­um­schlaf in den ewi­gen hin­über­schlief. Ich er­leb­te die­sen Au­gen­blick nicht mehr mit wa­chen Sin­nen, denn ich lag sel­ber im Be­täu­bungs­schlaf.

      *

      Un­ter den Freun­den, die mei­ne arme Mut­ter in ih­ren letz­ten Mo­na­ten auf­ge­ru­fen hat­te, da­mit sie mir bei­stün­den, war Ei­ner, der die­ses Ru­fes nicht be­durf­te, weil er nie einen hö­he­ren Wunsch ge­kannt hat­te als mir nahe zu sein: Ernst Mohl, der Freund mei­ner frü­hen Tü­bin­ger Tage. Er hing auch an mei­ner Mut­ter mit der tie­fen Zärt­lich­keit ei­nes Soh­nes. Seit vier­zig Jah­ren in Russ­land leh­rend, zu­letzt als ge­adel­ter rus­si­scher Staats­rat an ei­ner za­ri­schen Hoch­schu­le in Pe­ters­burg, war er mit dem Her­zen im­mer dem Ge­fühl sei­ner ers­ten Ju­gend treu­ge­blie­ben, auch wäh­rend wir in Ita­li­en le­bend durch mehr als nur räum­li­che Fer­ne von ihm ge­schie­den wa­ren. Und er hat­te schon lan­ge mit sei­ner deut­schrus­si­schen Gat­tin, die sei­nem Her­zens­wunsch nicht ent­ge­gen sein woll­te, ver­ab­re­det, dass er, so­bald sei­ne für das Ru­he­ge­halt nö­ti­ge Dienst­zeit ab­ge­lau­fen wäre, den Ab­schied neh­men und mit ihr nach Mün­chen zie­hen wür­de, da­mit sie in ei­nem ge­mein­sa­men Haus­halt mir die Sor­gen des All­tags ab­neh­men und er sich mit mir in die Pfle­ge der Mut­ter tei­len kön­ne. Un­ter­des­sen war er Wit­wer ge­wor­den, und als er er­fuhr, wie es bei uns stand, säum­te er nicht län­ger. Da er nur noch für sich selbst zu sor­gen hat­te, ließ er die grö­ße­re Ren­te fah­ren, auf die er bin­nen kur­z­em An­spruch ge­habt hät­te, kün­dig­te au­gen­blick­lich sei­nen Pos­ten und lös­te sei­nen Haus­halt auf, um mir zu Hil­fe zu ei­len und mei­ne Mut­ter noch ein­mal zu se­hen. Sie wuss­te, dass er über alle Hin­der­nis­se hin­weg zu uns ei­len wür­de, und die­ses Wis­sen er­leich­ter­te ihr das Schei­den. Er kam ge­ra­de in ih­rer letz­ten schwe­ren Nacht und saß bis zum Mor­gen war­tend, ob ich ihn rie­fe. Aber er soll­te sie nicht mehr le­bend se­hen, denn ihr Geist war schon fern und hät­te ihn nicht mehr er­kannt.

      In die­sem Freund hat­te mir das Schick­sal einen Aus­gleich für die Ver­lus­te und Ent­täu­schun­gen mei­nes Le­bens von lan­ge her auf­ge­spart. Aber ich konn­te es noch nicht ver­ste­hen. Mein In­ne­res war für Leid und Freu­de tot, ich spür­te nichts mehr als eine un­ge­heue­re Lee­re. Ich glitt wie ein Schat­ten über den Erd­bo­den hin, den mei­ne Füße nicht mehr er­reich­ten, weil ich mit der Wur­zel her­aus­ge­zo­gen war. Der Freund um­sorg­te mich aus zart­ge­fühl­tem Ab­stand und war­te­te, wann er mir um ein Klei­nes mehr sein dürf­te. Ein freund­li­cher Zu­fall hat­te es ge­fügt, dass ge­ra­de bei sei­ner An­kunft aus Russ­land eine an­ge­neh­me son­ni­ge Woh­nung im glei­chen Hau­se, ein Stock­werk tiefer als die mei­ni­ge, frei wur­de. Die­se be­zog er und rich­te­te sie ein mit dem Sinn für das Trau­lich-Häus­li­che, den er aus sei­nem hei­mi­schen Pfarr­haus mit­ge­bracht und auch in­mit­ten der so­ge­nann­ten »Brei­ten Na­tur« des da­ma­li­gen Rus­sen­tums sich be­wahrt hat­te, – ein lie­ber Freund­schafts­win­kel für die kom­men­den Welt­stür­me. Aber da­mals glitt ich acht­los an al­lem vor­über. So sehe ich mich schat­ten­haft un­be­tei­ligt ne­ben teu­ren Freun­den durch die Brun­nen­an­la­gen und Park­we­ge von Karls­bad wan­deln, wo­hin sie mich vom Ster­be­haus weg­ge­holt hat­ten, sehe mich mit Er­win und sei­ner Fa­mi­lie die Fel­sen­stu­fen von Stub­ben­kam­mer er­klet­tern und auf der Spit­ze von Ar­ko­na dem Swan­te­wit in sei­nem Tem­pel einen Be­such ab­stat­ten und we­ni­ge Wo­chen spä­ter mit ei­ner Frei­zü­gig­keit, wie sie nur der ge­nießt, der nir­gends hin­ge­hört, über den Rol­le­pass in dem Do­lo­mi­ten­dorf San Mar­ti­no di Ca­stroz­za ein­fah­ren. Dort war­te­te der ita­lie­ni­sche Freund auf mich, um ge­mein­sam ein paar Be­stei­gun­gen aus­zu­füh­ren, wie sie mir frü­her schon ein­mal heil­sam ge­we­sen und von de­nen er an­nahm, dass sie mich wie­der aus der Er­star­rung er­we­cken müss­ten. Es kam auch so, dass in der un­ge­heu­ren Grö­ße der Berg­welt, bei den kris­tal­le­nen Wun­der­gär­ten des Ei­ses un­ter der herbst­lich ge­mil­der­ten Süd­son­ne und im kal­ten Glanz der Ster­nen­näch­te die in sie­ben schwe­ren Not­jah­ren tief­hin­ab­ge­drück­ten in­ne­ren Sprung­fe­dern sich wie­der auf­rich­te­ten und mich an der Um­welt teil­neh­men lie­ßen. Ich mach­te land­schaft­li­che Auf­zeich­nun­gen für den vor­längst ge­plan­ten, aber nicht be­gon­ne­nen Do­lo­mi­ten­ro­man »Der Ca­li­ban«, der da­nach noch lan­ge Zeit im Lim­bo der Un­ge­bo­re­nen woh­nen soll­te. Und end­lich sehe ich mich wie­der in For­te in ei­ner noch war­men No­vem­ber­nacht da­mit be­schäf­tigt, im Vor­gar­ten mei­nes Hau­ses einen Holz­stoß aus harz­duf­ten­den Schei­tern und pras­seln­den Lor­beerzwei­gen zu ent­zün­den, da­mit der letz­te un­er­füll­ba­re Her­zens­wunsch der Ge­schie­de­nen, dem ge­lieb­tes­ten ih­rer Söh­ne in dem Land ih­rer Lie­be in die Flam­men zu fol­gen, doch im Sym­bol noch er­füllt wür­de. Eine stil­le un­ver­ge­ss­li­che Fei­er, mit Van­zet­tis und des halb­blin­den Ar­man­do Hil­fe aus dem Tiefs­ten ih­rer ei­ge­nen See­le her­aus für sie im An­ge­sicht des rau­schen­den Mee­res voll­zo­gen und spä­ter mit­ten un­ter dem Schre­cken des Welt­kriegs zum blei­ben­den Ge­dächt­nis in die füg­sa­me Mas­se des Wor­tes ge­prägt.

       Die star­re Pa­nia, Hoch­sitz der Ge­wit­ter,

       Stand geis­ter­haft in ih­res Mar­mors Glas­ten,

       Es wet­ter­leuch­te­te in der blau­en Nacht

       Um ihre Stirn, doch ihre Flan­ke trug

       Zwei stil­le Feu­er, große wa­che Au­gen,

       Die nie­der­sa­hen, Al­ler­see­len­feu­er.

       Das Fest der To­ten war’s. Auch wir ent­fach­ten

       Die Lohe hell. Und was das Haus ver­barg

       An Hei­lig­tü­mern, Hül­len der Ver­b­lass­ten,

      


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