Historische Romane: Die vierzig Tage des Musa Dagh, Verdi, Das Lied von Bernadette, Eine blassblaue Frauenschrift und mehr. Franz Werfel

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Historische Romane: Die vierzig Tage des Musa Dagh, Verdi, Das Lied von Bernadette, Eine blassblaue Frauenschrift und mehr - Franz Werfel


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abgespielt, die damit endete, daß der alte Gemeindeschreiber mit dem pfiffigen Spitzbart schwungvoll zum Tor hinausflog, das sich schnell hinter ihm schloß. Auf diese unsanfte Weise wurde ihm nämlich von Muchtar Kebussjan in dem schwierigsten Augenblick seiner ganzen Amtszeit die Stellvertretung anvertraut. Der unglückliche Pseudo-Muchtar taumelte kreidebleich den Saptiehs in die Arme, die ihn vor ihren Befehlshaber zerrten. Er lallte die Worte Ter Haigasuns nach: »Wir haben keine Waffen in den Dörfern.«

      Die bebende Persönlichkeit des vermeintlichen Muchtars kam dem Hauptmann hochwillkommen. Sie überzeugte ihn vorbehaltlos von seiner niederdonnernden Gottähnlichkeit. Er riß einem Gendarmen die Lederpeitsche aus der Hand und durchpfiff mit ihr die Luft:

      »Um so ärger für euch, wenn ihr keine Waffen habt!«

      Hier mischte sich zum erstenmal der rötliche Müdir in das Verfahren. Dem jungen Mann aus Salonik war ungemein viel daran gelegen, diesem christlichen Priester den himmelweiten Abgrund vor Augen zu führen, der seinesgleichen von einem Polizeitölpel aus der dunkelsten Reichsprovinz trennte. Ittihad veranstaltete keine urtümlichen Metzeleien mehr, Ittihad machte feinste Politik, Ittihad verwirklichte mit eisernem Willen unvermeidliche Staatsnotwendigkeiten, wobei Ittihad, soweit das irgend möglich war, unnötige Härten zu vermeiden trachtete. Man war modern gebildet. Man war ein Feind der allzu handgreiflichen Methoden, man legte sogar Wert darauf, »Nerven« zu haben. Infolgedessen warf der Müdir einen kurzen Blick auf das Kunstwerk seiner langen Fingernägel und wandte sich mit jener gefahrgeladenen Freundlichkeit, die alle beamteten Herren über Leben und Tod so trefflich zu gebrauchen wissen, höchst achtungsvoll an Ter Haigasun:

      »Du weißt, was über euch beschlossen ist.«

      Fest und stumm sah ihn der Priester an. Der Müdir wies, durch diesen freien Blick leicht verwirrt, auf die Plakate:

      »Die Regierung hat den Beschluß gefaßt, euch umzusiedeln. Neue Wohnsitze werden euch angewiesen.«

      »Und wo werden uns neue Wohnsitze angewiesen?«

      »Das ist weder meine noch eure Sache. Ich habe euch nur zu sammeln, und ihr habt nur zu marschieren.«

      »Und wann werden wir aufbrechen müssen?«

      »Das hängt allein von eurem Betragen ab, wieviel Zeit ich euch lassen werde, eure Sachen in Ordnung zu bringen und euch genau nach der Vorschrift reisefertig zu machen.«

      Der Gemeindeschreiber, der sich bereits gefaßt hatte, erkundigte sich mit lauernder Demut:

      »Und was werden wir mitnehmen dürfen, Effendi?«

      »Nur das, was jeder auf seinem Rücken und in seiner Hand selbst tragen kann. Alles andere, eure Felder, Gärten, eure Grundstücke, eure Häuser mit allem, was an unbeweglichem und beweglichem Gut dazugehört, verfällt laut Ministerialerlaß vom fünfzehnten Nisan dieses Jahres dem Staate, der euch nach dem Umsiedlungsgesetz vom fünften Mayis neues Land für den abgetretenen Grund zuteilen wird. Jeder Besitzer hat mit Berufung auf sein grundbücherlich festgelegtes Eigentum um den rechtmäßigen Ersatz einzukommen. Das Gesuch muß mit fünf Piastern gestempelt sein. Der Stempel ist beim Gendarmeriekommando erhältlich.«

      Dieses Amtslied kam so mild-melodisch von den Lippen des Rothaarigen, als handle es sich um eine Verordnung über Obstbau. Wohlwollend hob der Müdir den Zeigefinger:

      »Es ist am besten für euch, wenn ihr keine Geschichten macht, nichts zerstört und vernichtet, sondern alles in seiner bisherigen Ordnung dem Staate übergebt.«

      Ter Haigasun öffnete die Hände und hielt sie dem diplomatischen jungen Mann aus Salonik hin:

      »Wir wollen nichts behalten, Müdir. Was könnte es uns auch helfen? Nehmt alles, was ihr findet. Die Tore stehen offen.«

      Den Polizeihauptmann reizte der glatte Ton des Müdirs, der ihm die Führung entwand. Schließlich war einzig und allein er der Befehlshaber der Austreibung und der Federfuchser nur eine Begleitperson, die der Kaimakam entsandt hatte. Wenn er diesem sanftmäuligen Kanzleibewohner noch länger das Wort überließ, würde ihm kein Mensch mehr glauben, daß er der Polizeigewaltige der Stadt Antakje sei. Er riß daher sein starres Auge noch weiter auf, ließ es blutunterlaufen büffelhaft glotzen, machte zwei lange Schritte auf Ter Haigasun zu und packte ihn bei seiner reichgestickten Stola:

      »Du wirst jetzt sechshundert Gewehre zusammenbringen und hier vor mir niederlegen!!«

      Ter Haigasun sah lange auf die Erde, dorthin, wo er die Waffen niederlegen sollte, dann trat er jählings mit einem kräftigen Ruck zurück, so daß der Hauptmann fast gestürzt wäre:

      »Ich habe dir schon gesagt, daß wir keine Gewehre in den Dörfern besitzen.«

      Der Müdir lächelte. Die Reihe war wieder an ihm, ohne Augenrollen und Brüllen nur durch politische Verschlagenheit ans Ziel zu kommen. Seine Stimme klang wohlwollend nachdenklich, als sei er bereit, den Armeniern eine Brücke zu bauen:

      »Wie lange bist du schon Priester in diesen Ortschaften, verzeih die Frage, Ter Haigasun?«

      Die unbestimmte Liebenswürdigkeit dieser Worte beunruhigte Ter Haigasun. Er entgegnete leise:

      »Im Herbste nach Wartawar, der Weinlese, werden es gerade fünfzehn Jahre sein.«

      »Fünfzehn Jahre? Warte! Da warst du im großen Revolutionsjahr gerade acht Jahre in Yoghonoluk. Nun prüfe dein Gedächtnis! Hast du in diesem Jahre nicht einige Kisten mit Gewehren übernommen, die euch damals zum Kampfe gegen die alte Regierung zur Verfügung gestellt worden sind?«

      Der Müdir, der sein Amt erst seit Kriegsausbruch innehatte, stellte diese Frage aus Intuition oder besser aus der vergleichenden Annahme, in Syrien würde Ittihad dieselben Bundesgenossen gesucht haben wie in Mazedonien und Anatolien. Daß er den gefährlichen Punkt getroffen hatte, wußte er nicht. Ter Haigasun drehte den Kopf nach seinen priesterlichen Gehilfen um, die sich noch immer nicht die Kirchenstufen herabgewagt hatten. Mit dieser flüchtigen Kopfwendung rief er sie zu Zeugen auf:

      »Vielleicht haben eure Priester etwas mit Waffen zu tun, Müdir. Bei uns gibt es diesen Brauch nicht.«

      Der Gemeindeschreiber begann in diese bedrohliche Minute vorwurfsvoll hineinzujammern:

      »Wir haben doch immer in Frieden gelebt und dies ist unser Vaterland seit ewigen Zeiten.«

      Ter Haigasun starrte den Müdir verloren an und schien sein eigenes Gedächtnis wirklich auf eine harte Probe zu stellen:

      »Es ist wahr, Müdir! Die neue Regierung hat damals an verschiedenen Orten des Reiches Gewehre hie und da auch an Armenier verteilt. Wenn du alt genug bist, so wirst du dich jedoch auch erinnern, daß von allen Gemeinden den Überbringern dieser Waffen Empfangsscheine ausgefolgt werden mußten. Der Kaimakam, der zu jener Zeit Müdir war wie du, hat die Waffenverteilung geleitet. Er wird ganz gewiß die Empfangsscheine aufbewahrt haben, denn so wichtige Dinge wirft man nicht fort. Nun, ich glaube, er hätte dich gewiß nicht ohne diesen Empfangsschein zu uns geschickt, wenn es bei uns Gewehre gäbe.«

      Der Einwand Ter Haigasuns war unwiderleglich. Man hatte tatsächlich in den letzten Tagen die Registratur des Hükümets von Antakje wegen dieser Empfangsscheine um und um gewühlt. Es fanden sich solche Bestätigungen aus den meisten Nahijehs, nur die Nahijeh von Suedja und Umgebung schien im Jahre 1908 wirklich keine Waffen gefaßt zu haben. Der Kaimakam behauptete zwar, sich des Gegenteils zu entsinnen, hatte aber keinen Beweis dafür. Mit Gelassenheit traf Ter Haigasun demnach das Richtige. Weil er sich überlegen zeigte, vergiftete er die schöne, diplomatische Ruhe des Müdirs, der seine Stimme höhnisch verschärfte:

      »Was ist eine Empfangsbestätigung? Ein Wisch! Was beweist das nach so vielen Jahren?«

      Ter Haigasun machte eine Handbewegung des Gleichmutes:

      »Wenn ihr uns nicht glauben wollt, so seht selber nach und sucht!«

      Der Hauptmann, gewillt, diesem langwierig überflüssigen Hin und Her ein Ende zu machen, ließ seine Polizeitatze auf die Schulter des Priesters niedersausen:

      »Ja, wir werden suchen, den


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