Die wichtigsten Werke von Oscar Wilde. Оскар Уайльд

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Die wichtigsten Werke von Oscar Wilde - Оскар Уайльд


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Dann schritt er zur Glastür und öffnete sie. Als er in das Grüne hinaus trat, atmete er tief auf. Die frische Morgenluft schien all die düsteren Leidenschaften zu verjagen. Er dachte nur noch an Sibyl. Ein schwacher Glanz seiner Liebe kehrte zurück. Er wiederholte ihren Namen immer wieder, immer wieder. Die Vögel, die in dem taubeperlten Garten sangen, schienen den Blumen von ihr zu erzählen.

       Inhaltsverzeichnis

      Mittag war längst vorüber, als er erwachte. Sein Diener war mehrmals auf den Fußspitzen in das Zimmer geschlichen, um zu sehen, ob er wach wäre, und er hatte sich gewundert, weshalb sein junger Herr so lange schlafe. Schließlich klingelte es, und Viktor trat leise ein mit einer Schale Tee und einem Stoß Postsachen auf einer schmalen Sevresplatte und zog die olivengelben Atlasvorhänge mit ihrem blauglänzenden Futter vor den drei großen Fenstern zurück.

      »Monsieur hat heute morgen gut geschlafen«, sagte er lächelnd.

      »Wieviel Uhr ist es?« fragte Dorian Gray noch verschlafen.

      »Ein Viertel zwei, Monsieur!«

      Wie spät es war! Er setzte sich auf, schlürfte einige Züge Tee und durchblätterte die Briefe. Einer davon war von Lord Henry und war diesen Morgen von einem Boten abgegeben worden. Er zögerte einen Augenblick und legte ihn dann zur Seite. Die anderen öffnete er zerstreut. Sie enthielten die gewöhnliche Sammlung von Karten, Einladungen zum Essen, Ausstellungsbilletts, Programmen für Wohltätigkeitskonzerte und ähnlichen Aufforderungen, wie sie einem jungen Mann der Gesellschaft während der Saison jeden Morgen ins Haus regnen. Es war auch eine recht große Rechnung dabei für ein Toiletteservice im Stile Louis des Fünfzehnten, aus getriebenem Silber, die er noch nicht mutig genug gewesen war, seinen Vormündern vorzulegen, die außerordentlich altmodische Herren waren und nicht begreifen konnten, daß man in einer Zeit lebe, wo die unnötigen Dinge unsere einzige Notwendigkeit sind; und außerdem war eine Reihe sehr höflich abgefaßter Mitteilungen aus Jermyn Street da, in denen man sich anbot, ihm in der kürzesten Zeit jeden Geldbetrag zu dem mäßigsten Zinsfuße vorzustrecken.

      Etwa nach zehn Minuten stand er auf, schlüpfte in einen raffinierten Schlafrock aus Kaschmirwolle mit Seidenstickereien, und ging in das onyxgepflasterte Badezimmer. Das kalte Wasser erquickte ihn nach dem langen Schlaf. Er schien alles vergessen zu haben, was er hinter sich hatte. Ein- oder zweimal durchzuckte ihn ein undeutliches Gefühl, als wäre er irgendwie in eine seltsame Tragödie verwickelt gewesen, aber die Unwirklichkeit eines Traumes webte darüber.

      Sobald er angezogen war, ging er in das Bibliothekszimmer und setzte sich zu einem leichten französischen Frühstück nieder, das auf einem kleinen, runden Tische nahe beim offenen Fenster bereit stand. Es war ein entzückender Tag. Die warme Luft schien mit Wohlgerüchen gewürzt. Eine Biene flog herein und summte um die Schale aus blauem Drachenporzellan, die voller schwefelgelber Rosen vor ihm stand. Er fühlte sich vollkommen glücklich.

      Plötzlich fiel sein Blick auf den Wandschirm, den er vor das Bild gestellt hatte, und er zuckte zusammen.

      »Ist es zu kalt für den gnädigen Herrn?« fragte der Diener, während er eine Omelette auf den Tisch stellte. »Soll ich das Fenster schließen?«

      Dorian schüttelte den Kopf. »Mir ist nicht kalt«, antwortete er.

      War es alles wahr? Hatte sich das Bild wirklich verändert? Oder war es lediglich seine eigene Phantasie gewesen, die ihm einen Zug von Schlechtigkeit vorgespiegelt hatte, wo nur ein Zug von Freude gewesen war? Eine gemalte Leinwand konnte sich doch nicht verändern? Das war doch Tollheit! Das würde er eines Tages Basil als Märchen erzählen. Er würde darüber lächeln.

      Und doch, wie lebendig war die Erinnerung an die ganze Sache! Zuerst in dem schwankenden Zwielicht und dann in der hellen Morgenfrühe hatte er den Zug von Grausamkeit um die geschwungenen Lippen bemerkt. Er fürchtete sich förmlich davor, daß sein Diener hinausgehen könnte. Er wußte, er würde, sowie er allein sei, das Bild betrachten müssen. Er fürchtete sich vor dieser Gewißheit. Als der Diener Kaffee und Zigaretten gebracht hatte und sich zum Gehen wandte, empfand er den heftigsten Wunsch, ihn dableiben zu lassen. Als sich hinter ihm die Tür geschlossen hatte, rief er ihn zurück. Der Mann stand da und wartete auf seine Befehle. Dorian sah ihn einen Augenblick an. »Ich bin für niemand zu Hause, Viktor«, sagte er mit einem Seufzer. Der Mann verbeugte sich und ging hinaus.

      Dann stand er vom Tische auf, zündete sich eine Zigarette an und warf sich auf eine üppig gepolsterte Ottomane, die gegenüber dem Schirme stand. Es war ein alter Wandschirm aus vergoldetem spanischen Leder, in das ein blumiges Louis-Quatorze-Muster getrieben war. Er musterte ihn forschend und fragte sich, ob der Schirm wohl schon jemals das Geheimnis eines Menschenlebens verhüllt habe.

      Sollte er ihn überhaupt wegschieben? Warum ihn nicht da stehen lassen? Was half die Gewißheit? War die Sache wahr; so war es schrecklich. War sie nicht wahr, wozu sich darüber beunruhigen? Aber wie, wenn durch Schicksalstücke oder irgendeinen tödlichen Zufall andere Augen als die seinen dahinter blickten und die fürchterliche Veränderung sähen? Was wollte er tun, wenn Basil Hallward kam und sein eigenes Bild sehen wollte? Das würde Basil sicher tun. Nein, die Sache mußte untersucht werden, und zwar auf der Stelle. Alles war besser als diese schreckliche Ungewißheit.

      Er stand auf und verschloß beide Türen. Er wollte wenigstens allein sein, wenn er die Maske seiner Schande betrachtete. Dann schob er den Schirm zur Seite und sah sich selbst von Angesicht zu Angesicht. Es war vollständig wahr. Das Bildnis hatte sich verändert.

      Er erinnerte sich später oft und immer mit nicht geringer Verwunderung, daß er zuerst das Bild mit einem Gefühl von wissenschaftlichem Interesse geprüft habe. Daß eine solche Veränderung möglich sei, schien ihm nicht glaublich. Und doch war es Tatsache. Gab es irgendeine geheime Verwandtschaft zwischen den chemischen Atomen, die auf der Leinwand Form und Farbe werden, und der Seele, die in ihm lebte? Konnte es sein, daß sie in Wirklichkeit ausdrückten, was seine Seele dachte? – daß sie zur Wahrheit machten, was sie träumte? Oder gab es eine andere schreckliche Beziehung? Er schauderte zusammen und fühlte sich von Angst gepackt. Dann ging er zu der Ottomane zurück und lag nun da, das Bildnis in krankhaftem Schrecken anstierend.

      Eine Wirkung aber, das fühlte er, hatte es gehabt. Es hatte ihm klargemacht, wie ungerecht, wie grausam er gegen Sibyl Vane gewesen war. Noch war es nicht zu spät, das wieder gut zu machen. Sie konnte noch sein Weib werden. Seine unwahre, selbstsüchtige Liebe sollte einer höheren Kraft den Platz einräumen, sollte sich zu einer edleren Leidenschaft erhöhen und das Bildnis, das Basil Hallward gemalt hatte, sollte sein Führer durchs Leben, sollte das für ihn sein, was Heiligkeit für einige, Gewissen für andere und Gottesfurcht für uns alle ist. Es gab Schlafmittel für Gewissensbisse, Medikamente, die das Sittlichkeitsgefühl in Schlaf lullen konnten. Aber hier war das durch Sündigkeit hervorgerufene sichtbare Symbol der Erniedrigung. Hier war das ewig unauslöschliche Zeichen des Verderbens, das Menschen der eigenen Seele zufügen.

      Es schlug drei und vier, und noch eine halbe Stunde ließ das doppelte Zeichen erklingen, aber Dorian Gray rührte sich nicht. Er bemühte sich, die scharlachroten Fäden des Lebens zu entwirren und sie in ein Muster zu verschlingen; seinen Weg zu finden aus dem blutroten Irrgarten der Leidenschaft, den er durchwanderte. Er wußte nicht, was er tun, nicht, was er denken sollte. Endlich trat er an den Tisch und schrieb einen leidenschaftlichen Brief an das Mädchen, das er geliebt hatte, flehte sie an, ihm zu verzeihen, und beschuldigte sich des Wahnsinns. Er bedeckte Seite um Seite mit wilden Worten der Sorge und noch heftigeren des Schmerzes. Es gibt eine Wollust in Selbstanklagen. Wenn wir uns selbst tadeln, haben wir das Gefühl, daß uns kein anderer tadeln dürfe. Die Beichte, nicht der Priester, erteilt uns Absolution. Als Dorian den Brief beendet hatte, fühlte er, daß ihm vergeben worden sei.

      Plötzlich pochte man an die Tür und er hörte Lord Henrys Stimme draußen. »Lieber Junge, ich muß dich sehen. Laß mich gleich herein! Ich kann es nicht zugeben, daß du dich so absperrst!«

      Er gab zuerst keine Antwort, sondern blieb ganz still. Das Klopfen wiederholte sich und wurde lauter.


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