Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe
Читать онлайн книгу.erklang das anfangs leise geflüsterte Wort. Eine gewaltige Feldschlacht sei geschlagen worden, wußte man, doch waren die Meinungen darob verschieden, welche von den beiden Parteien den Sieg behalten habe.
In das Frauengemach drang das böse Gerücht, und laut weinend umschlangen sich die Schwestern von Spiegelberg, welche das Schloßgesinde ratlos umringte. Boten ritten ins Land aus nach sichern Nachrichten, aber kehrten zurück, ohne viel mitzubringen: im Franziskanerkloster des heiligen Liborius zu Lügde, wo man sonst politische Neuigkeiten immer am ersten und genauesten holen konnte, wußte man weiter nichts, als daß in der Tat eine große Schlacht in der Pikardey vorgefallen sei; von den Gebliebenen konnte man noch keine Auskunft geben.
»Es wird so sein – er ist tot! Er ist tot!« klagten die Schwestern von Spiegelberg.
Am folgenden Tage sang man zu Paderborn Te Deum laudamus und Gloria in excelsis über den Sieg bei Sankt Quentin, und der Bischof sandte einen Trauerboten gen Schloß Pyrmont. –
Das Gerücht hatte diesmal wahr gesprochen: Herr Philipp von Spiegelberg war ritterlich gefallen auf dem Siegesfelde! Das alte berühmte Geschlecht war zu Grabe gegangen, die weiße Elster über dem Schloßtore, die weißen Mäuslein hatten recht gehabt: die Burg auf dem heiligen Anger bekam einen andern Herrn! –
Graf Philipp zu Pyrmont war tot und lag in ritterlichen Ehren begraben zu Kammerich, welches von den Welschen Cambray genannt wird. Sein verwüstet Herz hatte unter dem schweren Leichenstein Ruhe gefunden, sein stolzes, untadeliges Schild war zerbrochen worden über dem Sarge, Schwert und Helm hatte er mit in die Gruft genommen nach ritterlichem Brauche.
Und – seltsamerweise – veränderte sich mit der Nachricht von dem Tode des Grafen der Anblick des Tales von Pyrmont ganz und gar. Wie vor dem Anhauche Gottes zerstob urplötzlich die gewaltige, zusammengelaufene Volksmenge nach allen Seiten mit solcher Schnelle, daß die Chronisten nicht genug Wunder darüber rufen können. Wie der Ruf des heiligen Bronnens meteorartig geleuchtet hatte, so verging er meteorartig wieder, und für lange, lange Zeit versanken die heilenden Quellen in die allertiefste Vergessenheit. Gegen Ende des Septembers befand sich bis auf wenige vereinzelte Nachzügler, die den Wölfen glichen, welche auf einem unbegrabenen Schlachtfelde umherirren, kaum mehr ein Fremder in dem armen, in jeder Art zertretenen und verwüsteten Waldtale, welches Zeuge so mannigfacher, bunter Schauspiele gewesen war. Noch viel betäubter als im vergangenen Jahr nahmen die eigentlichen Bewohner des Tals ihre halbvergessenen Arbeiten wieder auf. Verdrießlich, müde schlichen sie umher – vorbei war der Rausch, die große Orgie der letzten Zeit; Mensch und Natur sanken zusammen und verkümmerten unter den Folgen.
Recht früh ward es in diesem Jahre Herbst. Vorzeitig verblühten die Blumen, welche von den Füßen der Menge verschont geblieben waren; vorzeitig machten die Wandervögel ihre Flugordnung und zogen südwärts von dannen.
Viel zu früh war der Herbst gekommen! –
Und es war ein solcher, die Seele niederdrückender Herbsttag, wo die Sonne freilich wohl den ganzen Tag über schien, wo man aber stundenlang ungeblendet ihre bleiche Kugel auf ihrer Bahn durch den bleigrauen, leichenfarbenen Duft, welcher das Himmelsgewölbe überzog, verfolgen konnte. Mit feinen Schimmerfäden waren die Stoppelfelder überspannt, und Reineke Fuchs lag, auf Beute lauernd, geduckt in der Furche, umkreise von erbosten, krächzenden Krähenscharen. Über alle Wege und Stege wurde durch kurze, eisige, hohlbrausende Windstöße das welke Laub der Wälder getrieben und mit den Staubeswolken in Wirbeln auf und nieder gekreiselt.
Und es neigete sich zum Abend. –
In ihren schwarzen Trauergewändern saßen auf dem Schloß Pyrmont, welches finster und altersgrau in der grauen Beleuchtung dalag, die beiden Fräulein Ursel und Walburg von Spiegelberg, bleich und mit verweinten Augen, und horchten stumm den tröstenden und ermahnenden Worten des Kaplans Bellin, welcher mit dem Gebetbuch auf den Knieen neben ihnen saß.
Verstaubt und mit gelockerten Saiten lehnte die Harfe der jüngern Schwester im Winkel; niemand hatte darauf gespielt, seit die falsche Gauklerin Fausta La Tedesca mit dem Ritter Campolani vom Schloß geflohen war. Des Grafen Philipps Wolfshund hatte den klugen Kopf in den Schoß Ursulas gelegt und blickte mit den treuen, traurigen Augen zu ihr auf und winselte leise, als wisse er recht gut, daß sein Herr nie mehr zurückkehren würde aus der Ferne, daß der Greif nie mehr mit fröhlichem Gebell ihm über die Zugbrücke entgegenspringen werde.
Wohl lag es trübe und schwer auf dem Tal Pyrmont, aber am trübsten und schwersten lag es doch auf dem Herrenschloß im Tal! Die Wappen und Ahnenbilder waren mit Trauerfloren verhängt; tiefstes Schweigen herrschte in den Gängen, in den Sälen, in dem Hofe; nie hörte man wie sonst ein lustiges, loses Wort der Knechte und Dirnen, nie hörte man ein fröhliches Gelächter – nirgends erblickte man ein lächelndes Gesicht. Wie war das frühere bunte Leben verhallt und verblichen – das Schloß auf dem heiligen Anger war tot, wie sein Herr tot war! –
Jetzt wurde der Kaplan zu einem Schwerkranken in Holzhausen, der ebenfalls des Trostes des alten geistlichen Herrn bedürftig war, gerufen; auf den Zehen schlich der geistliche Herr fort und ließ das Schwesternpaar allein in der Dämmerung, die immer tiefer herabsank. Immer unbändiger sauste der Wind um die Schloßtürme. – Während nun der Kaplan Bellin am Lager des sterbenden Bauern zu Holzhausen weilte, erreichte ein kleiner Zug Reiter, welchem zwei Wagen folgten, bei Hagen den Grenzstein von Pyrmont, nachdem er spät am Nachmittag durch Lemgo gezogen war. Langsam schritten die Rosse einher auf dem Wege, auf welchem der Graf Philipp gen Flandern aus der Heimat fortgeritten war. Reitern und Pferden sah man an, daß sie einen langen, mühseligen Weg zurückgelegt hatten: verrostet und bestaubt waren die Waffen, Harnischstücke und Kleider, hager und gebräunt waren die Gesichter der Reiter, hager und abgetrieben sahen die Pferde aus. Sobald der kleine Kriegerhaufen die Grenze der Grafschaft erreicht hatte, begrüßten sie die Männer mit einem lauten, wilden, langhallenden Geschrei, welches auf den benachbarten Feldern seinen Widerhall fand. Von allen Seiten eilten die Bauern und Arbeiter von den Fluren gegen die aus Flandern heimkehrenden Spiegelbergschen Mannen heran, und blitzschnell wußte man zu Holzhausen:
»Sie kommen, sie kommen! … sie sind da!«
Aus allen Türen stürzten die Männer und Frauen, die jungen Leute, die Greise und die Kinder in Angst und Hoffnung. Freunde und Verwandte waren ja die meisten der in den Krieg mit dem Grafen Ausgezogenen: nun sollte man erfahren, wer heil und wohlbehalten die Heimat wiedergewann. Lautes Wehklagen und Weinen und Schluchzen mischte sich bald in lärmende Ausrufe des Jubels und der Freude. Auch der Kaplan Bellin begrüßte mit Tränen in den Augen die Krieger, die er fast alle hatte aufwachsen sehen. Vorwärts bewegte sich der Zug dem Schlosse zu. Die ganze Bevölkerung von Hagen, Holzhausen, Oestorf und der umliegenden Gegend schloß sich ihm an, und bald klang durch das Brausen des Windes das dumpfe Getöse der nahenden Menge empor zu den Fenstern Walburgs und Ursulas von Spiegelberg.
Vom Turm erklang das Horn des Wärtels, in das Fräuleinzimmer stürzte der Haushofmeister:
»Das Banner, das Banner von Spiegelberg! Sie kommen, sie kommen!«
Mit einem Schrei hoben Ursula und Walburg die Hände, in langgezogenen Tönen klang rufend, klagend vor der Zugbrücke eine andere Drommete. In lautes Weinen brach die arme kleine Walburg aus; aber Ursula stand jetzt bleich und stolz in der Mitte des Gemaches, und ihrer Stimme merkte man kaum ein leises Zittern an, als sie rief:
»Öffnet das Tor den Mannen von Pyrmont!«
Lichter und Fackeln durchirrten das Schloß und sammelten sich auf dem Burghofe. Die Zugbrücke rasselte nieder, und dumpf erklangen der Hufschlag und die Fußtritte der nachdringenden Menge auf den eichenen Planken. Vorauf den Kriegern ritt der Führer, der quer über die Stirn und das linke Auge eine schwarze Binde trug. Matt und krank schien er sich kaum noch im Sattel halten zu können; aber hoch und stolz hielt er mit Aufwendung der letzten Kräfte das schwarzumflatterte Banner von Spiegelberg und Pyrmont empor. Klaus Eckenbrecher war dieser Führer – da alle Bessern vor ihm gefallen waren, so durfte er dem geringen Rest des Spiegelbergschen Häufleins in die Heimat voranreiten.
Die Fackeln im Burghofe gossen ihr rotes, phantastisches Licht über die Reiter, die Rosse und das Volk aus; erklirrend in ihren Harnischen