Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe
Читать онлайн книгу.so soll er als Hauptmann und Jägermeister des Grafen Simon Hermann auch fürderhin die Mannen von Pyrmont befehligen und den Wald dazu unter sich haben. Was saget Ihr dazu? He, hat unser Galgenstrick nicht sein Glück gemachet in der Fremde?«
»Welches Auge ist’s, was er verloren hat, Otto?«
»Das linke. Ha, die Schönheit vergehet; aber Ehrwürden, bei Gott, ein braver Bursch ist der Klaus Eckenbrecher und ist’s auch immer gewesen. Ach, wenn Ihr doch wüßtet, wie er sich hat um die Monika und sein Auge! Er fürchtet sich schrecklich, der Braut also vor die Augen zu treten.«
»So, so, so! Und wann will er kommen?«
»Sobald er kann, Ehrwürden! Wenn er sich nur nicht also sehr schämte!«
»So, so, so! Nun – gute Nacht, Otto Klusmeier. Haltet Euch brav, da Ihr nun wieder bei uns seid. Euer Vater war ein braver Mann, folget seinem Beispiel und – horcht – sorgt, daß Ihr bald eine ordentliche, gute Frau bekommet, wenn Ihr Meister worden seid. Es tut nicht gut, daß der Mensch allein sei.«
»Gute Nacht, Herr Pastore, und Dank für guten Rat. Ihr habt wohl recht, ‘s ist recht traurig, wenn man heimkehrt und hat niemanden, so einen mit Freuden empfanget!«
»Also handelt nach meinen Worten! Seid fleißig, betet, schaffet Euch einen Herd und setzet ein lieb Weib daran! Behüt Euch Gott; wenn Ihr Rat bedürfet, so sprechet bei mir vor!«
»Herzlichen Dank, Ehrwürden – Gott vergelte Euch Euere freundlichen Worte – ach, Ihr könnt mir glauben, hundeelend war mir zumut, als ich heut von Stahle her über die Weser schiffte mit dem Anton Pfefferkorn und der mir immerfort schwatzte von seinen Eltern, seiner Mutter, seinem Vater und dem Gretchen Henning!«
In tiefen Gedanken kam Valentin Fichtner heim und stieg wieder in sein Studierstüblein empor zu seiner Schrift: Wider des Babsts Abgötterey.
Die Monika muß der Erzähler mit ihren Gedanken, mit ihrem Herzen allein fertig werden lassen.
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Der Erzähler ärgert sich über sich selbst und wirft seine Feder aus dem Fenster.
In dem Kopf und der Brust eines Reiters, welcher acht Tage nach der Heimkehr des Schreiners Otto Klusmeier und des Schusters Anton Pfefferkorn in den Bergen und Wäldern des linken Weserufers am Spätnachmittag mühsam seinen Weg dem aufwachenden Herbststurm abkämpfte, sah es wirr und wild aus. Wir wollen nur ohne Umschweife sagen, daß dieser Reiter, der über dem linken Auge ein großes schwarzes Pflaster trug, kein anderer als unser guter Freund Klaus Eckenbrecher war, welcher seine im Krieg, in der Fremde gewonnenen Schätze und verwirklichten Träume kläglich seufzend und grimmig fluchend dem süßen Bräutchen heimtrug. Wohl hatte er Ruhm und Ehre aus Flandern mitgebracht, aber Geld und Geldeswert wenig; wohl kam er nicht als simpler Reitersbub, sondern mit dem Federbusch eines Lippe-Pyrmontschen Hauptmanns auf dem Hute heim, aber teuern Preis hatte er dafür bezahlen müssen. Alle Augenblicke griff er, die Zähne zusammenbeißend, nach dem Pflaster, welches sein linkes Auge verdeckte.
»O Gotts Teufel, was wird sie dazu sagen? Sacrrrrre! Was hilft’s mir und ihr, daß der Hund vermodert, so das Unheil angericht’t hat? O Sacrrrrre! O Monika, Monika!«
Nicht, wie er es sich in seinen Träumen einst vorgemalt hatte, fiel sein Heimzug aus. Nicht kam er zurück aus dem Krieg mit Flöten und Pfeifen, mit Pauken und Posaunen; nicht führte er mit sich einen Schwanz von Knappen und Pagen und Mohren in köstlichen Gewändern; nicht kam er heim im hellen, glänzenden Sonnenschein; ach, die Stimmung des jungen Veteranen paßte ganz vortrefflich zu dem Wetter, durch welches er sein Roß lenkte.
Vom Köterberg her pfiff und sauste es, als ob sämtliches Hexenvolk, welches auf dem kahlen Gipfel jenes Berges sein Wesen treibt, den Kopf darauf gesetzt habe, den Klaus samt seinem Gaul, seinem Ärger und seiner Angst platt auf den Boden zu legen, und das so schnell als möglich!
Hui, wie strich es gleich dem wütenden Heer durch die Hohlwege und Schluchten, wie fing es sich in den Schlüften und kehrte um, wütend die Äste der Eichen und Buchen zerzausend!
Zum Tollwerden war’s, in solchem Wetter bei so freudigem, behaglichem Mute der Heimat und der Herzallerliebsten entgegenzureiten.
Ein Nürnberger Eilein hatte der Hauptmann Eckenbrecher in der Schlacht bei Sankt Quentin auch nicht erbeutet, um darauf nach der Tagesstunde zu schauen. Der Weg ward immer schlechter, oft mußte der Reiter sein Pferd anhalten, um sich zu vergewissern, daß er sich noch auf dem rechten Pfade befand. Aus Herzensgrunde verwünschte er das gutmütige Bäuerlein, welches ihn durch seine verlockenden Angaben verführt hatte, einen »Richteweg« einzuschlagen und von der bekannten Landstraße abzuweichen.
Es mußte nach der Berechnung des Klaus ungefähr vier Uhr nachmittags sein, als der Pfad in einem engen, düstern, verwachsenen Tal ein Ende nahm und der Lippesche Hauptmann plötzlich im Gebüsch festhing.
»Sacrrrrrre!« fluchte der Eckenbrecher. »Diable – morbieu!« setzte er hinzu. Er hatte solche fremdländische Kraftworte in Flandern aufgegriffen und bediente sich ihrer nur allzuhäufig.
»Das ist nun auch wieder, um zu platzen! Richtig festgefahren! Holla – heda! Keine Menschenseele weit und breit, um einem Christenmenschen auf den rechten Weg zu helfen. Heda – holla!«
Aus vollen Lungen schrie der Verirrte seine Not nach allen vier Himmelsgegenden aus; aber niemand hörte, niemand antwortete seinem Rufen. Dabei bedeckte sich der Himmel, soviel von ihm durch das Gezweig der Bäume zu sehen war, immer mehr mit dunkeln Wolken. Es fielen einzelne Tropfen – nach fünf Minuten regnete es ganz lustig, wodurch der Sturmwind zu erneueten Kraftanstrengungen ermuntert zu werden schien.
Immer unbehaglicher rückte der Klaus im Sattel hin und her, hob sich in den Steigbügeln, schauete nach rechts und nach links:
»O hätt ich doch den Hallunk, den Bauer, hier, so mich verlocket hat! Steh du Hund von einem Gaul! Will das Vieh sich auch noch mausig machen? Das fehlte grad mir noch. Holla, heda, holla! Hört denn keine Menschenseele – morbieu – o hätt ich den Bauer hier, holla, heda, hol – alle guten Geister –«
Hoch bäumte sich der Rappe im jähen Schreck und hätte seinen nicht weniger erschreckten Reiter fast aus dem Sattel geschleudert. Dicht vor Roß und Mann starrte aus dem Gebüsch ein Gesicht, welches wohl durch seine geisterhafte Erscheinung Schrecken und Schauder erregen konnte. Aus dem Gebüsch hervor wand sich ein Wesen, eine Gestalt, welche man wohl in Verbindung mit der fahlen Beleuchtung und dem sausenden Sturm dem Geisterspuk des alten Zauberbergs, des Köterbergs, zurechnen konnte.
Klaus Eckenbrecher der Hauptmann griff unwillkürlich nach dem Schwert:
»Alle guten Geister – Donnerwetter, was ist – wer seid Ihr?«
Die Erscheinung blickte den Reiter starr an.
»So antworte doch, in drei Teufels Namen, oder zeige mir den Weg, oder packe dich fort!« schrie der Klaus. »He – zum letztenmal – wer und was bist du? Antworte!«
Die Gestalt hob das geisterhafte Gesicht empor zu dem jungen Reiter, mit hohler Stimme fragte sie:
»Warst du nicht dabei, als man mich begrub? Warst du nicht auf dem Kirchhofe?«
Klaus Eckenbrecher bog sich mit offenem Munde über den Hals seines Pferdes und blickte dem rätselhaften, unheimlichen Wesen schärfer in die Augen.
»Jesus Christus, wer seid Ihr? Jesus Christus, Ihr seid der Mönch von Stahle, Ihr seid der Vikarius Festus, der verlorenging, als wir die Gauklerin Fausta und den Doktor Spada begruben! Seid Ihr nicht ertrunken? Habt Ihr Euch nicht in die Weser gestürzt? Was ging Euch die Monika Fichtner an?«
»Als ich noch lebte, war ich der Bruder Festus«, antwortete die Gestalt; »aber ich bin tot und begraben. Ich kenne dich nicht, aber ich weiß, daß du bei meinem Begräbnis warst