Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe

Читать онлайн книгу.

Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe - Wilhelm  Raabe


Скачать книгу
welcher der rote Schein hervorleuchtete, stand eine feine Mädchengestalt und blickte in die Gasse hinaus und erwiederte zierlich meinen Gruß, als ich vorüberschritt und mich hütete, das zierliche Schattenbild des Kindes auf dem rötlich vom Widerschein angehauchten Pflaster der Straße mit dem Fuße zu berühren. Um die Schulter blickte ich zurück und lange noch klang mir der Hammer des Meisters Schmied in das Ohr. –

      Zu Hause fand ich die blauen Hefte, welche mir der kranke Tertius zugesandt hatte, voll lateinischer Schnitzer über die schöne Lehre vom Accusativ cum Infinitivo und vom Ablativ absolutus. Da hatt’ ich mit roter Tinte auszumerzen für den anderen Morgen! Meine eigene Jugendzeit kam mir damit wieder ins Gedächtnis und mancherlei verwob sich in die mechanische Arbeit, von der Geburt bis zum heutigen Gang in die Berge, so daß ich erst spät das Bett aufsuchen konnte, und es mir ordentlich ein Kummer war, als der blaue Berg der Exercitienbücher vor mir ein Ende nahm.

      In der Nacht soll noch ein Gewitter gekommen sein; ich weiß aber nicht das Mindeste davon. Ich habe geträumt von Dir, Sever. Du hattest die beiden sanften Augen, von denen ich Dir im Anfang dieser Epistel rede, gefunden, und sie gaben einen hellen Glanz und ein weißes Gewand glitt durch einen dunkelgrünen Wald voll Mondenschein. Aus dem Gebüsch und den Buchenhallen wurde eine Hochzeitskirche, die sich aber plötzlich mit dem Feuerschein aus der Schmiede am Thore füllte. Ich hörte den Hammer und sah die Funken springen vom Ambos. Der Schatten, den ich in der Thür des Meisters Schmied gesehen hatte, bewegte sich in dem roten Lichte langsam hin und her; aber nun löste sich alles in Vergessenheit und ich erwachte erst, als die Sonne hoch am Himmel stand, und das gewohnte Klopfen an der Thür mich in das Leben zurückrief. Nun will ich schließen; blicke aber noch einmal auf den Anfang meines Briefes zurück. O Sever, das Gezücht der Schmarotzerpflanzen, das Gezücht der giftigen Pilze, der Fliegenschwämme, der Saugschwämme, der Herrenpilze, der Speitäublinge, der Judasohren, der Bovisten, der Phalli impudici wächst nicht auf dem umgestürzten Stamm der deutschen Eiche – nein, nein, nein, die deutsche Eiche steht noch aufrecht, und wird noch durch die Jahrtausende in Herrlichkeit und Pracht grünen und blühen und alle Völker unter ihrem Schatten versammeln. Was kümmert Dich das armselige Schwammgeschlecht am Fuße des Baumes Gottes?

      Sei mir gegrüßt, Sever, und lebe wohl!

       F.

      Vierter Brief.

       Inhaltsverzeichnis

       Sachsenhagen, am 15. Juli 1816.

      In meinem letzten Schreiben meldete ich Dir, Sever, von einem Lichtschein, welcher aus der Thür einer Schmiede in eine dunkle Sommernacht hinausfiel. Nun bin ich eingetreten in diesen Lichtschein wie in einen Zauberkreis, und habe erfahren, wie nahe vor der Nase uns doch das »mondbeglänzte« Zauberland der Romantik liegt. Ich stehe und werfe in unbekannte weite Welten verwunderte irrende Blicke, – ich kann nicht heraus aus dem Zauberkreis, und –

      Doch Du fluchst und pfeifst ja auf die Romantik, so will ich Dir denn ganz prosaisch erzählen, wie ich in die schwarze, rußige Werkstatt hinein geraten bin, und was ich darin gesehen habe.

      Bei großer Schwüle, nach einem bösen Schulnachmittag, war ich matt, langsam fortgeschlichen, dem nahen Dorfe Lindenhof zu, wo ein gutes Wirtshaus ist – »Zum wilden Jäger« – ein Schild, das mir höchlichst gefällt, wie das Getränk, welches man unter diesem Schilde schenkt. Die Honoratioren meines Städtleins pflegen allhier zu kegeln, und immer trifft man an diesem Orte eine Gesellschaft von Bauern, Bürgern und Beamten, die sich hier nicht so streng voneinander ihren Ständen nach scheiden, wie an anderen Vergnügungsorten der Stadt und der Umgegend.

      Nun blickten die Bauern an diesem Nachmittage oftmals bedenklich nach dem Himmel, und die anwesenden Forstleute waren auch alle der Meinung, es möge am Abend wohl noch ein tüchtiges Wetter geben. Ich hatte durchaus keine Lust, in dem wilden Jäger festzuregnen, trank daher meinen Krug aus und machte mich auf den Heimweg. Aber das Wetter war schneller als ich, und hatte ich langsam, schneckenartig schleichend, die Stadt verlassen, so kam ich jetzt im vollen Galopp bei ihren ersten Häusern wieder an, atemlos und keuchend. Hinter mir blitzte und donnerte es tüchtig, und die großen, warmen Tropfen schlugen klatschend hernieder. Es war mit einem Male dunkle Nacht geworden, und ich sah ein, daß ich nur vollständig durchnäßt meine Wohnung erreichen würde. So sprang ich denn kurzweg in den Lichtschein der Schmiede unter dem Vordach der Thür und war gerettet.

      »Nur herein! geschwind herein, Herr Kollaborator,« rief mir eine fröhliche, rauhe Stimme zu, und wie in ein hübsches Märchen trat ich in den schwarzen feuerglühenden Raum.

      Der hämmernde Meister Bart durfte das Eisen nicht erkalten lassen und nickte mir blos grüßend zu; aber sein Bruder, der Leutnant Bart, hob sich von einer niederen schwarzen Bank, nahm die kurze Pfeife aus dem Munde und bot mir lachend die Rechte.

      »Das nenne ich aber gerettet sein, Kamerad! Hurra, solch ein Wetter – und wie Ihr auf den Füßen seid!«

      Ich schüttelte die dargebotene Rechte. Der Lehrjunge glotzte vom Blasebalg grinsend herüber, und eine zierliche Gestalt, anmutig umstrahlt von der roten Glut des Schmiedefeuers, glitt aus dem Schatten hervor und schob mir, sich neigend, einen dreibeinigen Schemel hin.

      »Mein Pflegetöchterlein, die Annie!« sagte der Leutnant, den weißen Schnauzbart streichelnd. »Ein Beutestück aus Spanien!« setzte er hinzu, und scheu wie im Innersten über die Nennung ihres Namens erschrocken, trat die zierliche Gestalt in das Dunkel zurück, ohne den ganzen Abend hindurch wieder zum Vorschein zu kommen. Nur von Zeit zu Zeit zuckte, beim Aufleuchten des Herdfeuers unter dem Hauch des Blasebalges, ein roter Schein in das Winkelchen und enthüllte blitzartig für einen Augenblick das holde Geheimnis, das allersüßeste Gesicht, welches sich da im Schatten verbarg. –

      Draußen rollte und prasselte und rauschte es, als ob die Sündflut wieder einmal vor der Thür sei; Blitz folgte auf Blitz, Donner auf Donner.

      Das fertige Hufeisen des Meisters fuhr zischend in den Kühleimer, der Hammer wurde an den Ambos gelehnt, und lahm wie Vulkan oder Wieland hinkte der Schmied heran und bot mir nun ebenfalls die harte, schwarze Hand zum Gruß. – »Also nur solch ein Donnerwetter kann Sie zu uns hineintreiben, Herr Kollaborator?« sagte er. »Da mein Bruder, der Leutnant von der Legion, hat schon scharf ausgeschaut nach dem Kameraden, Herr Schulmeister, da Sie ja auch mit aus gewesen sind in den heiligen Krieg. Nehmt’s nicht übel, aber wir meinten anfangs, Ihr trüget die Nase ein wenig hoch, von wegen allzugroßer Gelehrsamkeit, haben aber bald herausgekriegt, daß dem nicht so ist, sondern daß Ihr nur gern in den blauen Himmel guckt oder nach den Schwalben. Na, Gott grüße das Ungewitter, das Sie endlich in unsere Thür eingejagt hat, Herr Schulmeister.« –

      Somit war ich nun eingeführt in die Schmiede und binnen kurzem ganz heimisch darin, wie ich es leicht da werde, wo es solche Gesichter giebt, wie die des Meisters, des Leutnants und – des scheuen Mädchens. – O wer das Ännchen doch wieder hätte hervorlocken können aus dem Dunkel! Seit das Hufeisen fertig geworden war, war auch das Schmiedefeuer erloschen, das Eckchen, in welchem sich das liebliche Gesichtchen verbarg, lag in tiefster Finsternis. Mehr als einmal sprach ich zu dem Eckchen herüber; aber ohne eine Antwort zu erhalten. Wenn ich so that, schüttelte der Schmied den Kopf, und der Leutnant sah ganz wehmütig darein, und endlich flüsterte auch der letztere: »Gebt Euch keine Mühe, Kamerad, das arme Kind wird nicht antworten; laßt sie im Schatten, die Arme.«

      Im jähen Schreck fragte ich: »Ist sie stumm?«

      »O nein,« seufzte der Leutnant und blies dichtere Rauchwolken aus der kurzen Pfeife, auf deren Kopf der Herzog von Wellington abgemalt war. »Sie ist nicht stumm; aber – aber – ach Kamerad, ich will Euch später einmal das Nähere darüber erzählen, ‘s ist eine traurige Geschichte. ‘s ist schon ein hohes Wunder, daß Euch die Annie den Sessel reichte – Gott segne Euern Eintritt in dieses Haus, Kamerad.«

      Ich hätte mich mit solchen unbestimmten Worten, die mir so schwer, so seltsam auf das Herz fielen, gewiß nicht beschieden, wenn nicht ein neuer vor dem Regen Schutzsuchender im Trabe vor


Скачать книгу