Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe

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Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe - Wilhelm  Raabe


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      O, wer doch dieses Rätsel lösen könnte! Zweihundert Jahre alt ist dieses Bild, und der Maler hat das lebendige Ännchen gemalt; nicht das kranke Ännchen, sondern das Ännchen, wie es aussehen wird, wenn alle bösen Geister und Gespenster vor meiner Liebe die Flucht genommen haben werden.

      Seltsam, seltsam, Severus! Dunkel und ahnungsvoll ist meine Seele; – welch ein Geschick birgt der Wald für mich und den Findling in seiner Tiefe? Dunkel und ahnungsvoll ist meine Seele, und dunkel, immer dunkler wird der Himmel über dem Walde. Es ist schwül, und ein Sturm zieht sich zusammen. Das Volk auf dem Trautenstein hat seine Arbeiten entweder ganz eingestellt, oder beschäftigt sich doch nur auf eine Weise damit, welche einsehen läßt, daß es nur halb dabei ist. Man schleicht umher, man sieht nach den Fenstern und Fensterladen; man betrachtet bedenklich die schwarzen, schweren Wolken; – man wartet! Wenn es doch nur erst losbräche!

      Unerträglich ist dieses bängliche Harren auf das Verhängnis. Ist es nicht seltsam, daß in diesem Augenblick von allen Leuten auf dem Trautenstein das Ännchen am wenigsten das nahende Gewitter auf der Seele fühlt? Sie sitzt in einer Fensterbrüstung, hoch oben im Südturm. Als die ersten schweren Tropfen niederschlagen, streckt sie die Hand in die Luft hinaus, um einige derselben aufzufangen. Sie verläßt ihren luftigen Sitz auch dann nicht, als endlich, endlich der erste Donner langhallend durch die Thäler rollt. –

      Bis tief in die Nacht hinein hielt das Gewitter an. »Es habe sich zwischen den Bergen gefangen,« sagte der Förster. »Das sei immer so; wenn es komme, so komme es ordentlich.«

      Wie das rauschte und plätscherte, rollte, krachte, knatterte! Wie das in den Tannen sauste! In der weiten Schenkstube sammelte sich alles um die Lampe, welche die Base Kaltenborn anzündete. In dem Durcheinanderklingen der Elemente suchte ein jeder Schutz bei dem anderen. Die einen saßen stumm und starr in den Winkeln, andere beteten leise vor sich hin, wieder andere liefen unruhig auf und ab. Nur wenige zuckten mit Gleichmut die Achseln und hielten sich an den Trost, daß die hohe Forstdirektion im vergangenen Jahre einen Blitzableiter am Nordturm des Trautensteins habe anbringen lassen.

      Ich sprach mit dem Vetter Kaltenborn über diesen Blitzableiter und kam von diesem Gesprächsthema auf ein anderes, ein verrostetes Hufeisen, welches über dem Hofthore befestigt war. Dasselbe hatte meine Aufmerksamkeit gleich beim ersten Anblick auf sich gezogen; ich hielt es für ein aus dem frühesten germanischen Heidentum herübergekommenes Zeichen vom Dienst des Wodan, für ein Schutzmittel gegen das wütige Heer, gegen den wilden Jäger und anderen geisterhaften Spuk.

      Diese Vermutung sprach ich gegen den Vetter Kaltenborn aus, aber der Waldmann schüttelte den Kopf und sagte:

      »Nein, nein, Herr Kollaborator, damit hat’s eine ganz andere Bewandtnis. So etwas hängt nicht an dem alten Eisen; aber wohl eine merkwürdige Geschichte, deren Wahrzeichen es ist. Lassen Sie sich von meiner Mutter erzählen, was es damit auf sich hat. Es ist recht ein Wetter dazu.«

      »Ja, die Großmutter erzählt gut!« rief der Leutnant Bart. »Laßt Euch die Hufeisengeschichte von ihr erzählen, es wird Euch nicht gereuen.«

      Ich wandte mich bittend an die alte Frau; das Ännchen drängte sich dicht an meine Seite, und aus dem fernsten, dunkelsten Winkel des Gemaches fing eine geisterhafte, zitternde Stimme ganz leise an zu erzählen. Und die Spinnräder schnurrten, und der Regen rauschte, und der Donner rollte.

      »Jesus Maria! … Schütz uns Gott!« schrie es dann und wann auf, wenn ein neuer Blitz herabzuckte.

      Aber die geisterhafte, zitternde Stimme erzählte weiter. Was ich zu hören bekam, das wirst Du auf den folgenden Seiten finden. O Severus, Severus, immer geheimnisvoller winkt’s und deutet’s aus dem Waldesdunkel hervor. Mir winkt es, mir deutet es, allen anderen verborgen! Ich komme mir oft selbst recht thöricht vor; aber wie ich es auch versuchen mag, auf keine Weise kann ich diese Geistesstimmung, die mich zwingt, alles was geschehen ist und nicht geschehen ist, alles was geschieht und nicht geschieht, auf das Ännchen zu beziehen, abwerfen. Wenn man ein Rätsel zu lösen hat, sucht man überall Bezüge; und von neuem und immer wieder wiederhole ich, das süßeste, rührendste Rätsel ist mir das Ännchen.

      Was hat nur die Geschichte vom Hufeisen von Trautenstein mit dem Ännchen zu thun?

      Im Jahre 1703, im Herbst war’s; da saß, nachdem auch ein Gewitter, wie das heutige, vorübergezogen war, das Volk, welches damals den Trautenstein bewohnte, in dem Gemache, welches heute die Schenkstube ist, zusammen. Der Mond schien, nachdem das Gewitter vorübergezogen war, hell in die Fenster; die Mädchen und Frauen sangen und spannen, und die Männer schwatzten von diesem und jenem, bis die Rede auf den wüsten Ort kam. Da brachen die Weiber ihren Gesang ab, eine Stimme verstummte nach der anderen, und zuletzt führte nur noch die hellste und wohltönendste die Melodie vom »Schürz Dich, Gretlein,« fort. Diese helle, mutige Stimme gehörte der Marie an, der jungen Magd des damaligen Försters, die ihren versprochenen Schatz nicht freien konnte, weil beide blutarm waren; die aber doch darum den Kopf nicht hängen ließ, sondern fest darauf baute, daß ein mutig fromm Herz allen Widerstand der Welt überwinde. Försters Marie hatte schon manchen faulen, feigen Burschen durch ihre frische Herzhaftigkeit beschämt; was sollte sie ihr Lied abbrechen, wenn sich auch alle anderen vor dem wüsten Ort grauten? …

      Ich war gestern mit dem Ännchen auf dem wüsten Ort. Jetzt ist da alles mit Grün zugewachsen, kaum daß hie und da noch ein altes Gemäuer aus dem Gebüsch hervorragt. Aber wie damals, so erzählt man auch heute noch unheimliche Dinge von dieser Stelle, und manche Sage hängt darüber, wie sich Spinngeweb über eine dunkle Ecke hängt. Ein reiches Dorf stand hier einmal; aber im dreißigjährigen Kriege, in der »Schwedenzeit« ist es »niedergegangen«. Viele Greuel sind hier geschehen, und obgleich der Wald über die Trümmer und das Blut gewachsen ist, so haben die Toten doch bis heute noch keine Ruhe in ihren Gräbern, sie gehen um und umschweben in nächtlicher Weile, manchmal aber auch am hellen, lichten Tage, den wüsten Ort; und manch einer hat Erfahrung davon.

      Ist nicht der Susanne am hellen Tage, im Herbst des Jahres 1809, mittags um zwölf Uhr, als die Sonne hell schien, ein solcher Spuk begegnet? Ist nicht der Pastor des wüsten Dorfes vor ihr hergegangen, – ein alter Mann im schwarzen Predigergewand mit einer weißen Halskrause und Blutflecken darauf? Ist nicht das Gesicht der Erscheinung weiß gewesen, wie ein Totengesicht, und ist nicht der Priesterrock zerrissen und voller Brandflecke gewesen? Hat der Spuk nicht die Bibel im Arm gehalten, und ist er nicht langsam durch den Wald gegangen bis zu der Stelle, wo einst die Kirche des verlorenen Dorfes gestanden hat? Hat er da nicht die Susanne ganz starr angesehen und mit der Hand gewinkt, und ist er nicht verschwunden darauf, als ob ihn die Erde oder die Luft verschlungen hätte?

      Halb wahnsinnig vor Angst ist die Susanne durch den Wald gestürzt, am folgenden Tage aber sind die westfälischen Gendarmen auf den Trautenstein gekommen und haben den daselbst versteckten Konrad, den Schillschen Reiter, gefunden und haben ihn zwischen den Pferden gefesselt fortgeführt, und der Herr von Rhoda, der westfälische Jägerhauptmann, hat sie kommandiert und hat nachher auch mit Kriegsgericht gesessen, welches den armen Konrad zum Tode verurteilte.

      Ein Herr von Rhoda in schwedischen Diensten hat auch im dreißigjährigen Kriege den Überfall geleitet, bei welchem das Dorf zu Grunde ging. Durch die Jahrhunderte ist dieses Geschlecht, nach dem Willen des Geschicks, immer wieder von neuen mit der Geschichte dieses Waldschlosses verbunden gewesen, seit es für eine aus diesem selben Geschlecht aufgebaut wurde. –

      Also in der Mitte des Sommers 1703 kommt in der Mondscheinnacht, nach dem Gewitter, die Rede auch auf den wüsten Ort, und jeder im Kreis weiß ein schaurig Wörtlein davon zu sagen, und ein jedes graut sich immer mehr und flüstert immer leiser, und nur die Räder schnurren nach gewohnter Art fort; nur die Marie bringt fröhlich ihr Lied zu Ende und lacht die anderen aus, reißt ihr Fädlein ab und ruft:

      »Ach, ‘s ist alles eitel dumm Zeug mit dem wüsten Ort! Was hat’s sich da mit Grauen und Gruseln und alten Lügengeschichten? Mir ist mein Lebtag noch kein Spukding um die wüsten Trümmerhaufen erschienen. Und wenn’s geschehen wär’, so hätt’ ich ihm schön heimleuchten wollen.«

      Da sehen sich alle anderen scheu um, und dann reden sie leise auf das kühne Mädchen ein:


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