Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe

Читать онлайн книгу.

Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe - Wilhelm  Raabe


Скачать книгу
sich an den Tisch, legt den Kopf auf beide Arme und weint. – Ich dachte, der Himmel fiele über mich – – – der und weinen!

      ›Der andere!‹ stöhnte mein Alter in sich hinein, und ich fiel in Ohnmacht zu Boden.

      Da vor der großen Franzosenstadt Paris muß ein Berg sein – ich kann den Namen nicht ordentlich aussprechen –, von wo man die Stadt ganz übersehen kann. Da schossen sie zum letztenmal aufeinander, und da ist auch dem Willem eine Kugel mitten durch die Brust gegangen, wie der Kamerad schrieb, und ist er da begraben mit vielen, vielen andern aus Deutschland. – Das ist meine Geschichte! Den Franzosen aber kurierten wir aus, und mein Alter gab ihm einen Zehrpfennig und brachte ihn an das Tor, wo der Weg nach Frankreich geht, den auch meine Jungen gezogen waren, sah ihn da abhumpeln und kam wieder nach Haus, murmelnd: ›Nit raus, nit raus!‹ – Gott hab ihn selig, den Mann, es war ein wunderlicher, dein Vater, Annchen.«

      So erzählte die alte Margarete Karsten, und wir alle saßen um sie herum, als sie geendet hatte, jeder seinen eigenen Gedanken nachhängend. Der Meister hatte längst seine Zeitung weggelegt, und auch die Gesellen, die nach und nach eingetreten und gewöhnlich ziemlich fröhlich und laut waren, standen und saßen diesmal ganz still umher.

      »Nun will ich noch was erzählen!« rief plötzlich die Alte, deren Augen durch die wachgewordenen Erinnerungen in einem seltsamen Glanz leuchteten. »Ich will was erzählen, was lange nachher geschah und doch mit dazu gehört! – Wenn die Fensterscheiben nicht so gefroren wären, könntet ihr den Turm der neuen Sophienkirche sehen, die gebaut wurde, nachdem die alte abgebrannt ist. In der alten war’s, wo eine Tafel an der Wand hing, wo die Namen aller der drauf standen, welche in dem Franzosenkriege aus unserm Viertel gefallen waren und worunter auch meine Jungen waren: Ludwig Friedrich Karl Karsten und Wilhelm Johannes Albert Karsten. Die Tafel hatten wir unserm Kirchstuhl grade gegenüber, und des Sonntags schauten wir immer darauf und dachten an unsre braven Jungen, und mein Alter war stolz auf die Tafel und ich auch, wenn ich auch genug darüber geweint hatte und noch weinte. Aber es blieb nicht so bei meinem Gottfried. Es kam eine Zeit, da schlich er an der Tafel vorbei, ohne aufzukucken, und wenn wir an unserm Platze saßen und sein Blick fiel mal drauf hin, sah er schnell weg oder auf den Boden oder murmelte etwas, was ich nicht verstand.

      Gut, eines Tages gegen Abend stand ein schreckbares Gewitter über der Stadt; es donnerte und blitzte unbändig, und auf einmal hieß es: in der Sophienkirche hat’s eingeschlagen! – Richtig – da brannte sie lichterloh. Mein Alter, der sonst bei so was immer vorn dran war, rührte diesmal nicht Hand nicht Fuß, und es hätte auch nichts geholfen. Er hatte mich unterm Arm, und wir standen in der Menschenmenge und sahen zu. Auf einmal schwankt der Turm, der wie eine Fackel war, hin und her und stürzt dann herunter auf das Kirchendach mit einem Krach, daß Menschen und Pferde in die Kniee schossen und ich mit. Mein Alter aber blieb aufrecht stehen und kehrte sich um und brachte mich nach Hause. Als wir in unserer Stube waren, ging er den ganzen Abend auf und ab, bis er plötzlich vor mir stehenblieb und sagte:

      ›Mutter, gottlob, die Tafel ist verbrannt! Mutter, ich konnt sie nicht mehr ansehen! – Gute Nacht, Mutter!‹ – Ich verstand ihn gar nicht und fragte, was das bedeuten solle, aber er schüttelte nur mit dem Kopf und ging zu Bett. Und das will ich auch tun, mein Flachs ist alle! Gute Nacht, ihr Herrn, gute Nacht, Kinder! – Komm, Annechen!« – Damit erhob sich die alte Frau und ging, auf ihren Stock und den Arm ihrer Tochter gestützt, hinaus ihrer kleinen Kammer zu, um von ihrem alten Gottfried mit dem eisernen Herzen, um von den beiden erschossenen Freiheitskämpfern weiterzuträumen. Der Karikaturenzeichner machte heute abend keinen Witz mehr, der Meister sog an der erloschenen Pfeife. Es war, als wage keiner sich von seinem Platz zu rühren; es war, als müsse nun gleich die Tür sich öffnen und der alte gewaltige Mann hereintreten mit dem schwarzen Reiter und dem grünen Jäger an seiner Seite, von denen der eine an der Oder und der andere dicht vor Paris begraben liegt auf dem Montmartre.

      »Ich weiß, warum der Meister Karsten die Tafel nicht mehr ansehen konnte!« rief plötzlich eine klangvolle Mannsstimme, daß alle fast erschrocken aufsahen. Es war Rudolf, der Altgeselle, der sich in seinem Winkel hoch aufgerichtet hatte.

      »Ich auch!« rief Bernhard, der zweite Gesell, seinem Gefährten die Hand auf die Schulter legend.

      »Ich auch!« rief Strobel aufspringend. »Wieviel Wissende noch?«

      »Ich auch!« rief der Meister. »Ich auch!« sagte ich. »In dem Wissen liegt die Zukunft – Gott segne das Vaterland!« Und dann – – – kam die Meisterin mit den Kartoffeln.

      Am 10. Februar.

      Und wieder überschreibe ich ein Blatt der Chronik:

       Elise.

      Wir haben gejubelt und gelacht, auch wohl geweint über kleine Schmerzen und verunglückte Freuden! – Wie die Jahre kommen und gehen!

      Der Efeu hat nun eine ordentliche, schattige, grüne Laube gebildet; rote und blaue Wachsbilder hat eine kleine schmückende Hand zwischen das Blätterwerk gehängt; wieder flattert ein zahmer Kanarienvogel in der Stube hin und her, von meinen Büchern und Schreibereien auf eine hübsche runde Schulter im Fenster oder auf einen niedlichen Finger, der ihm winkend hingehalten wird. – Elise ist nun dreizehn Jahr alt auf den Blättern dieser Chronik. Oft, wenn ein lustiger Sonnenstrahl über das Blätterwerk schießt, zwitschert wohl Flämmchen – so heißt der neue kleine Freund – fröhlich auf, hüpft aus seinem Bauer, dreht das Köpfchen mit den funkelnden kohlschwarzen Äuglein einigemal hin und her und flattert dann zum offenen Fenster hinaus. Einen Augenblick glänzt es, hin und her schießend, wie ein Goldpünktchen im Sonnenschein, dann flattert es nach der jenseitigen Häuserreihe und verschwindet in einem Fenster des mittleren Stockwerkes in Nr. zwölf. Von dort ward es herübergebracht, auch dort hat es ein kleines Messingbauer.

      Neue Gesichter sind aufgetaucht, neue Fäden schlingen sich wundersam in unser Leben und damit heute an diesem regnichten, windigen Februartage auch in diese Blätter.

      Was tot war, wird lebendig; was Fluch war, wird Segen; die Sünde der Väter wird nicht heimgesucht an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied!

      Eine helle, frische Stimme erschallt unten im Hause; ein leichter Schritt kommt die Treppe herauf – Elise horcht. Nach einigen Minuten erschallt plötzlich draußen ein Gepolter, Marthas Stimme läßt sich hören, klagend und ärgerlich. Da ist er – der Taugenichts der Gasse!

      Die Tür wird halb aufgerissen, und herein schaut ein lachendes, kerngesundes, mit unzähligen Sommerflecken bedecktes Knabengesicht.

      »Nun, Gustav, was gibt’s wieder?«

      »O gar nichts!« sagt das mauvais sujet, den Mund von einem Ohr bis zum andern ziehend, während Martha jetzt kläglich draußen nach Elisen ruft. »Was mag er nur angefangen haben?« sagt diese aufspringend und hinausgehend. Ein helles, herzliches Gelächter, in welches ich sie draußen ausbrechen höre, zwingt auch mich, von meinen Büchern aufzustehen, während Gustav sich ganz ehrbar in einen Band von Beckers Weltgeschichte vertieft zu haben scheint. Ich nehme die möglich ernsteste Miene an und schreite hinaus. Welch ein Anblick erwartet mich!

      Die gute Alte hat höchst wahrscheinlich ihre Mittagsruhe gehalten und ist, das Strickzeug im Schoß, eingeschlafen. Diesen günstigen Augenblick zu benutzen, hat der Taugenichts, der vielleicht mit sehr guten Vorsätzen die Treppe heraufkam, doch nicht unterlassen können.

      Festgebunden sitzt die Unglückliche in ihrem Stuhle; Handtücher, Bindfaden, das Garn ihres Strickzeuges, kurz alles nur mögliche Bindematerial ist benutzt, sie unvermögend zu machen, sich zu rühren. Vor ihr auf einem noch dazu sehr zierlich gedeckten Tischchen steht ein großer Napf Milch, der höchst wahrscheinlich zu den wichtigsten kulinarischen Zwecken bestimmt war, und um ihn im Kreis sitzt schlürfend und schmatzend – die ganze Katzenwelt des Hauses, von Zeit zu Zeit einen höhnenden Blick nach dem Lehnstuhl werfend, wo die gefesselte Küchentyrannin strampelt und droht in wahrhaft tantalischen Qualen.

      »Lieschen – so jag sie doch weg – (Elise hat vor Lachen die Kraft gar nicht dazu und sitzt atemlos auf einem Schemel) – o der Schlingel – aber, Herr Wachholder, jagen Sie sie doch weg – es bleibt ja nichts übrig


Скачать книгу