Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe

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Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe - Wilhelm  Raabe


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Sommer könntet Ihr da unten rechts den Hurlebach und das Geklapper der Papenmühle hören; jetzt aber müssen wir selbst Lärm machen! Ist es nicht, als ob jeder Ton in der Welt auf Nimmerwiederfinden sich versteckt habe?« rief der Forstmeister. »Hallo, Christoffel, nicht einschlafen! … Trara – trarara! Was für seltsame Gesichter der Zeitungsschreiber schneidet! Wartet nur, Max, bei den drei Lilien halten wir an und lassen die Pferde verschnaufen.«

      Hatte der Alte, was das Gesichterschneiden anbetraf, wohl recht? – Es sang und klang mir in den Ohren, es schwirrte mir vor den Augen; es war mir wohl, es war mir weh zumute. »Das Horn, das Horn! Geben Sie mir einmal das Horn, Forstmeister!« rief ich – setzte das Instrument an den Mund, und in den tollsten Tönen und Tonversuchen jubelte ich meine Gefühle in die Welt hinein, machte ich meinem gepreßten Herzen Luft. –

      Der Wind spielte mit ihren schwarzen Locken, und sie lächelte in ihrer wehmütigen Trauer, und die Sonne lächelte auch über die wunderlichen Menschenkinder und funkelte durch die blitzenden Zweige über uns. Die Pferde wieherten und griffen lustig aus, daß der von den Hufen emporgeschleuderte Schnee über die Wolfsdecke des Schlittens flog; die Glöckchen klingelten, knallend schwang Christoffel die Peitsche.

      »Galopp! Galopp!« rief der Forstmeister jauchzend.

      »Galopp! Galopp!« rief auch ich:

      »Ein wilder Sturm

       Faßt mich und hebt mich,

       Trägt mich empor

       Über Menschenschicksale

       Und Menschenweh!

       Völker und Könige

       Kämpfen da unten

       Auf der kleinen Erde

       Ihre kleinen Leiden!«

      »Er wird verrückt, rein verrückt!« schrie der Forstmeister. »Halten Sie ihn am Rockschoß, Cäcilie! Er wird sogleich aus dem Schlitten springen!«

      »Aber ich, dem die Götter

       Die herrlichste Krone,

       Die Krone der Liebe,

       Auf die träumende Stirn drückten:

       Über den Wolken,

       Über den Wettern

       Streck’ ich die Hand aus,

       Und aller Kampf,

       Und aller Schmerz,

       Und aller Zwiespalt

       Im Himmel und auf Erden,

       Über mir, unter mir

       Wird Harmonie,

       Wird seliger Frieden,

       Wird schönste Ruhe –«

      »So was ist mir in meinem Leben noch nicht vorgekommen, und ich habe doch manche liebe Stunde, bei Tag und Nacht, auf dem Anstand zugebracht!« lachte der Forstmeister. »Christoffel, was sagst du, hast du jemals so was gehört?«

      »Wenn’s der Herr Forstmeister erlauben, so muß ich sagen, daß es sehre schöne war – mit Erlaubnis zu sagen, das geht noch übern Pastor, das geht auch noch übern Supern’denten.«

      »Hurra, die drei Lilien! Da wird der Wald licht!« rief der Forstmeister. »Gebt acht, Max Bösenberg, jetzt werde ich Euch ein ander Liedlein singen. Schreie mit, Stoffel, du hast einen gar nicht übeln Brummbaß!«

      Mit rauher Stimme begannen die beiden alten Knaben ihren Lobgesang, jeden Vers mit dem andern durch eine kunstvolle Hornpassage verbindend:

      Ich weiß im Wald ein kleines Haus,

       Weitab vom Pfad gelegen;

       Da schaut ein Mägdlein schmuck heraus:

       »Gruß dir auf deinen Wegen!«

      Im kleinen Haus das Mägdelein

       Hat Augen hell und klare,

       Ihre Lippen rosig und küßlich sind,

       Und golden glänzen die Haare.

      Mein Jäger jung, mein Jäger fein,

       Tut nicht vorüber fahren,

       Ich fang’ Euch mit den Augen mein,

       Bind’ Euch mit meinen Haaren« …

      »Hurra! Halali! Da sind wir! Grüß Euch Gott, Frau Wirtin zu den drei Lilien! ‘s ist ein schmuck Zeichen mitten im Schnee. Brr! brr! ein gesund Wetter!«

      Gern hätte ich das Lied von der Maid und dem Jäger zu Ende gehört, aber der Forstmeister und sein Christoph hatten jetzt Wichtigeres zu schaffen. Dampfend und schnaubend hielten die Pferde vor der lustigen Schenke im Torenwinkel bei den drei Lilien an, und das junge Wirtspaar sprang vor die Tür, uns zu begrüßen. Mit Erlaubnis des schmunzelnden Ehemannes bekam der Forstmeister wirklich einen tüchtigen Schmatz von den Lippen der jungen Hausfrau, die in der Tat rot und küßlich waren, wenn auch die Haare nicht mit dem Lied stimmten, indem sie ein klein wenig heller als das hellste Blond schimmerten.

      »Sie kommen grad noch zur rechten Zeit. Horch, da läuten sie in Rulingen zum erstenmal in die Kirch!« sagte der junge Wirt, und leise, leise drang der Glockenton durch den Wald zu uns herüber.

      »Wetter, dann müssen wir doch einmal den Pferden etwas bieten, Christoph!« rief der Forstmeister. »Das wäre ja eine saubere Geschichte, wenn sie die Taufe ohne uns abmachen müßten! Herrgott, und der Junge soll doch Leberecht heißen, wie ich – Stoffel, Stoffel, aufgesessen– – aufgepaßt! Da ist noch ein Glas, Herr Wirt – ganze Batterie, vorwärts Marrrsch! Trarara! trarara! trarara!«

      Der Wirt zu den drei Lilien schwang grüßend die weiße Zipfelmütze, die Frau Wirtin hielt kichernd und errötend die Schürze vor das Gesicht, als ihr der lustige Forstmeister noch etwas zuflüsterte, wovon ich nur die Worte verstand: »Käthchen Rösener – gutes Exemplum – komme – aber nur wenn’s ein Mädel ist – Hab’ der Buben jetzt genug!«

      Weiter, weiter, den Klängen der Dorfglocke entgegen, die bei jeder Biegung des Weges ferner oder näher erklingen! Es wird allmählich sehr kalt, und Cäcilie läßt fröstelnd den Schleier wieder herabsinken.

      »Bald sind wir erlöst, arme Cäcilie; sie werden’s hoffentlich recht hübsch warm und behaglich im Pfarrhause haben.«

      »Ich freue mich recht!« ruft Cäcilie, und der Forstmeister wickelt sich fester in seine Pelze. Auch ihm frieren, wie weiland dem edlen Herrn von Münchhausen, die Melodien fest im Waldhorn, und nur Stoffel läßt noch frisch seine Peitsche knallen und grinst mich über die Schulter Cäciliens wohltuend gesund und dumm an.

      Jetzt überfuhren wir den gefrornen Hurlebach.

      »Rulingen!« rief der Forstmeister von Altenbach, und stieß noch einmal mit aller Kraft seiner Lungen in das Horn. Dicht vor uns läuteten die Dorfglocken – der Wald lag hinter uns, vor uns das Dorf, und lustig klingelten wir den Abhang hinunter, hinein in den einsamen, vergessenen Waldort und das Verhängnis! Da hielten wir vor dem kleinen, mir so wohl bekannten Pfarrhaus, dicht neben der winzigen Kirche und dem Kirchhof. – Da waren wir in den Armen der Freunde! – Der Forstmeister hob das Käthchen samt dem Täufling zu seinem Schnurrbart empor; Cäcilie wurde von einer freundlichen alten Frau, der Mutter meines Jugendfreundes Arnold Rohwolds, des Pfarrers zu Rulingen, zwischen Lachen und Weinen in Empfang genommen, mich hatte der rotköpfige Konrad gepackt – wir befanden uns in der warmen festtäglichen Studierstube des Pfarrers, ohne zu wissen, wie wir dahin gekommen waren. Da war der schreiende Täufling in seinem rosenroten Kleidchen, und die Margarethe aus dem Himmelreich, und Sultan, Karo und Wächter, die drei Hunde aus dem Jägerhaus! Aber wo war denn der Herr Pfarrer?

      In den fröhlichen Lärm, welcher die Studierstube desselben erfüllte, klang jetzt feierlich die Orgel und der Gesang der Gemeinde aus der nahen Kirche herüber; die Stimmen der Fragenden und Antwortenden sänftigten sich – jeder gab seine Freude, sein Wohlbehagen leiser kund, und nur die Hauptperson der Feierlichkeit hatte das Recht, so viel Lärm als möglich zu machen, und ließ sich dieses Recht auch nicht nehmen. Die Mutter Rohwold kam und ging auf


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