Das österreichische Antlitz: Essays. Felix Salten

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Das österreichische Antlitz: Essays - Felix Salten


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bei den Windischgrätz-Dragonern. Und dann ist ihr Mann gestorben. Wenn ich sie heute angesprochen hätte, und hätte ihr erzählt, daß ich ihr ganzes Leben kenne und daß ich sie geliebt habe, was für Augen hätte sie gemacht! So was kann man freilich nicht tun; und ich bin auch gar nicht der Mann dazu. Aber wer weiß, wie gut wir jetzt miteinander reden würden.

      Denn ich glaube wohl, daß ich imstande wäre, mit so einer Dame zu sprechen, ohne einen Fehler zu machen. Und ich denke, auch meine Kleidung ist elegant genug, um in besseren Kreisen zu verkehren. Auf anständige Manieren habe ich nämlich immer sehr acht gegeben, und auf gute Kleider habe ich immer sehr viel gehalten. Es war das erste, was ich getan habe, wie ich fix angestellt worden bin, daß ich mich mit einem Schneider auf Monatsraten verständigte. Und seitdem bin ich immer sehr fein angezogen gewesen. Auch habe ich immer nur in noblen Lokalen verkehrt. Natürlich nur in Kaffeehäusern, denn die Restaurants sind ja doch für meine Verhältnisse zu kostspielig. Aber darauf kommt es gar nicht an. Was hat man denn von einem Restaurant? Man ißt, steht auf und geht wieder fort. Zu diesem Zweck genügt mir doch mein Gasthaus in der Piaristengasse, wo ich abonniert bin, und wo ich schon seit Jahrzehnten alle Tage um drei Uhr, nach dem Bureau, speise. Aber mit dem Kaffeehaus ist das etwas anderes. Und im Café Imperial oder im Pucher hat man mich immer für einen Baron gehalten.

      Selbstverständlich habe ich die Baronin Ruttersdorf nicht angesprochen und werde sie auch niemals anreden. In diesem Leben nicht. Vielleicht, daß wir uns einmal in einer anderen Welt begegnen. Da würden wir freilich genug Gesprächstoff haben, und vielleicht wird sie sich dann mit mir sogar lieber noch unterhalten als mit ihrem Herrn Gemahl. Hier aber bleibt es schon beim Alten. Denn da müßte ich gar viele Leute ansprechen, wenn ich das wollte, und finge mit jedem zu reden an, dem ich das ganze Leben zugeschaut habe.

      Ob das in einer anderen Stadt auch so ist, in Berlin oder in London, das weiß ich nicht. Aber bei uns ist es so. Man kann die Leute sehen, die interessant sind, man kann ihnen zuschauen, wie sie leben. Man lebt mit ihnen, und es ist gar nicht einmal notwendig, daß man reich ist oder vom Adel oder ein großes Tier. Ich gehöre doch gewiß nicht zur Aristokratie, aber ich kenne trotzdem alle. Ich kenne sie, wie sie jung waren, sehe ihnen zu, wie sie alt werden, sehe ihre Kinder heranwachsen und dieselben Geschichten machen. Ich habe nie so viel Geld gehabt, um alle Augenblick in Kunstausstellungen zu gehen, und ich habe doch den Kanon gekannt und den Makart. Ich weiß es noch wie heute, wie er im Fiaker über den Ring gefahren ist, ein ganz kleiner, schlanker Herr. Im Theater bin ich auch fast nie gewesen, und habe doch alle gekannt und gesehen; die Wolter, wie sie den Grafen O'Sullivan geheiratet hat, und die Geistinger, und wie der Girardi berühmt geworden ist, und alle miteinander. Woher ich sie kenne, das vermöchte ich nicht einmal zu sagen. Vielleicht macht es die Übung, wenn man so viele Jahre Tag für Tag durch die Stadt geht. Da findet man die berühmten Gesichter einfach heraus; und da weiß man auf einmal den Namen; und dann sieht man die Leute wieder und wieder, bis man ihnen zuletzt alles von ihren Gesichtern, von ihrem Gang, von ihrer Haltung ablesen kann, was sie erleben. So oft ich in dieser langen Zeit meinen Spazierweg gemacht habe, immer bin ich davon angeregt und zerstreut worden, immer habe ich mich glänzend unterhalten, immer habe ich das Gefühl gehabt, daß ich in einer vorzüglichen Gesellschaft verkehre. Und dazu braucht man wirklich keine Reichtümer. Was will man denn mehr?

      Wenn ich mich so erinnere, wie ich als junger Mensch nach und nach gelernt habe, die Augen aufzumachen … Ich bin zwar in ganz einfachen Verhältnissen aufgewachsen, aber gespürt habe ich doch, was es für schöne Dinge gibt in der Welt. An einem Sonntag, wenn die Stadt ganz still ist, da habe ich stundenlang herumgehen können und mir die alten Palais anschauen; die Portale, und der Blick, der sich in die weiten Höfe erschließt, und dann die hohen Fenster und die Figuren drauf. Dann die engen Gassen, so um die alte Universität herum. Und wie lang bin ich immer auf dem Burgplatz gestanden, vor dem Eingang zum Schweizerhof. Wie gut kenne ich den Burgplatz. An frühen Winterabenden zum Beispiel, wenn der Schnee wie ein weißer ausgebreiteter Teppich den ganzen Platz überspannt, wenn die grauen Fronten schimmern, und wenn hier alles so abseits, so wie in einer anderen Welt ist. Oder an Nachmittagen im Hochsommer, wenn man weiß, der Kaiser ist nicht da, und alles, was sich regt, ist nur Dienerschaft. Wenn dieser Platz mit der Wache und den Gendarmen und den verhängten Fenstern so was Träges und Schläfriges hat. Und dann die Sommerabende draußen auf dem äußeren Burgplatz, wenn der Himmel so schön weit ist, und wenn in der Ferne die Dächer der Vorstadt glänzen. Wieviel habe ich sehen gelernt, seit ich ein junger Mann war und jeden Tag nach dem Bureau spazieren gegangen bin; und wieviel könnte ich sagen. Aber ich möchte nur bemerken, daß in diesen jungen Jahren gerade durch meine Spaziergänge viele Eigenschaften in mir entwickelt wurden. Der Burgplatz zum Beispiel, der Graben, der Kohlmarkt, … da habe ich nach und nach einen Sinn für Anstand bekommen, ganz unwillkürlich; eine Neigung zu besseren Lebensformen und eine gewisse Empfindlichkeit gegen das Ordinäre und gegen das Geschmacklose.

      Ich möchte bemerken, daß die Menschen, die ich täglich sah, einen gewissen Zwang auf mich ausgeübt haben. Ich hätte mich geschämt, unordentlich oder aufdringlich angezogen unter ihnen zu erscheinen. Wenn ich mein Bureau verlassen und gespeist hatte, dann lief ich in die Stadt, um das glänzende Leben zu sehen. Ein junger Mensch will eben sein Vergnügen haben. Und mir war es ein Vergnügen, mir ist es heute noch eines. Meine Freude am Luxus wurde mit jedem Tage mehr und mehr geweckt. Und ich brauchte nur spazieren zu gehen, um diesen Luxus zu genießen. Nehmen wir die Fiaker. Ich bin selbst nur drei- oder viermal in einem Fiaker gefahren, aber ich verstehe, daß es sehr schön ist, wie leicht solch ein Wagen rollt; wie die Pferde gleichmäßig traben, wie das um die Ecke biegt, dahersaust, verschwindet. Ich brauche das nur anzuschauen, und genieße die Annehmlichkeit, die in einem so famosen Fuhrwerk liegt. Und ich schaue es mir heute noch aufmerksam an, es unterhält mich jedesmal. Nehmen wir die Burg und die Oper. Ich kann es an meinen Fingern abzählen, wie oft ich drin war. Aber unzählige Male bin ich nach der Vorstellung im Opernvestibül gestanden und habe mir die vornehme Welt angeschaut, und bin wie nach einer glänzenden Unterhaltung heimgegangen, wenn ich dieses prachtvolle Gedränge schöner Frauen und eleganter Herren die majestätische Logentreppe herunterströmen sah, und das Schauspiel der geschäftigen Lakaien. Im Sommer, wenn man keine Überkleider mehr in der Garderobe abzulegen braucht, bin ich oft ins Burgtheater, habe mir die Treppenhäuser angesehen, bin im großen Foyer herumspaziert, mitten unter dem Menschenschwarm. Wenn dann der Zwischenakt vorbei war, stürzten die Leute wieder in den Zuschauerraum. Ich aber entfernte mich und hatte wieder einen Genuß gehabt. Wäre ich beständig im Fiaker gefahren, wäre ich alle Tage ins Theater gegangen, mit einem Wort, wäre ich reich gewesen, wer weiß, ob sich nicht alles für mich mit der Zeit abgestumpft hätte. So aber habe ich immer nur den besten Schaum von den Dingen gekostet, habe mir alle Genüsse in meiner Phantasie noch herrlicher ausgemalt, als sie vielleicht in Wirklichkeit sind, und so hat bis heute nichts von alledem seinen Reiz verloren.

      Als junger Mensch bin ich oft in der Stadt herumgelaufen und habe geglaubt, es müsse mir etwas Wunderbares begegnen, es müsse sich etwas Herrliches plötzlich mit mir ereignen. Irgendetwas, das mit schönen Frauen, mit Pracht und Glück, mit Palästen, mit Musik oder dergleichen zusammenhängt. Dieses manchmal ungeduldige Erwarten hat sich mit der Zeit nun freilich stark gedämpft. Ich bin heute schließlich sechzig Jahre alt. Aber noch heute, wenn ich durch die Innere Stadt promeniere, wenn ich durch das Rauschen der Ringstraße gehe, wenn so viele schöne Frauengesichter an mir vorübergleiten, dann ist mir, als sei noch manche verborgene Möglichkeit irgendwo vorhanden, und als könne doch noch etwas Merkwürdiges und Festliches geschehen. Das ist gewiß töricht, ich sehe es ja ein, aber die Zeit vergeht so schnell dabei, und man fühlt sich dann so angeregt und so zufrieden.

      Ich bin sechzig Jahre alt und weiß, daß vieles für mich vorüber ist. Ich bin ein armer Teufel. Das weiß ich auch. Und ich habe nichts erreicht. Manche Leute werden finden, ich hätte keine Ursache, so zufrieden zu sein. Manche Leute werden finden, ich hätte meine Jahre besser anwenden, hätte es durch größeren Fleiß, durch höhere Strebsamkeit ungleich weiter bringen können. Und ich muß ihnen recht geben. Ich muß es um so mehr, als ich zu alledem noch weiß, daß es mir nicht an guten Talenten, an reichen Anlagen und Geschicklichkeiten gefehlt hat. Heute darf ich's ja sagen, wo es doch schon zu spät ist. Ich hätte etwas werden können in der Welt. Etwas Großes vielleicht. Sicherlich etwas viel größeres, als ich geworden bin. Aber ich muß sagen, daß


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