Schopenhauer. Kuno Fischer

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Schopenhauer - Kuno  Fischer


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abbrach und sich die weitere Korrespondenz verbat (24. September). Den letzten Druckbogen erhielt der Verfasser den 12. Dezember, als er nicht mehr in Dresden war. Das Werk erschien mit der Jahreszahl 1819.149

      Noch ehe er die Vorrede geschrieben hatte, kündigte er Goethe in dem letzten seiner Briefe (den 23. Juni 1818) sein Werk an und nannte den Titel, den außer ihm selbst und dem Verleger noch kein Mensch wisse. »Nach mehr als vierjähriger Arbeit hier in Dresden habe ich das Tagewerk meiner Hände vollbracht und so fürs erste das Ächzen und das Krächzen abgetan.« »Mein Werk ist die Frucht nicht nur meines hiesigen Aufenthalts, sondern gewissermaßen meines Lebens, denn ich glaube nicht, dass ich je etwas Besseres oder Gehaltvolleres zustande bringen werde, und bin der Meinung, das Helvetius recht hat zu sagen, dass bis zum dreißigsten, höchstens fünfunddreißigsten Jahr im Menschen durch den Eindruck der Welt alle Gedanken erregt sind, deren er fähig ist, und alles, was er später liefert, immer nur die Entwicklung jener Gedanken ist.« »Ich kann nach unsern einstigen philosophischen Dialogen nicht umhin, mir viel Hoffnung auf Ihren Beifall zu machen, falls Sie noch die Geduld haben, sich in einen fremden Gedankengang hineinzulesen.« »Meinen Weg über Weimar zu nehmen«, schrieb er in demselben Brief, »verhindern bekannte Missverhältnisse, so gern ich auch meine Schwester sähe, die ein außerordentliches Mädchen geworden sein muss, wie ich nach ihren Briefen urteile und nach ausgeschnittenen Figuren mit poetischem Text, welche mir Graf Pückler mit Ekstase vorzeigte. Der ist übrigens ein geistreicher Mensch, und ich freue mich, ihn in Rom wiederzufinden.«

      1. Venedig und Rom

      Seit dem Wechsel der Laufbahn waren elf Jahre verflossen. Jetzt war das Ziel erreicht und die Aufgabe seines Lebens in der Hauptsache gelöst. Seines Werkes froh, seines Ruhmes gewiss und einer längeren Erholung bedürftig, verließ Schopenhauer Dresden den 22. September 1818 und eilte in das gelobte Land Italien, für dessen Sprache und Literatur sein Interesse schon durch Fernow lebhaft erregt war. Bei seiner außerordentlichen Sprachbegabung ist es ihm während eines Aufenthaltes von nur acht Monaten gelungen, sich die italienische Sprache sogar in einigen ihrer Mundarten anzueignen.

      Die Reise ging über Wien und Triest nach Venedig, von dort über Bologna und Florenz nach Rom, dann nach Neapel und Bajä, Pompeji und Herkulanum, und führte ihn bis Pästum, wo er »mit Ehrfurcht die Tempel erblickte, die vielleicht Plato betreten habe«. Im Laufe des Dezember kommt er nach Rom, wo er die nächsten Monate bleibt und wohin er im April 1819 zurückkehrt, nachdem er den März in Neapel zugebracht hat. Noch vor Ablauf des Jahres hat er in Rom durch Freund Quandt das erste gedruckte Exemplar seines Werks erhalten. Er fühlt sich in Rom nicht heimisch. Die moderne Stadt und die damaligen Künstlerkreise neuchristlicher und deutschtümelnder Art stießen ihn ab und waren gar nicht geneigt, den »Jupiter tonans« humoristisch gelten zu lassen wie die Dresdner Schöngeister. Bald zirkulierten schlimme Gerüchte über seine Impietät gegen die Mutter, seinen Unpatriotismus und seinen Unglauben.150

      Dagegen war sein Aufenthalt in Venedig, wo er im Herbst 1818 und im Mai des folgenden Jahres verweilte, voll zauberischer Eindrücke; er hat in dieser märchenhaften Stadt einen Liebestraum genossen, der in seinem Leben wohl nicht der erste, auch nicht der letzte, aber vielleicht der glücklichste und erinnerungsreichste gewesen ist. Seine Schwester war von der weichen Stimmung überrascht, in welcher seine Briefe von dem geliebten Venedig und seinen dortigen Erlebnissen redeten, sie hatte ihm so leidenschaftliche Gefühle gar nicht zugetraut. Nach seiner Schilderung war die Geliebte reich und von Stand, auch bereit, ihm zu folgen, sodass einer Heirat nichts im Weg stand als sein Widerwille gegen die Ehe.

      Während Schopenhauer sich zweimal längere Zeit in Venedig aufhielt, lebte hier Lord Byron, der im Mai 1818 wiederum nach Venedig gekommen war und im Landhaus La Mira, dann im Palast Mocenigo mit venezianischen Frauen niederen Standes ein tolles Leben führte, bis er im April 1819 die Gräfin Teresa Guiccioli kennen lernte und die Liebe zu ihr dem wüsten Treiben ein Ende machte. Seine jüngsten Dichtungen waren »Childe Harold«, »Der Gefangene von Chillon« und »Manfred«.

      Schopenhauer hatte beim Antritt seiner Reise von Goethe eine Empfehlungskarte an Byron erhalten. Man weiß, welche hohe Verehrung beide Dichter füreinander, welche schwärmerische Bewunderung Goethes Schwiegertochter Ottilie für Byron hegte; diese Bewunderung wurde von ihrer vertrautesten Freundin Adele Schopenhauer geteilt, die nun mit großer Spannung den Nachrichten des Bruders entgegensah, aber zu ihrem Befremden aus seinen Briefen nichts über Byron erfuhr.

      Als er eines Tages auf dem Lido mit seiner Freundin spazieren ging, jagte plötzlich ein Reiter im Galopp an ihnen vorüber. »Ecco il poeta inglese!« rief die Freundin aus und konnte den Eindruck Byrons nicht mehr vergessen. Dadurch wurde die Eifersucht Schopenhauers dergestalt erregt, dass er die Bekanntschaft dieses großen und interessanten Dichters vermied, was er in späteren Jahren außerordentlich bereut hat. So hat er jene Begegnung einem jüngeren Freunde, dem Musiker R. v. Hornstein, erzählt und hinzugefügt, dass damals die drei größten Pessimisten der Welt zugleich in Italien gewesen seien: Byron, Leopardi und er selbst.151

      1. Kampf und Sieg

      Schopenhauer hatte Venedig verlassen und war schon in Mailand angelangt, als ihn im Juni 1819 hier ein Brief seiner Schwester mit einer schweren Unglücksbotschaft ereilte. Das Danziger Handlungshaus Ludwig Abraham Muhl & Co., dem die Mutter fast das ganze Vermögen der Tochter und den Rest des ihrigen, Arthur über den dritten Teil des seinigen zu hohen Zinsen anvertraut hatten, war zusammengebrochen. Jetzt war es Zeit nach Hause zu eilen und zu retten, was zu retten war. Als er im August nach Weimar kam, wo er Goethe zum letzten Mal sah und besuchte, waren Mutter und Schwester in Danzig. Er hatte der letzteren gleich nach dem Empfang der Nachricht geantwortet, dass er bereit wäre, das Wenige, das ihm verblieben, mit den Seinigen zu teilen (Juni 1819).

      Jenes angesehene Handlungshaus wollte sich mit den Gläubigern auseinandersetzen und eine Zahlung von 30 % leisten unter der Bedingung, dass alle ohne Ausnahme den Vergleich eingingen; im andern Fall stand zu fürchten, dass sich das Haus völlig bankrott erklärte und keiner etwas bekam, womit der ökonomische Ruin der Mutter und Schwester Schopenhauers besiegelt war.

      Er selbst bot der Gefahr Trotz und weigerte sich, den Vergleich anzunehmen; er wollte für seine Person das Abkommen weder hindern noch daran teilnehmen, sondern den Gang der Dinge abwarten und seine drei Solawechsel, die eine Forderung von 8000 Talern (zu 6 % verzinslich) repräsentierten, in der Hand behalten, um damit vorläufig, wie man im Kartenspiele sagt, »zu passen«. Er rechnete, dass der Akkord ohne ihn zustande kommen und nach Wiederaufrichtung der Firma das Haus ihm die Schuld bezahlen werde und müsse. Die Rechnung erwies sich als richtig. Sobald der erwartete Zeitpunkt eingetreten war, half den Danziger Herren kein Bitten und Sträuben, keine Versprechungen und keine Einladungen; er präsentierte einen Wechsel nach dem andern und bestand auf seiner Forderung bei Heller und Pfennig, nicht ohne heimliche Angst, um so mehr mit offenem Hohn und Spott in einer Reihe sehr grober, witziger und amüsanter Briefe. »Sollten Sie«, schrieb er den 1. Mai 1821, »doch noch Zahlungsunfähigkeit vorschützen wollen, so werde ich Ihnen das Gegenteil beweisen durch die famose Schlussart, welche der große Kant in die Philosophie eingeführt, um damit die moralische Freiheit des Menschen zu beweisen, nämlich den Schluss vom Sollen aufs Können. Das heißt: zahlen Sie nicht gutwillig, so wird der Wechsel eingeklagt. Sie sehen, dass man wohl ein Philosoph sein kann, ohne deshalb ein Narr zu sein.«152

      Er siegte vollständig. Binnen zehn Monaten wurden seine Wechsel mit 9400 Talern eingelöst. Freilich hat er einige Jahre später diese Summe großenteils wieder verloren, da er sie auf den Rat eines Freundes in mexikanischen Scheinwerten anlegte, ein Verlust, den er bis an das Ende seines Lebens gespürt hat. Doch ist es ihm gelungen, durch weise Sparsamkeit ohne alle Kargheit und durch kluge finanzielle Maßregeln seine Mittel so gut zu verwalten, dass sich im Lauf der Jahre seine Einkünfte verdoppelt haben.


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