Trost der Philosophie. Boethius

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Trost der Philosophie - Boethius


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ist! Es wird nicht, wie das der Athener, durch den Gesamtwillen einer großen Menge regiert, sondern in ihm ist die homerische Forderung verwirklicht:

       ›... Nur einer sei Herrscher,

       Einer nur Fürst! ...‹

      Diesen Fürsten aber erfreut die Menge seiner Bürger, nicht ihre Verbannung, und von seinem Zügel gelenkt werden und seinem gerechten Willen gehorchen, das ist die höchste Freiheit! – Kennst du denn nicht mehr das höchste Gesetz deines Staates, wonach derjenige nicht ausgewiesen werden soll, der lieber dauernd in der Vaterstadt verweilen will? Denn wer sich hinter ihrem Wall und in ihrem Schutz glücklich fühlt, von dem steht nicht zu befürchten, dass er verbannt zu werden verdiene. Wer aber das Heim in der Heimat verschmäht, der verdient es auch nicht mehr!

      Daher betrübt mich auch das Äußere dieses Ortes nicht so sehr wie dein eigenes Aussehen, und nicht in den mit Elfenbein und Kristall geschmückten Räumen deiner Bibliothek wünsche ich zu wohnen, sondern in deiner Seele, in die ich keine Bücher, wohl aber das, was den Büchern ihren Wert verleiht, nämlich die darin enthaltenen Gedanken meiner Lehre, eingeschlossen habe!

      Was du von deinen Verdiensten um das Gemeinwohl gesagt hast, ist durchaus wahr, aber viel zu bescheiden im Hinblick auf die Menge deiner guten Taten. Ob ferner das dir Vorgeworfene wirklich tadelnswert sei und wie weit die Anklagen auf Fälschung beruhen: Über diese Fragen hast du nur Allbekanntes wieder in Erinnerung gebracht. Über die Verbrechen und Betrügereien der Angeber hast du dich mit Recht in Kürze fassen zu sollen geglaubt, da dies besser und ausführlicher durch den Mund der wohl unterrichteten Menge verbreitet wird. Die Handlungsweise des ungerechten Senats hast du dann lebhaft getadelt. – Auch über die gegen mich gerichtete Anklage hast du deinen Schmerz geäußert und über die Schädigung hast du geklagt, die du durch die Befleckung deines guten Rufes erlitten hast. – Zum Schluss hast du dann die erregte Muse den Wunsch äußern lassen, dass dieselbe friedliche Ordnung, die den Himmel regiert, auch auf Erden walten möge!

      Da nun aber der Sturm der Affekte im Augenblick noch zu gewaltig in dir ist und Schmerz, Zorn und Trauer dich abwechselnd beherrschen, so wirst du in deiner jetzigen Gemütsverfassung kräftigere Heilmittel wohl noch nicht vertragen können. Daher will ich zuerst ein Weilchen mildere Mittel anwenden, damit dein Geist, der durch die auf ihn einstürmenden Beunruhigungen schon so lange in höchster Erregung erhalten wird, sich allmählich durch sanfte Einwirkung beruhige, um dann auch für kräftigere Arznei empfänglich zu werden!«

       Wer, wenn Phöbus in heller Glut

       Hoch im Bilde des Krebses steht,

       Reiche Saaten der Erde Schoß

       Anvertraute, doch ach; umsonst:

       Den lässt Ceres im Stich, er muss

       Nahrung suchen am Eichenbaum!

       Finden kannst du das Veilchen blau

       nicht im herbstlich gefärbten Wald,

       Wenn schon über das Stoppelfeld

       Schneidend eisiger Nordwind fährt.

       Wenn du Trauben zu kosten wünschst,

       Kannst du nimmer im Lenze schon

       Gierig pflücken am Rebstock sie!

       Erst im fröhlichen Herbst beschert

       Bacchus seine Geschenke dir!

       Gott hat jeglicher Jahreszeit

       Ganz besondere Pflicht bestimmt

       Und wo selber er Ordnung schuf,

       Wehrt er jeglichen Eingriff ab!

       Drum, was immer in toller Hast

       Kühn verlassen die Satzung will,

       Das bleibt immer erfolglos!

      »Darum lass mich nun zunächst mit einigen wenigen Fragen den Zustand deines Gemüts erforschen und prüfen; damit ich sehe, welchen Weg ich bei deiner Heilung einzuschlagen habe.« – »Stelle mir«, entgegnete ich, »deine Fragen, wie du es für gut hältst. Ich bin bereit, dir zu antworten.« – Sie begann nun zu fragen: »Glaubst du, dass diese Welt von willkürlichem und regellosem Zufall bewegt wird, oder glaubst du an eine vernunftgemäße Leitung derselben?« – »Nie und nimmer«, entgegnete ich, »kann ich glauben, dass durch regellosen Zufall ein so bestimmt organisiertes Gebilde bewegt werde; ich bin vielmehr fest überzeugt, dass die Gottheit die Welt, ihr Werk, allezeit lenkt, und kein kommender Tag wird mich in dieser Überzeugung wankend machen können!« – »So ist es!« sagte jene darauf. »Das hast du ja auch vorhin in poetischen Worten ausgeführt. Nur die Menschen, so klagtest du, hätten keinen Teil an der Fürsorge der Gottheit. Dass aber alles Übrige vernunftgemäß geleitet werde, daran hast du niemals gezweifelt. Dass du nun mit dieser gesunden Anschauung trotzdem geistig so krank sein kannst – muss ich darüber nicht wirklich aufs Äußerste erstaunt sein?! Ich muss ja annehmen, dass es irgendwo fehlt, ich weiß nur noch nicht genau, wo! Aber sage mir doch einmal, der du ja nicht daran zweifelst, dass Gott die Welt regiert: Nach welchen Grundprinzipien lenkt er sie denn?« – Ich: »Kaum verstehe ich den Sinn deiner Frage, sodass ich dir keine Antwort darauf zu geben vermag.« – Sie: »Nun?! Täuschte ich mich also, als ich meinte, dass irgendwo etwas fehlen müsse, dass irgendwo, wie durch eine Mauerbresche, die sinnverwirrende Krankheit in deinen Geist eindringen konnte! – Aber sage mir, erinnerst du dich noch daran, was denn das Endziel aller Dinge sei und wohin die Entwicklung der ganzen Natur sich richte?«

      Ich: »Wohl habe ich es einst gehört, aber der Kummer hat mein Gedächtnis umnebelt!«

      Sie: »Aber weißt du denn noch, von wo alles seinen Ausgang genommen hat?«

      Ich: »Ich weiß es: Die Gottheit ist die Quelle aller Dinge!«

      Sie: »Wie ist es aber möglich, dass du den Ausgangspunkt zwar weißt, das Endziel aller Dinge aber nicht mehr kennst? So ist es aber immer mit diesen Störungen des Geistes: Sie können den Menschen vom rechten Standpunkt hinwegdrängen, aber ihn völlig zu entwurzeln und ihn sich ganz zu unterwerfen, das vermögen sie nicht! – Aber antworte mir noch auf die folgende Frage: Bist du dir wohl dessen bewusst, dass du ein Mensch bist?«

      Ich: »Gewiss bin ich das!«

      Sie: »Kannst du mir denn auch sagen, was das ist: ein Mensch?«

      Ich: »Willst du die Antwort hören: Ich bin ein vernunftbegabtes, sterbliches Lebewesen? Dass ich ein solches bin, das weiß ich und das bekenne ich!«

      Sie: »Ist dir nichts davon bekannt, dass du vielleicht außerdem noch etwas sein könntest?«

      »Nein«, sagte ich.

      »Nun weiß ich auch«, sprach sie da, »eine zweite, und zwar die hauptsächlichste Ursache deiner Krankheit: Du weißt nicht mehr, was du selbst bist! Und damit habe ich nun den Charakter deines Leidens und zugleich auch den zu seiner Heilung einzuschlagenden Weg vollkommen erkannt! Denn weil das Dunkel der Selbstvergessenheit dich umfängt, deshalb beklagst du dich als einen Verbannten und seiner Güter Beraubten. Weil du Zweck und Endziel der Dinge nicht mehr kennst, hältst du nichtswürdige und böse Menschen für mächtig und glücklich. Weil du aber auch vergessen hast, nach welchen Grundgesetzen die Gottheit die Welt lenkt, deshalb glaubst du, dass alle diese Schickungen ohne einen höheren Regenten vom Zufall beherrscht sind: Wahrlich Gründe genug, dich nicht nur krank zu machen, sondern dich zu töten! Aber Dank sei dem Geber der Gesundheit, dass dich die Lebenskraft deiner guten Natur noch nicht ganz verlassen hat! – Wir haben nun als Hauptheilmittel zu deiner Rettung deine richtige Ansicht von der Weltregierung, die du nicht für ein Spiel des blinden Zufalls, sondern der göttlichen Vernunft unterworfen hältst. Fürchte also nichts! Aus diesem kleinen Funken wird bald neue Lebenswärme dich durchströmen! Aber da für die durchgreifenderen Heilmittel die Zeit noch nicht gekommen ist und da es in der Natur des menschlichen Gemütes liegt, dass es nach Verlust der richtigen Ansicht von falschen sich leiten und in das Dunkel der Seelenverwirrungen hineinziehen lässt,


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