Gesammelte Werke von Johanna Spyri. Johanna Spyri

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Gesammelte Werke von Johanna Spyri - Johanna Spyri


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man's einmal mit dem Gericht zu tun hat, so wird noch manches aufgespürt, an das keiner mehr denkt."

      "Schweig!", donnerte der Öhi heraus, und seine Augen flammten wie

       Feuer. "Nimm's und verdirb's! Komm mir nie mehr vor Augen mit ihm,

       ich will's nie sehen mit dem Federhut auf dem Kopf und Worten im

       Mund wie dich heut!"

      Der Öhi ging mit großen Schritten zur Tür hinaus.

      "Du hast den Großvater bös gemacht", sagte Heidi und blitzte mit seinen schwarzen Augen die Base wenig freundlich an.

      "Er wird schon wieder gut, komm jetzt", drängte die Base; "wo sind deine Kleider?"

      "Ich komme nicht", sagte Heidi.

      "Was sagst du?", fuhr die Base auf; dann änderte sie den Ton ein wenig und fuhr halb freundlich, halb ärgerlich weiter: "Komm, komm, du verstehst's nicht besser, du wirst es so gut haben, wie du gar nicht weißt." Dann ging sie an den Schrank, nahm Heidis Sachen hervor und packte sie zusammen: "So, komm jetzt, nimm dort dein Hütchen, es sieht nicht schön aus, aber es ist gleich für einmal, setz es auf und mach, dass wir fortkommen."

      "Ich komme nicht", wiederholte Heidi.

      "Sei doch nicht so dumm und störrig wie eine Geiß; denen hast du's abgesehen. Begreif doch nur, jetzt ist der Großvater bös, du hast's ja gehört, dass er gesagt hat, wir sollen ihm nicht mehr vor Augen kommen, er will es nun haben, dass du mit mir gehst, und jetzt musst du ihn nicht noch böser machen. Du weißt gar nicht, wie schön es ist in Frankfurt und was du alles sehen wirst, und gefällt es dir dann nicht, so kannst du wieder heimgehen; bis dahin ist der Großvater dann wieder gut."

      "Kann ich gerad wieder umkehren und heimkommen heut Abend?", fragte

       Heidi.

      "Ach was, komm jetzt! Ich sag dir's ja, du kannst wieder heim, wann du willst. Heut gehen wir bis nach Maienfeld hinunter und morgen früh sitzen wir in der Eisenbahn, mit der bist du nachher im Augenblick wieder daheim, das geht wie geflogen."

      Die Base Dete hatte das Bündelchen Kleider auf den Arm und Heidi an die Hand genommen; so gingen sie den Berg hinunter.

      Da es noch nicht Weidezeit war, ging der Peter noch zur Schule ins Dörfli hinunter, oder sollte doch dahin gehen; aber er machte hier und da einen Tag Ferien, denn er dachte, es nütze nichts, dahin zu gehen, das Lesen brauche man auch nicht, und ein wenig herumfahren und große Ruten suchen nütze etwas, denn diese könne man brauchen. So kam er eben in der Nähe seiner Hütte von der Seite her mit sichtlichem Erfolg seiner heutigen Bestrebungen, denn er trug ein ungeheures Bündel langer, dicker Haselruten auf der Achsel. Er stand still und starrte die zwei Entgegenkommenden an, bis sie bei ihm ankamen; dann sagte er: "Wo willst du hin?"

      "Ich muss nur geschwind nach Frankfurt mit der Base", antwortete Heidi, "aber ich will zuerst noch zur Großmutter hinein, sie wartet auf mich."

      "Nein, nein, keine Rede, es ist schon viel zu spät", sagte die Base eilig und hielt das fortstrebende Heidi fest bei der Hand; "du kannst dann gehen, wenn du wieder heimkommst, komm jetzt!" Damit zog die Base das Heidi fest weiter und ließ es nicht mehr los, denn sie fürchtete, es könne drinnen dem Kinde wieder in den Sinn kommen, es wolle nicht fort, und die Großmutter könne ihm helfen wollen. Der Peter sprang in die Hütte hinein und schlug mit seinem ganzen Bündel Ruten so furchtbar auf den Tisch los, dass alles erzitterte und die Großmutter vor Schrecken vom Spinnrad aufsprang und laut aufjammerte. Der Peter hatte sich Luft machen müssen.

      "Was ist's denn? Was ist's denn?", rief angstvoll die Großmutter, und die Mutter, die am Tisch gesessen hatte und fast aufgeflogen war bei dem Knall, sagte in angeborener Langmut: "Was hast, Peterli; warum tust so wüst?"

      "Weil sie das Heidi mitgenommen hat", erklärte Peter.

      "Wer? Wer? Wohin, Peterli, wohin?", fragte die Großmutter jetzt mit neuer Angst; sie musste aber schnell erraten haben, was vorging, die Tochter hatte ihr ja vor kurzem berichtet, sie habe die Dete gesehen zum Alm-Öhi hinaufgehen. Ganz zitternd vor Eile machte die Großmutter das Fenster auf und rief flehentlich hinaus: "Dete, Dete, nimm uns das Kind nicht weg! Nimm uns das Heidi nicht!"

      Die beiden Laufenden hörten die Stimme, und die Dete mochte wohl ahnen, was sie rief, denn sie fasste das Kind noch fester und lief, was sie konnte. Heidi widerstrebte und sagte: "Die Großmutter hat gerufen, ich will zu ihr."

      Aber das wollte die Base gerade nicht und beschwichtigte das Kind, es solle nur schnell kommen jetzt, dass sie nicht noch zu spät kämen, sondern dass sie morgen weiterreisen könnten, es könnte ja dann sehen, wie es ihm gefallen werde in Frankfurt, dass es gar nie mehr fortwolle dort; und wenn es doch heim wolle, so könne es ja gleich gehen und dann erst noch der Großmutter etwas mit heimbringen, was sie freue. Das war eine Aussicht für Heidi, die ihm gefiel. Es fing an zu laufen ohne Widerstreben.

      "Was kann ich der Großmutter heimbringen?", fragte es nach einer

       Welle.

      "Etwas Gutes", sagte die Base, "so schöne, weiche Weißbrötchen, da wird sie Freud haben daran, sie kann ja doch das harte, schwarze Brot fast nicht mehr essen."

      "Ja, sie gibt es immer wieder dem Peter und sagt: 'Es ist mir zu hart'; das habe ich selbst gesehen", bestätigte das Heidi. "So wollen wir geschwind gehen, Base Dete; dann kommen wir vielleicht heut noch nach Frankfurt, dass ich bald wieder da bin mit den Brötchen."

      Heidi fing nun so zu rennen an, dass die Base mit ihrem Bündel auf dem Arm fast nicht mehr nachkam. Aber sie war sehr froh, dass es so rasch ging, denn nun kamen sie gleich zu den ersten Häusern vom Dörfli, und da konnte es wieder allerhand Reden und Fragen geben, die das Heidi wieder auf andere Gedanken bringen konnten. So lief sie stracks durch, und das Kind zog dabei noch so stark an ihrer Hand, dass alle Leute es sehen konnten, wie sie um des Kindes willen so pressieren musste. So rief sie auf alle die Fragen und Anrufungen, die ihr aus allen Fenstern und Türen entgegentönten, nur immer zurück: "Ihr seht's ja, ich kann jetzt nicht still stehen, das Kind pressiert und wir haben noch weit."

      "Nimmst's mit?"—"Läuft's dem Alm-Öhi fort?"—"Es ist nur ein Wunder, dass es noch am Leben ist!"—"Und dazu noch so rotbackig!" So tönte es von allen Seiten, und die Dete war froh, dass sie ohne Verzug durchkam und keinen Bescheid geben musste und auch Heidi kein Wort sagte, sondern nur immer vorwärts strebte in großem Eifer. —

      Von dem Tage an machte der Alm-Öhi, wenn er herunterkam und durchs Dörfli ging, ein böseres Gesicht als je zuvor. Er grüßte keinen Menschen und sah mit seinem Käsereff auf dem Rücken, mit dem ungeheuren Stock in der Hand und den zusammengezogenen dicken Brauen so drohend aus, dass die Frauen zu den kleinen Kindern sagten: "Gib Acht! Geh dem Alm-Öhi aus dem Weg, er könnte dir noch etwas tun!"

      Der Alte verkehrte mit keinem Menschen im Dörfli, er ging nur durch und weit ins Tal hinab, wo er seinen Käse verhandelte und seine Vorräte an Brot und Fleisch einnahm. Wenn er so vorbeigegangen war im Dörfli, dann standen hinter ihm die Leute alle in Trüppchen zusammen, und jeder wusste etwas Besonderes, was er am Alm-Öhi gesehen hatte, wie er immer wilder aussehe und dass er jetzt keinem Menschen mehr auch nur einen Gruß abnehme, und alle kamen darin überein, dass es ein großes Glück sei, dass das Kind habe entweichen können, und man habe auch wohl gesehen, wie es fortgedrängt habe, so, als fürchte es, der Alte sei schon hinter ihm drein, um es zurückzuholen. Nur die blinde Großmutter hielt unverrückt zum Alm-Öhi, und wer zu ihr heraufkam, um bei ihr spinnen zu lassen oder das Gesponnene zu holen, dem erzählte sie es immer wieder, wie gut und sorgfältig der Alm-Öhi mit dem Kind gewesen sei und was er an ihr und der Tochter getan habe, wie manchen Nachmittag er an ihrem Häuschen herumgeflickt, das ohne seine Hilfe gewiss schon zusammengefallen wäre. So kamen denn auch diese Berichte ins Dörfli herunter; aber die meisten, die sie vernahmen, sagten dann, die Großmutter sei vielleicht zu alt zum Begreifen, sie werde es wohl nicht recht verstanden haben, sie werde wohl auch nicht mehr gut hören, weil sie nichts mehr sehe.

      Der Alm-Öhi zeigte sich jetzt nicht mehr bei den Geißenpeters; es war gut, dass er die Hütte so fest zusammengenagelt hatte, denn sie blieb für lange Zeit ganz


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