Krieg und Frieden. Лев Толстой

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Krieg und Frieden - Лев Толстой


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Er besah den Arm von allen Seiten und suchte vergebens an ihm Blut. »Na, da kommen ja Leute«, dachte er erfreut, als er einige Menschen erblickte, die auf ihn zugelaufen kamen. »Die werden mir helfen!« Der vorderste von diesen Leuten war ein Mensch mit einem sonderbaren Tschako und einem blauen Mantel, mit schwarzem Haar, gebräuntem Gesicht und gebogener Nase. Hinter ihm liefen noch zwei und dann noch eine ganze Anzahl. Einer von ihnen rief etwas Fremdartiges, das kein Russisch war. In einer weiter hinten befindlichen Gruppe ebensolcher Leute mit ebensolchen Tschakos stand ein einzelner russischer Husar. Ein paar hielten ihn bei den Armen gefaßt; hinter ihm hielten andere sein Pferd.

      »Gewiß ist das einer von den Unsrigen, den sie gefangengenommen haben ... Ja. Ob sie wirklich auch mich gefangennehmen werden? Was sind das für Leute?« dachte Rostow weiter, der seinen Augen gar nicht traute. »Sind das wirklich Franzosen?« Er blickte nach den herankommenden Franzosen hin, und obwohl er wenige Augenblicke vorher nur in der Absicht dahingejagt war, diese Franzosen zu erreichen und niederzuhauen, erschien ihm ihre Nähe jetzt doch so schrecklich, daß er glaubte, seine Augen täuschten ihn. »Was sind das für Menschen? Warum laufen sie so? Haben sie es wirklich auf mich abgesehen? Und was wollen sie von mir? Wollen sie mich töten? Mich, den alle Menschen so lieb haben?« Es kam ihm die Erinnerung, wie lieb seine Mutter, seine übrigen Angehörigen, seine Freunde ihn hätten, und eine Absicht der Feinde, ihn zu töten, erschien ihm als etwas ganz Unmögliches. »Aber vielleicht wollen sie mich doch töten!« Er stand länger als zehn Sekunden da, ohne sich vom Fleck zu rühren und ohne zu einem Verständnis seiner Lage zu gelangen. Der vorderste Franzose, der mit der gebogenen Nase, kam jetzt so nahe an ihn herangelaufen, daß Rostow bereits seinen Gesichtsausdruck unterscheiden konnte. Und die erregte, fremdartige Physiognomie dieses Menschen, der mit gefälltem Bajonett, den Atem anhaltend, leichten Ganges auf ihn zugelaufen kam, flößte dem jungen Rostow einen furchtbaren Schreck ein. Er griff nach seiner Pistole; aber statt sie abzufeuern, warf er damit nach dem Franzosen und lief, so schnell er nur konnte, auf das Gebüsch zu. Er lief nicht mit jenem Gefühl des Zweifels und inneren Kampfes, mit dem er auf die Ennsbrücke gegangen war, sondern mit dem Gefühl des Hasen, der vor den Hunden davonläuft. Das eine einzige, ungemischte Gefühl der Furcht für sein junges, glückliches Leben erfüllte seine ganze Seele. Schnell über die Grenzraine springend, mit derselben Hast, mit der er als Knabe gelaufen war, wenn sie Greifen spielten, flog er über das Feld dahin; ab und zu wandte er sein blasses, gutes, jugendliches Gesicht zurück, und ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. »Nein, ich will mich lieber nicht umsehen«, dachte er; aber als er dem Gebüsch nahe gekommen war, wandte er sich doch noch einmal um. Die Franzosen waren zurückgeblieben, und in dem Augenblick, als Rostow sich umsah, hatte der vorderste sogar soeben aufgehört zu laufen, ging im Schritt weiter und rief, sich umdrehend, dem hinter ihm gehenden Kameraden laut etwas zu. Rostow blieb stehen. »Es ist doch wohl nicht so«, dachte er; »unmöglich können sie mich töten wollen.« Aber unterdessen war ihm der linke Arm so schwer geworden, als ob ein gewaltiges Bleigewicht daran hinge. Er war nicht imstande weiterzulaufen. Der Franzose blieb gleichfalls stehen und zielte. Rostow kniff die Augen zusammen und bückte sich. Eine Kugel flog summend an ihm vorbei, dann eine zweite. Er nahm seine letzten Kräfte zusammen, hielt den linken Arm mit dem rechten fest und lief vollends bis an das Gebüsch. In dem Gebüsch standen russische Schützen.

      XX

      Die im Wald überfallenen Infanterieregimenter waren fliehend aus dem Wald herausgestürzt, und die Mannschaften der einzelnen Kompanien waren durcheinandergeraten und zogen in unordentlichen Haufen weiter. Einer der Soldaten stieß in seiner Angst die im Krieg so schrecklichen, in diesem Fall sinnlosen Worte: »Wir sind abgeschnitten!« aus, und diese Worte verbreiteten sich, zusammen mit dem Gefühl der Furcht, durch die ganze Masse der Fliehenden.

      »Wir sind umgangen! Wir sind abgeschnitten! Wir sind verloren!« riefen sie durcheinander.

      In demselben Augenblick, als der Regimentskommandeur das Schießen und Schreien hinter sich hörte, war er sich auch darüber klar, daß mit seinem Regiment etwas Schreckliches geschehen sei, und der Gedanke, daß er, ein musterhafter Offizier, der so viele Jahre gedient und sich nie etwas hatte zuschulden kommen lassen, von seinem Vorgesetzten der Nachlässigkeit oder eines Mangels an Umsicht schuldig befunden werden könne, dieser Gedanke wirkte auf ihn so gewaltig, daß er in demselben Augenblick den ungehorsamen Kavallerieobersten und seine Generalswürde und namentlich auch die Gefahr und den Selbsterhaltungstrieb vollständig vergaß, sich am Sattelbogen festhielt, seinem Pferd die Sporen gab und unter einem Hagel von Kugeln, die ihm um den Kopf pfiffen, ihn aber glücklicherweise nicht trafen, zu seinem Regiment hinjagte. Er hatte nur einen Wunsch: zu erfahren, was geschehen war, und zu helfen und um jeden Preis den Fehler, wenn ein solcher auf seiner Seite war, wiedergutzumachen und, nachdem er zweiundzwanzig Jahre gedient und nie einen Verweis erhalten hatte, sondern allen ein Vorbild gewesen war, nun nicht als Schuldiger dazustehen.

      Nachdem er glücklich an den Franzosen vorbeigaloppiert war, sprengte er nach dem hinter dem Wald gelegenen Feld, über welches die Unsrigen flüchteten und, ohne auf ein Kommando zu hören, bergab liefen. Es war jetzt jener Moment seelischen Schwankens gekommen, der das Schicksal der Schlachten entscheidet, und die Frage war: Werden diese in Unordnung geratenen Soldatenhaufen auf die Stimme ihres Kommandeurs hören, oder werden sie sich nach ihm nur umsehen und doch weiterlaufen? Aber mochte der vorher von den Soldaten so gefürchtete Kommandeur sie mit grimmiger Stimme noch so verzweifelt anschreien, mochte sein wütendes, blaurotes, ganz entstelltes Gesicht noch so drohend aussehen, mochte er noch so wild mit dem Degen in der Luft umherfahren: die Soldaten liefen sämtlich weiter, redeten untereinander, schossen in die Luft und hörten auf kein Kommando. Das seelische Schwanken, welches das Schicksal der Schlachten entscheidet, hatte hier augenscheinlich einen Ausschlag nach der Seite der Furcht hin zum Resultat gehabt.

      Der General geriet infolge seines Schreiens und des Pulverdampfes ins Husten hinein und hielt in voller Verzweiflung sein Pferd an. Alles schien verloren. Aber in diesem Augenblick liefen die Franzosen, die den Unsrigen nachsetzten, auf einmal ohne erkennbare Ursache zurück und verschwanden aus dem Bereich des Waldes, und im Wald zeigten sich russische Schützen. Es war dies die Kompanie Timochins, die als die einzige sich im Wald in guter Ordnung gehalten, sich am Wald in einen Graben gelegt und die Franzosen unerwartet angegriffen hatte. Timochin war mit so wütendem Geschrei auf die Franzosen losgestürzt und hatte sich wie ein Trunkener mit einer so rasenden Kühnheit, nur den Degen in der Hand, auf den Feind geworfen, daß die Franzosen gar nicht zur Besinnung kamen, sondern ihre Gewehre wegwarfen und davonliefen. Dolochow, der bei diesem Angriff neben Timochin gelaufen war, hatte einen Franzosen aus nächster Nähe getötet und als der erste einen französischen Offizier am Kragen gepackt, der sich dann ergeben mußte. Nun kehrten die fliehenden Russen um, die Bataillone sammelten sich wieder, und die Franzosen, die den linken Flügel beinahe in zwei Teile auseinandergesprengt hatten, wurden für einen Augenblick zurückgedrängt. Die Reserveabteilungen hatten nun Zeit heranzukommen. Der Regimentskommandeur hielt mit Major Ekonomow an einer Brücke und ließ die abziehenden Kompanien an sich vorübermarschieren, als ein Soldat an ihn herantrat, seinen Steigbügel erfaßte und sich beinahe gegen sein Bein lehnte. Der Soldat trug einen bläulichen Mantel von feinem Tuch, keinen Tornister und keinen Tschako; um den Kopf hatte er einen Notverband; über der Schulter hing ihm eine französische Patronentasche; in der Hand hielt er einen Offiziersdegen. Der Soldat saß blaß aus; seine blauen Augen blickten dem Regimentskommandeur frech ins Gesicht; aber sein Mund lächelte. Obgleich der Regimentskommandeur gerade damit beschäftigt war, dem Major Ekonomow einen Befehl zu erteilen, sah er sich genötigt, diesem Soldaten seine Aufmerksamkeit zuzuwenden.

      »Euer Exzellenz, hier sind zwei Trophäen«, sagte Dolochow, indem er auf den französischen Degen und die französische Patronentasche wies. »Ich habe einen Offizier zum Gefangenen gemacht. Ich habe die Kompanie zum Stehen gebracht.« Dolochow konnte vor Erschöpfung nur mühsam Atem holen und sprach in einzelnen Absätzen. »Die ganze Kompanie kann es bezeugen. Ich bitte Euer Exzellenz, sich dessen zu erinnern!«

      »Gut, gut!« antwortete der Regimentskommandeur und wandte sich wieder zum Major Ekonomow.

      Aber Dolochow ging noch nicht weg; er band das Tuch, das er um den Kopf trug, auf, nahm es ab und zeigte auf das geronnene Blut in seinem Haar.

      »Eine Wunde


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