Krieg und Frieden. Лев Толстой

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Krieg und Frieden - Лев Толстой


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wie wenn er über etwas, was er tun wollte, unschlüssig wäre.

      »Wie kann der Kaiser unschlüssig sein?« dachte Rostow; aber dann erschien ihm sogar diese Unschlüssigkeit als etwas Majestätisches und Bezauberndes, wie eben alles, was der Kaiser tat.

      Die Unentschlossenheit des Kaisers hatte nur einen Moment gedauert. Sein Fuß berührte mit der schmal zulaufenden Stiefelspitze, wie man sie damals trug, die Flanke der anglisierten braunen Stute, die er ritt; seine Hand im weißen Handschuh faßte die Zügel fester, und er entfernte sich, begleitet vom unordentlich wogenden Meer der Adjutanten. Weiter und weiter ritt er, bei andern Regimentern anhaltend, davon, und schließlich konnte Rostow nur noch seinen weißen Federbusch aus der Suite, die die Kaiser umgab, herauserkennen.

      Unter den Herren in der Suite hatte Rostow auch Bolkonski bemerkt, der lässig und schlaff auf seinem Pferd saß. Es war ihm sein gestriger Streit mit dem Adjutanten eingefallen, und er legte sich nun die Frage vor, ob es angemessen sei, ihn zum Duell zu fordern oder nicht. »Natürlich ist es nicht angemessen«, war jetzt Rostows Anschauung. »Wie kann man an dergleichen denken und von dergleichen reden in einem Augenblick, wie der jetzige? In einem Augenblick, wo man von einem solchen Gefühl der Liebe, der Begeisterung und Selbstverleugnung erfüllt ist, was bedeuten da alle unsere Zänkereien und wechselseitigen Beleidigungen? Jetzt liebe ich alle Menschen und verzeihe allen Menschen«, dachte Rostow.

      Nachdem der Kaiser fast bei allen Regimentern entlanggeritten war, zogen die Truppen bei ihm im Parademarsch vorüber, und Rostow ritt auf dem »Beduinen«, den er dem Rittmeister Denisow kürzlich abgekauft hatte, als Schließender seiner Eskadron, das heißt allein und dem Kaiser frei sichtbar.

      Als er noch nicht ganz bis zum Kaiser gelangt war, gab Rostow, ein vorzüglicher Reiter, seinem »Beduinen« zweimal die Sporen und brachte ihn glücklich zu der wilden Trabart, die der »Beduine«, auf diese Weise gereizt, oft anschlug. Das Tier bog das schäumende Maul gegen die Brust, spreizte den Schweif ab und schien, indem es die Beine hoch hinaufwarf und graziös wechselte, in der Luft zu fliegen, ohne die Erde zu berühren; so kam der »Beduine«, der ebenfalls zu fühlen schien, daß der Blick des Kaisers auf ihm ruhte, vorzüglich vorbei.

      Rostow selbst streckte die Beine nach hinten, zog den Bauch ein, und sich eins mit seinem Pferd fühlend, ritt er mit finsterem, aber glückseligem Gesicht »wie ein wahrer Satan«, nach Denisows Ausdruck, an dem Kaiser vorüber.

      »Brave Burschen, die Pawlograder!« sagte der Kaiser.

      »O Gott, o Gott, wie glücklich wäre ich, wenn er mir befehlen würde, mich jetzt auf der Stelle ins Feuer zu stürzen«, dachte Rostow.

      Als die Truppenschau beendet war, traten die Offiziere, sowohl die neu angekommenen als auch die Kutusowschen, zu einzelnen Gruppen zusammen und unterhielten sich miteinander über Orden und Beförderungen, über die Österreicher und deren Uniformen und militärische Leistungen, über Bonaparte, und wie schlecht es ihm jetzt ergehen werde, namentlich wenn noch das Essensche Korps herankomme und Preußen auf unsere Seite trete.

      Aber am häufigsten redeten sie in allen Gruppen vom Kaiser Alexander; sie machten einander von jedem seiner Worte, von jeder seiner Bewegungen Mitteilung und waren davon entzückt und begeistert.

      Alle hatten nur einen Wunsch: unter Führung des Kaisers recht bald gegen den Feind vorzurücken. Unter dem persönlichen Kommando des Kaisers mußten sie ja siegen, wer auch immer ihnen gegenüberstand; so dachten nach der Truppenschau Rostow und die allermeisten Offiziere.

      Alle glaubten nach der Truppenschau mit größerer Zuversicht an einen bevorstehenden Sieg, als sie es nach zwei gewonnenen Schlachten hätten tun können.

      IX

      Am Tag nach der Truppenschau legte Boris seine feinste Uniform an und ritt, von den besten Wünschen seines Kameraden Berg für guten Erfolg begleitet, nach Olmütz zu Bolkonski, in der Absicht, sich dessen wohlwollende Gesinnung zunutze zu machen und sich eine recht angenehme Stellung zu verschaffen, am liebsten eine Adjutantenstelle bei irgendeiner hochgestellten Persönlichkeit; denn eine solche Stelle erschien ihm als die verlockendste in der ganzen Armee. »Ja«, dachte er, »dieser Rostow, der von seinem Vater fortwährend Summen von vielen tausend Rubeln geschickt bekommt, der hat gut reden, daß er sich vor niemand bücken und niemandes Lakai werden wolle. Aber ich, der ich nichts besitze als meinen Kopf, muß eifrig für meine Karriere sorgen und darf günstige Gelegenheiten nicht ungenutzt lassen.«

      In Olmütz traf er an diesem Tag den Fürsten Andrei nicht an. Aber der Anblick dieser Stadt, wo sich das Hauptquartier und das diplomatische Korps befanden, und wo die beiden Kaiser mit ihren Suiten, mit dem Hofstaat und mit den sonstigen ihnen nahestehenden Persönlichkeiten wohnten, ließ seinen Wunsch, auch zu dieser höheren Welt zu gehören, nur noch lebhafter und stärker werden.

      Er kannte hier niemand, und trotz seiner eleganten Gardeuniform standen, wie es schien, alle diese hohen Herren, teils Hofleute, teils Militärs, die mit Federbüschen, Orden und breiten Ordensbändern in prächtigen Equipagen eilig durch die Straßen rollten, so unermeßlich hoch über ihm, dem simplen Gardefähnrich, daß sie sich um seine Existenz nicht kümmern mochten, ja auch wohl gar nicht konnten. In dem Quartier des Oberkommandierenden Kutusow, wo er nach Bolkonski fragte, sahen ihn alle diese Adjutanten und sogar die Burschen so an, als ob sie ihm zu verstehen geben wollten, solche Offiziere wie er trieben sich hier massenhaft umher und seien ihnen schon zum Überdruß geworden. Trotzdem, oder vielmehr gerade deswegen, ritt er am folgenden Tag, dem 15., nach dem Mittagessen wieder nach Olmütz, ging in das von Kutusow bewohnte Haus und fragte nach Bolkonski. Fürst Andrei war zu Hause, und Boris wurde in einen großen Saal geführt, der wahrscheinlich früher als Tanzsaal gedient hatte, jetzt aber fünf Betten und verschiedene andere Möbel enthielt: einen Tisch, Stühle und ein Klavier. Ein Adjutant saß nicht weit von der Tür in einem persischen Schlafrock am Tisch und schrieb. Ein anderer, ein dicker Mensch mit rotem Gesicht (es war Neswizki) lag auf einem Bett, hatte die Hände unter den Kopf gelegt und unterhielt sich lachend mit einem andern neben ihm sitzenden Offizier. Ein dritter spielte auf dem Klavier einen Wiener Walzer, und ein vierter lag auf dem Klavier und sang dazu. Bolkonski war nicht anwesend. Obwohl diese Herren den eintretenden Boris bemerkten, sah sich doch keiner von ihnen veranlaßt, seine Haltung zu ändern oder seine Beschäftigung zu unterbrechen. Der, welcher schrieb und an den sich Boris wandte, drehte sich ärgerlich nach ihm um und sagte ihm, Bolkonski habe Dejour; wenn er ihn sprechen wolle, so möge er durch die Tür links in das Wartezimmer gehen. Boris bedankte sich und ging in das Wartezimmer. In dem Wartezimmer befanden sich etwa zehn Offiziere, darunter auch einige Generale.

      In dem Augenblick, als Boris eintrat, hörte Fürst Andrei gerade, die Augen geringschätzig halb zukneifend (mit jener eigenartigen Miene höflicher Müdigkeit, welche deutlich sagt: »Wenn es nicht meine Pflicht wäre, würde ich keinen Augenblick länger mit Ihnen reden«), einen alten, mit Orden geschmückten russischen General an, der in strammer Haltung, beinah auf den Fußspitzen, mit dem Ausdruck einer sonst nur bei den untersten Rangstufen üblichen Unterwürfigkeit auf dem blauroten Gesicht ihm etwas meldete.

      »Sehr schön, haben Sie die Güte ein wenig zu warten«, sagte er zu dem General auf russisch, aber mit jener französischen Klangfärbung, deren er sich zu bedienen pflegte, wenn er geringschätzig sprechen wollte. Nun bemerkte er Boris, nickte ihm zu und ging ihm freundlich lächelnd entgegen, ohne sich weiter um den General zu kümmern, der ihm nachlief und ihn flehentlich bat, ihm noch einen Augenblick Gehör zu schenken.

      Bei diesem Anblick wurde sich Boris völlig klar über etwas, was er auch schon früher vermutet hatte, daß nämlich in der Armee außer derjenigen Subordination und Disziplin, von der das Reglement handelte, und die im Regiment bekannt war, und die auch er kannte, noch eine andere, wichtigere Subordination existierte, diejenige Subordination, die diesen General mit der festumschnürten Taille und dem blauroten Gesicht zwang, respektvoll so lange zu warten, wie der Hauptmann Fürst Andrei größeres Vergnügen daran fand, sich mit dem Fähnrich Drubezkoi zu unterhalten. Mit größerer Entschiedenheit als je vorher faßte Boris jetzt den Entschluß, künftighin nicht auf der Grundlage jener im Reglement festgesetzten Subordination, sondern auf der Grundlage dieser ungeschriebenen zu dienen. Er war sich jetzt bewußt,


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