Der Glöckner von Notre Dame. Victor Hugo

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Der Glöckner von Notre Dame - Victor Hugo


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lyrischen Entzückung von einem lauten Kanonenschlage aufgeschreckt, der zur Feier des Johannisfestes plötzlich von der glückseligen Hütte aus erscholl. Es war der Fährmann, welcher gleichfalls an den Belustigungen des Tages theilnahm, und für sich ein Feuerwerk losbrannte.

      Dieser Kanonenschlag machte Gringoire die Haut schaudern.

      »Verdammtes Fest!« schrie er, »willst du mich überallhin verfolgen? O mein Gott! selbst bis zum Fährmann der Kuhfähre hin!« Dann betrachtete er die Seine zu seinen Füßen, und eine schreckliche Versuchung ergriff ihn.

      »Oh!« sagte er, »wie gern wollte ich mich ertränken, wenn nur das Wasser nicht so kalt wäre!«

      Dann packte ihn ein verzweifelter Entschluß. Weil er nun einmal dem Narrenpapste, den Fahnen Johann Fourbeaults, den Maienbündeln, den Zündlichtern und Kanonenschlägen nicht entwischen konnte, so wollte er sich muthig mitten in das Festgewühl selbst hineinstürzen und nach dem Grèveplatze eilen.

      »Wenigstens,« dachte er, »werde ich da wohl einen Feuerbrand vom Festfeuer finden, mich wieder zu erwärmen, und werde meine Abendmahlzeit mit einigen Krumen von den drei großen Zuckerwappen des Königs halten können, welche da auf dem öffentlichen Schenktische der Stadt aufgestellt sein müssen.«

      Heute ist vom Grèveplatze, wie er damals war, nur noch eine ganz unmerkliche Spur vorhanden: das ist das hübsche Thürmchen, welches den nördlichen Winkel des Platzes einnimmt, und das bereits unter dem häßlichen Mörtel, welcher die scharfen Kanten seiner Steinmetzarbeiten überkleistert, versteckt liegt, und bald vielleicht verschwunden und unter jenem Anwachsen neuer Häuser hingesunken sein wird, das so schnell alle alten Façaden von Paris verschlingt. Leute, wie wir, die nie über den Grèveplatz gehen, ohne einen Blick voll Mitleid und Sympathie auf dieses arme, zwischen zwei baufälligen Hütten aus der Zeit Ludwigs des Vierzehnten eingequetschte Thürmchen zu werfen, können uns in Gedanken das Häuserganze leicht wieder aufbauen, zu dem es gehörte, und den ganzen alten, gothischen Platz des fünfzehnten Jahrhunderts hier wiederfinden.

      Er war, wie noch heutzutage, ein unregelmäßiges Viereck, von einer Seite vom Flußdamme, von den drei andern von einer Reihe hoher, schmaler und düsterer Häuser eingefaßt. Am Tage konnte man die Mannigfaltigkeit dieser Gebäude bewundern, welche, ganz in Holz- und Steinbildhauerarbeit, schon vollständige Proben der verschiedenen Häuserbaustile des Mittelalters, vom fünfzehnten bis zum elften Jahrhunderte zurück, lieferten: vom Kreuzfenster an, welches den Spitzbogen zu ersetzen begann, bis zum romanischen Rundbogen, der vom Spitzbogen verdrängt worden war, und der noch unten herrschte im ersten Stockwerk am alten Hausbaue des Rolandsthurmes, im Winkel des Platzes an der Seine, neben der Lohgerberstraße. Nachts unterschied man an dieser Häusermasse nur das schwarze Zackenwerk der Dächer, welche rings um den Platz ihre Kette spitzer Winkel zeigten. Denn eine der Grundverschiedenheiten der Städte von damals und von jetzt besteht darin, daß heutzutage die Häuserfaçaden nach den Straßen und Plätzen zu gerichtet sind, während es früher die Giebel waren. Seit zwei Jahrhunderten haben sich die Häuser umgedreht.

      Im Mittelpunkte der östlichen Seite des Platzes erhob sich ein schwerfälliger Zwitterbau, aus drei neben einander gestellten Häusern gebildet. Man nannte ihn mit drei Namen, welche seine Geschichte, seine Bestimmung und seine Bauart bezeichnen: Das »Prinzen-Haus«, weil Karl der Fünfte als Prinz darin gewohnt hatte; das »Kaufhaus«, weil es als Stadthaus diente; das »Säulenhaus« (domus ad piloria), wegen einer Reihe großer Pfeiler, welche seine drei Stockwerke stützten. Die Stadt fand hier alles das, was eine gute Stadt wie Paris gebraucht: eine Kapelle zum Beten; ein »Gerichtszimmer«, um Termine abzuhalten, und im Nothfalle des Königs Leute derb ablaufen zu lassen; und unter den Dächern ein »Arsenal« voll Geschützstücke. Denn die Bürger von Paris wissen, daß es nicht unter allen Verhältnissen ausreicht, zu beten und für die Freiheiten der Stadt zu sprechen, und sie haben immer in einem Speicher des Stadthauses eine tüchtige, rostige Hakenbüchse im Rückhalte.

      Der Grèveplatz hatte seitdem das düstre Aussehen, welches ihm noch heute der abscheuliche Gedanke, den er wachruft, und das düstre Stadthaus des Domenik Bocador bewahren, welches das Säulenhaus ersetzt hat. Freilich trugen ein bleibender Galgen und Pranger (»Gerechtigkeit« und »Leiter«, wie man es damals nannte), die mitten auf dem Straßenpflaster neben einander errichtet waren, nicht wenig dazu bei, die Augen von diesem verhängnisvollen Platze, auf dem so viele gesundheit- und lebenstrotzende Wesen verendet waren, wegwenden zu lassen; dort sollte fünfzig Jahre später jenes »Saint-Vallier-Fieber« entstehen, diese Krankheit des Schaffotschreckens, die fürchterlichste aller Krankheiten, weil sie nicht von Gott, sondern von Menschen herrührt.

      Es ist ein tröstlicher Gedanke (im Vorbeigehen sei es gesagt), zu wissen, daß die Todesstrafe, welche vor dreihundert Jahren mit ihren eisernen Rädern, ihren steinernen Galgen, mit ihrem ganzen beständigen und auf dem Pflaster bestätigten Folterzubehör noch den Grèveplatz, die Hallen, den Prinzessinplatz, das Kreuz Trahoir, den Schweinemarkt, den fürchterlichen Richtplatz Montfaucon, die Wachtstube der Gerichtsdiener, den Katzenplatz, das Thor Saint-Denis, Champeaux, das Thor Baudets, das Sanct-Jacobsthor versperrte, ohne der zahllosen Richtplätze der Profosse, des Bischofs, der Ordenskapitel, der Aebte, der Prioren mit Gerichtspflege, zu gedenken, ohne die gerichtlichen Ertränkungen im Seineflusse aufzuzählen: – es ist tröstlich, sage ich, daß diese alte Lehnsherrin der feudalen Gesellschaft, nach dem allmählichen Verluste aller ihrer Rüststücke, ihrer Unzahl von Todesarten, ihres vermeinten und wunderlichen Strafrechtes, ihrer Tortur, für die sie alle fünf Jahre im Obergerichtshofe eines Lederbettes bedurfte – heute fast aus unseren Gesetzen und aus unseren Städten verstoßen ist, von einem Gesetzbuche in das andere vertrieben, von einem Platze nach dem andern gejagt, in unserem riesengroßen Paris nur noch einen verachteten Winkel des Grèveplatzes, nur noch eine erbärmliche, heimliche, ängstliche, schändliche Guillotine hat, welche immer zu fürchten scheint, auf der That ertappt zu werden, so schnell verschwindet sie, nachdem sie ihren Streich vollführt hat!

      Als Peter Gringoire auf dem Grèveplatze ankam, war er steif und starr. Er hatte den Weg über die Müllerbrücke eingeschlagen, um das Gedränge auf der Wechslerbrücke und die Transparente Johann Fourbeaults zu meiden; aber die Räder aller bischöflichen Mühlen hatten ihn beim Uebergange bespritzt, und sein Kittel war durchnäßt; es schien ihm außerdem, als ob der Fall seines Stückes ihn noch frostiger machte. Deshalb eilte er dem Freudenfeuer näher zu kommen, welches prachtvoll inmitten des Platzes brannte. Aber eine beträchtliche Menge bildete rings um dasselbe einen dichten Kreis.

      »Verdammte Pariser!« sagte er für sich (denn Gringoire hatte, als echter dramatischer Poet, die Eigenart, Selbstgespräche zu halten), »wie sie da sind und mir das Feuer versperren! Und doch habe ich eine warme Ecke so sehr nöthig; meine Schuhe schlucken Wasser und alle die verfluchten Mühlen haben mich durchweicht! Der Teufelskerl von Bischof von Paris mit seinen Mühlen! Ich möchte nur wissen, was ein Bischof mit einer Mühle macht! Hofft er aus dem Bischof ein Müller zu werden? Wenn er dazu meines Segens bedürftig ist, so gebe ich ihm denselben, und seiner Kirche und seinen Mühlen! Will doch sehen, ob die Maulaffen da nicht ein wenig den Platz verlassen! Ich frage jemanden, was sie da machen! Sie wärmen sich; ein schönes Vergnügen! Sie sehen zu, wie da hundert Reisbündel brennen; ein schönes Schauspiel!«

      Indem er näher trat, bemerkte er, daß der Kreis viel größer war, als nöthig, um sich am Feuer des Königs zu wärmen, und daß dieser Zusammenfluß von Zuschauern nicht einzig und allein von der Schönheit der vielen brennenden Reißigbündel angezogen worden war.

      In einem großen Raume, der zwischen dem Feuer und der Menge freigelassen war, tanzte ein junges Mädchen.

      Ob dieses junge Mädchen ein menschliches Wesen sei, oder eine Fee, oder ein Engel, das konnte Gringoire, ein so zweifelsüchtiger Philosoph und ironischer Dichter er auch war, im ersten Augenblicke nicht entscheiden, so sehr war er von dieser blendenden Erscheinung bezaubert worden.

      Sie war nicht groß, aber sie schien es zu sein, so kühn erhob sich ihre zarte Gestalt. Sie war brünett, aber man


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