Der Glöckner von Notre Dame. Victor Hugo

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Der Glöckner von Notre Dame - Victor Hugo


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rief Johann.

      »Diesen Abend wird man im Champ-Gaillard ein Freudenfeuer machen müssen,« fuhr der andere fort, »mit den Büchern Meister Andry's.«

      »Und mit den Pulten der Schreiber,« sagte sein Nachbar.

      »Und den Stöcken der Pedelle!«

      »Und den Spucknäpfen der Decane!«

      »Und den Aktenschränken der Procuratoren!«

      »Und den Kasten der Wahlmänner!«

      »Und den Fußschemeln des Rectors!«

      »Nieder!« rief der kleine Johann mit falscher Baßstimme, »nieder mit Meister Andry, mit den Pedellen und Schreibern, nieder mit den Theologen, Medicinern und Decretisten; mit den Procuratoren, den Wahlmännern und mit dem Rector!«

      »Das ist ja das Weltende!« murmelte Meister Andry, indem er sich die Ohren verstopfte.

      »Ei seht da, der Rector! Da geht er auf dem Platze,« rief einer von denen im Fenster. Die Folge war, daß sich alles nach dem Platze wandte.

      »Ist das wirklich unser ehrwürdiger Rector, Meister Thibaut?« fragte Johann Frollo du Moulin, der an einem Pfeiler im Innern hängend, nicht sehen konnte, was draußen vorging.

      »Ja, ja,« antworteten alle andern, »gewiß, er ist es, Meister Thibaut, der Rector.«

      Es war in der That der Rector mit allen Würdenträgern der Universität, welche in feierlichem Zuge der Gesandtschaft entgegengingen, und in diesem Augenblicke den Platz des Palastes überschritten. Die in das Fenster gedrängten Studenten empfingen sie beim Vorübergehen mit Spottreden und ironischem Beifallsgeschrei. Der Rector, welcher dem Zuge voranschritt, erhielt die erste Salve; sie war stark.

      »Guten Tag, Herr Rector! Holla! ei! Guten Tag denn!«

      »Wie kommt es, daß er hier ist, der alte Spieler? Er hat also seine Würfel verlassen?«

      »Wie er auf seinem Maulesel einhertrottet! der hat weniger lange Ohren, als er.«

      »Holla, he! Guten Tag, Herr Rector Thibaut! Tybalde aleator! Alter Esel, alter Spieler!«

      »Gott schütze Euch! Habt Ihr vergangene Nacht oft Doppel-Sechs geworfen?«

      »O! seht einmal das hinfällige, bleifarbige, matte Gesicht, mit den Spuren der Spielwuth darin!«

      »Wo geht es jetzt hin, Thibaut, Tybalde ad clades, weil Ihr der Universität den Rücken zugekehrt habt und nach der Stadt trabt?«

      »Zweifelsohne will er eine Wohnung in der Straße Thibautodé suchen,« schrie Johann du Moulin.

      Die ganze Bande wiederholte den faulen Witz mit donnerndem Geschrei und wüthenden Händeklatschen.

      »Ihr wollt Euch in der Straße Thibautodé Wohnung suchen, nicht wahr, Herr Rector, Ihr Spielcumpan des Teufels?«

      Dann kamen die andern Würdenträger an die Reihe.

      »Nieder mit den Pedellen! nieder mit den Stabträgern!«

      »Sage mir doch, Robin Poussepain, wer ist denn jener dort?«

      »Das ist Gilbert von Suilly, Gilbertus de Soliaco, der Kanzler des Collegiums Autun.«

      »Da hast du meinen Schuh: wirf ihn diesem an den Kopf; du hast einen bequemeren Platz als ich.«

       »Saturnalitias mittimus ecce nuces.«

      »Nieder mit den sechs Theologen in ihren weißen Chorhemden!«

      »Das dort sind die Theologen? – Ich dachte, es wären die sechs weißen Gänse, welche Sanct Genoveva der Stadt für das Lehngut von Roogny geweiht hat.«

      »Nieder mit den Medicinern!«

      »Fort mit den schwerfälligen und abgeschmackten Redeübungen!«

      »Da fliegt dir meine Mütze an den Kopf, Kanzler von Sanct Genoveva! Du hast mir Unrecht gethan.«

      »Jawohl! er hat meine Stelle in der normännischen Landsmannschaft dem kleinen Ascanio Falzaspada gegeben, der zur Provinz Bourges gehört, weil er ein Italiener ist.«

      »Das ist eine Ungerechtigkeit,« sagten alle Studenten. »Nieder mit dem Kanzler von Sanct Genoveva!«

      »Ho he! Meister Joachim von Ladehors! Ho he! Ludwig Dahuille! Ho he! Lambert Hoctement!«

      »Hole der Teufel den Procurator der deutschen Landsmannschaft!«

      »Und die Kapläne der heiligen Kapelle in ihren grauen Pelzmänteln, cum tunicis grisis.«

       »Seu de pellibus grisis fourratis!«

      »Holla, seht, die Meister der freien Künste! Die ganzen schönen Schwarz- und Rothmäntel!«

      »Die bilden einen schönen Schweif für den Rector!«

      »Man möchte ihn für einen Dogen von Venedig halten, der sich mit dem Meere vermählen will.«

      »Sind das die Canonici von Sanct Genoveva, Johann?«

      »Zum Teufel mit den Canonicis!«

      »Abt Claude Choart! Doctor Claude Choart! sucht Ihr Marie la Giffarde?«

      »Sie wohnt in der Straße Glatigny.«

      »Sie macht dem Hurenkönige das Bett.«

      »Sie zahlt ihre vier Heller; quatuor denarios.«

       »Aut unum bombum!«

      »Soll sie Euch hinter die Ohren bezahlen?«

      »Kameraden! Meister Simon Sanguin, der Wahlmann der Picarden, der seine Frau hinter sich auf dem Pferd hat!«

       »Post equitem sedet atra cura.«

      »Muthig, Meister Simon!«

      »Guten Tag, Herr Wahlmann!«

      »Gute Nacht, Frau Wählerin!«

      »Sind die doch glücklich, alles sehen zu können,« seufzte Johannes de Molendino, der immer noch am Blätterwerke seines Säulenknaufes hing.

      Währenddem neigte sich Meister Andry Musnier, der geschworene Universitätsbuchhändler, zum Ohre des Hofkürschners, Meister Gilles Lecornu.

      »Ich sage Euch, Herr, es ist das Ende der Welt da. Man hat wohl niemals solche Zügellosigkeiten der Studentenschaft gesehen! Das kommt aber von den verfluchten Erfindungen dieses Jahrhunderts, die noch alles verderben: von den Geschützen, Feldschlangen und Donnerbüchsen, und vor allem vom Buchdruck, dieser zweiten deutschen Pest. Giebt's keine Manuscripte mehr, giebt's keine Bücher mehr! Der Buchdruck vernichtet den Buchhandel. Das Ende der Welt ist nahe.«

      »Ich merke es auch recht am Ueberhandnehmen der Sammetstoffe,« sagte der Pelzhändler.

      In demselben Augenblicke schlug es Zwölf.

      »Ah! ...« machte der ganze Haufe mit einem Munde.

      Die Studenten schwiegen. Nun entstand eine große Verwirrung, eine geräuschvolle Bewegung der Füße und der Köpfe, ein starkes, allgemeines Gehuste und Geschneuze; jeder stellte sich zurecht, richtete sich in die Höhe. Nun tiefes Schweigen; alle Hälse blieben gereckt, alle Mäuler offen, alle Blicke nach der Marmortafel gerichtet ... nichts war dort zu sehen. Die vier Diener des Vogtes waren immer noch da, starr und unbeweglich, wie vier bemalte Statuen. Alle Augen wandten sich nach der, für die flamländischen Gesandten bestimmten Tribüne. Die Thür blieb geschlossen, und die Tribüne leer. Diese Menschenmasse erwartete nun seit der Frühe dreierlei: die Mittagsstunde, die flandrische Gesandtschaft, das geistliche Schauspiel. Der Mittag allein war da, auf die Minute. Das war für diesmal zu viel!

      Man wartete eine, zwei, drei, fünf Minuten, eine Viertelstunde: nichts kam. Die Tribüne blieb leer, das Theater stumm. Da folgte der Ungeduld der Zorn auf dem Fuße nach. Gereizte Worte flogen


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