Die Brüder Karamasow. Федор Достоевский

Читать онлайн книгу.

Die Brüder Karamasow - Федор Достоевский


Скачать книгу
sagte sie. ›Du hast von ihm eine Ohrfeige bekommen Hast mich an ihn verkauft‹, sagte sie. ›Wie durfte er wagen, dich, in meiner Gegenwart zu schlagen! Untersteh dich nicht, mir jemals wieder nahe zu kommen, niemals! Lauf sofort zu ihm und fordere ihn zum Duell!‹ Ich brachte sie damals ins Kloster, damit sie sich beruhigte. Die frommen Väter lasen ihr Gebete und heilten sie dadurch. Aber ich schwöre dir bei Gott, Aljoscha, ich habe meine kleine Schreikranke niemals gekränkt! Nur einmal, höchstens ein einziges Mal, noch im ersten Jahr. Sie betete damals schon sehr viel, vor allem hielt sie die Muttergottesfeste heilig und vertrieb mich dann immer in mein Zimmer. Warte mal, dachte ich, ich werde dir diese Mystik verleiden! ›Siehst du‹, sagte ich, ›da ist dein Heiligenbild, da ist es. Ich nehme es herunter, nun paß auf. Du hältst es für wundertätig, aber ich werde es vor deinen Augen anspucken, und nichts wird mir dafür geschehen!‹ Als sie das sah – Herrgott, ich dachte, jetzt schlägt sie dich tot! Aber sie sprang nur auf, schlug die Hände zusammen, bedeckte mit ihnen das Gesicht und fiel, am ganzen Körper zitternd, zu Boden ... Sie stürzte einfach hin ... Aljoscha, Aljoscha! Was hast du, was hast du?«

      Der Alte sprang erschrocken auf. Aljoschas Gesicht hatte sich seit dem Augenblick, wo von seiner Mutter gesprochen wurde, allmählich verändert. Er war rot geworden, seine Augen brannten, seine Lippen zuckten. Der betrunkene Alte hatte, speichelspritzend, weitergeredet und nichts bemerkt, bis mit Aljoscha auf einmal etwas Seltsames geschah. Bei ihm wiederholte sich nämlich dasselbe, was soeben von der Schreikranken erzählt worden war. Aljoscha sprang plötzlich vom Tisch auf, ganz wie seine Mutter, schlug die Hände zusammen, bedeckte mit ihnen das Gesicht und sank wie gebrochen zurück auf den Stuhl; sein ganzer Körper wurde von einem lautlosen Weinkrampf erschüttert. Die auffallende Ähnlichkeit mit der Mutter überraschte den Alten zutiefst.

      »Iwan, Iwan! Gib ihm schnell Wasser! Das ist genau wie bei ihr, genauso wie damals bei seiner Mutter! Bespritz ihn aus dem Mund mit Wasser, so habe ich es mit ihr auch gemacht! Die Worte über seine Mutter haben ihn ergriffen!« fügte er murmelnd hinzu.

      »Aber war denn seine Mutter nicht auch meine Mutter? Meinen Sie nicht?« brach Iwan plötzlich in ungehemmter Wut und Verachtung los.

      Der Alte zuckte vor Iwans wütendem Blick zusammen. Und da geschah etwas sehr Seltsames, allerdings nur für ein paar Sekunden.

      Dem Alten schien tatsächlich das Wissen abhanden gekommen zu sein, daß Aljoschas Mutter auch Iwans Mutter war.

      »Wieso deine Mutter?« murmelte er verständnislos. »Wie meinst du das? Von welcher Mutter redest du? War sie etwa ... Ah, zum Teufel? Ja, sie war ja auch deine Mutter! Na, das war eine Geistesverwirrung, lieber Freund, wie ich sie noch nie erlebt habe! Entschuldige nur, ich dachte ... Iwan ... hehehe!«

      Er verstummte. Sein Gesicht verzog sich zu einem breiten, trunkenen, fast gedankenlosen Lächeln. Doch plötzlich ertönte auf dem Flur ein furchtbares Lärmen und Poltern, ein wütendes Geschrei war zu hören, die Tür wurde aufgestoßen, und herein stürmte Dmitri Fjodorowitsch. Der Alte stürzte erschrocken zu Iwan und klammerte sich an seinen Rockschoß.

      »Er will mich töten, er will mich töten! Schütze mich, schütze mich!« schrie er.

      Unmittelbar hinter Dmitri Fjodorowitsch eilten Grigori und Smerdjakow in den Saal. Sie hatten auf dem Flur mit ihm gerungen und ihm den Eintritt verwehrt – gemäß einer Instruktion, die ihnen Fjodor Pawlowitsch schon einige Tage vorher erteilt hatte. Grigori benutzte den Umstand, daß Dmitri Fjodorowitsch nach dem Betreten des Saales kurze Zeit stehenblieb, um sich umzusehen, lief um den Tisch herum, schloß beide Flügel der in die inneren Räume führenden Tür und stellte sich mit ausgebreiteten Armen davor, bereit, den Eingang bis zum letzten zu verteidigen.

      Als Dmitri das sah, stieß er einen Schrei oder vielmehr eine Art Kreischen aus und stürzte sich auf Grigori.

      »Sie ist hier! Sie haben sie versteckt! Aus dem Weg, Schurke!«

      Er wollte Grigori fortreißen, aber der stieß ihn zurück. Außer sich vor Wut, holte Dmitri aus und versetzte seinem Gegner mit voller Kraft einen Schlag. Der alte Mann stürzte jäh zu Boden, und Dmitri sprang über ihn hinweg und stieß die Tür auf. Smerdjakow blieb im Saal, am anderen Ende; blaß und zitternd näherte er sich Fjodor Pawlowitsch.

      »Sie ist hier!« schrie Dmitri Fjodorowitsch. »Ich habe sie soeben selbst zum Haus einbiegen sehen, konnte sie nur nicht einholen. Wo ist sie? Wo ist sie?«

      Diese Rufe machten auf Fjodor Pawlowitsch einen unbegreiflichen Eindruck. All seine Angst war im Nu verschwunden.

      »Haltet ihn, haltet ihn!« brüllte er und stürzte hinter Dmitri Fjodorowitsch her.

      Unterdessen hatte sich Grigori erhoben, war jedoch geistig noch wie abwesend. Iwan Fjodorowitsch und Aljoscha liefen dem Vater nach. Man hörte, wie im dritten Zimmer etwas zu Boden fiel und zerklirrte. Dmitri Fjodorowitsch hatte beim Vorbeilaufen eine große gläserne Vase von einem Marmorsockel gestoßen.

      »Packt ihn!« brüllte der Alte. »Zu Hilfe!«

      Doch Iwan Fjodorowitsch und Aljoscha holten den Alten ein und brachten ihn mit Gewalt in den Saal zurück.

      »Warum rennen Sie ihm nach? Er wird Sie totschlagen!« rief Iwan Fjodorowitsch zornig dem Vater zu.

      »Wanetschka, Ljoschetschka, sie ist also hier! Gruschenka ist hier! Er sagt, er hat selbst gesehen, wie sie herlief ...«

      Er konnte nicht weiterreden vor Erregung. Er hatte Gruschenka diesmal nicht erwartet, und die plötzliche Nachricht, sie sei da, brachte ihn fast um den Verstand. Er zitterte am ganzen Körper und war wie von Sinnen.

      »Aber Sie haben doch selbst gesehen, daß sie nicht gekommen ist!« rief Iwan.

      »Vielleicht ist sie durch den anderen Eingang gekommen?«

      »Der ist verschlossen, und den Schlüssel haben Sie selbst ...«

      Auf einmal erschien Dmitri erneut im Saal. Er hatte den anderen Eingang in der Tat verschlossen gefunden, und der Schlüssel steckte wirklich in Fjodor Pawlowitschs Tasche. Die Fenster aller Zimmer waren ebenfalls geschlossen; Gruschenka konnte also nirgends hindurchgegangen sein.

      »Haltet ihn!« kreischte Fjodor Pawlowitsch, als er Dmitri wieder erblickte. »Er hat mir im Schlafzimmer Geld gestohlen!« Und er riß sich von Iwan los und stürzte abermals auf Dmitri los. Der aber hob beide Hände, packte den Alten an den beiden letzten Haarbüscheln, die ihm an den Schläfen verblieben waren, riß ihn hoch und schmetterte ihn dann mit einem Faustschlag zu Boden. Er fand noch Zeit, ihm zwei- oder dreimal mit dem Absatz ins Gesicht zu treten. Der Alte stöhnte laut. Iwan Fjodorowitsch umfaßte seinen Bruder Dmitri, obwohl er nicht so stark war wie dieser, und riß ihn mit aller Kraft von dem Alten weg. Auch Aljoscha, half ihm, so gut er konnte, indem er den Bruder von vorn umklammerte.

      »Du Wahnsinniger, hast ihn totgeschlagen!« rief Iwan.

      »Geschieht ihm ganz recht!« schrie Dmitri keuchend. »Sollte er nicht vollkommen tot sein, komme ich wieder und hole es nach. Ihr werdet ihn nicht davor bewahren!«

      »Dmitri. Geh augenblicklich von hier fort!« rief Aljoscha gebieterisch.

      »Alexej. Du bist der einzige, dem ich glaube. Sag mir, war sie hier oder nicht? Ich habe sie aus der Seitengasse am Zaun entlang herschlüpfen sehen. Ich rief sie an, aber sie rannte davon ...«

      »Ich schwöre dir, sie war nicht hier. Es hat sie auch niemand hier erwartet!«

      »Aber ich habe sie gesehen ... Also muß sie ... Ich werde gleich erfahren, wo sie ist ... Leb wohl, Alexej! Sag dem alten Satyr kein Wort von dem Geld, geh sofort zu Katerina Iwanowna und bestell ihr, ich lasse sie grüßen! Und ihr Lebewohl sagen! Schildere ihr diese Szene!«

      Unterdessen hatten Iwan und Grigori den Alten auf einen Lehnstuhl gesetzt. Sein Gesicht war blutig, aber er war bei Bewußtsein und hörte Dmitri begierig zu. Er glaubte immer noch, Gruschenka sei wirklich irgendwo im Haus. Dmitri Fjodorowitsch warf


Скачать книгу