Von der politischen Berufung der Philosophie. Donatella Di Cesare
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Donatella Di Cesare
Von der politischen Berufung der Philosophie
Aus dem Italienischen von Daniel Creutz
Die Philosophie soll nicht prophezeien, aber sie soll auch nicht schlafen.
Martin Heidegger
Und so wird uns und euch die Polis wachend verwaltet werden und nicht träumend.
Platon
Wir verwirklichen uns nie. Wir sind zwei Abgründe – ein Brunnen, der in den Himmel schaut.
Fernando Pessoa
Inhalt
Die gesättigte Immanenz des Globus
Heraklit, das Wachen und der ursprüngliche Kommunismus
Lichtnarkose: Von der Nacht des Kapitals
Staunen: Eine unruhige Leidenschaft
Zwischen Himmeln und Abgründen
Platon: Als die Philosophie in der Stadt ins Exil ging
Das 20. Jahrhundert: Zäsuren und Traumata
Gegen Unterhändler und normative Philosophen
Ancilla democratiae: Eine traurige Rückkehr
Kraftvolle Prophezeiungen des Sprunges: Marx und Kierkegaard
Gefallene Engel und Lumpensammler
Die gesättigte Immanenz des Globus
Es gibt kein Außen mehr. So präsentiert sich das letzte Stadium der Globalisierung. Bis zur Moderne dachten die Bewohner des irdischen Gestirns bewundernd, staunend und erschüttert über den Kosmos nach und richteten ihre Augen in den offenen Himmel. Jenes unermessliche Gewölbe bot ihnen gleichwohl Schutz, schirmte es sie doch gegen die absolute Äußerlichkeit ab, der sie sich ausgesetzt sahen. Als der Planet jedoch von vorne bis hinten erkundet – umrundet, besetzt, vernetzt, vor- und dargestellt – war, brach der kosmische Himmel auf, und es eröffnete sich ihnen: der Abgrund. Ihr Blick verlor sich im eisigen Außen. Die Herausforderung war ohne Beispiel. Die Entdeckung des Globus erscheint daher als die Geschichte einer »raumpolitischen Entäußerung«.1 Das Äußere übte eine magnetische Anziehungskraft aus, es zog an und stieß zugleich ab, wobei es die Alterität zu reduzieren, zu beherrschen und zu kontrollieren galt. Auch zu jener Zeit fehlte es dafür nicht an philosophischen Modellen. An die Stelle des kosmischspekulativen Universums, das Mutmaßungen, Intuitionen und Ideen über lange Zeit hinweg angeregt hatte, trat die kopernikanische Revolution, dank derer – während auch noch die äußersten Grenzen eine nach der anderen eingerissen wurden – mit Nachdruck der Anthropozentrismus proklamiert werden konnte. Das umherirrende Gestirn folgte dieser Bahn über Jahrhunderte hinweg in verwickelten Rotations- und Schwingungsbewegungen, ohne jedoch seinem Schicksal zu entgehen.
Bei Anbruch des dritten Jahrtausends kann die Globalisierung als vollendet gelten. Sie präsentiert sich als Resultat eines ununterbrochenen, von der treibenden Kraft der Welt geführten Monologes, einer höheren Gewalt, die unmöglich zum Stillstand zu bringen ist, als handele es sich um die Vernunft selbst. Jedwede kritische Instanz erwiese sich damit als überflüssig. Man stellt Analysen über die globale Situation an. Mehr aber auch nicht. Zum ersten Mal scheint die Philosophie vom Axiom der Aktualität überrollt zu werden.
Wie kann es in einer Welt ohne Außen noch Philosophie geben? Einer sorgfältigen Diagnose erscheint die ontologische Ordnung des Globus als diejenige einer gesättigten Immanenz, wobei Immanenz hier im etymologischen Sinne dessen zu verstehen ist, was bleibt, was in sich verbleibt, stets Innen, ohne Außen, ohne Äußerlichkeit. Es handelt sich um eine statische und verdichtete Immanenz: Weder gibt es Einschnitte noch Lücken, Fluchten oder Auswege. Die Sättigung ist eine räumlich-zeitliche. Das mag eventuell überraschen: Leben wir nicht vielmehr in einer Welt der absoluten Flüsse: des Kapitals, der Technik, der Medien? Information, Fusion und Dichte folgen dem hektischen Herzschlag einer schwindelerregenden Beschleunigung. Und das alles natürlich im Zeichen des unweigerlichen Fortschritts. Damit wird jedoch nur der Anschein einer Welt getroffen, die vollkommen im ökonomischen Strudel der Zeit eingeschlossen ist und deren Wesen paradoxerweise auf Geschwindigkeit beruht.2 Die Flüsse des globalen Netzwerkes beschreiben die immer gleichen Umlaufbahnen und folgen einer Wiederholungsbewegung, die in sich identisch bleibt. Nicht, dass es an chaotischen Spiralen und aufrührerischen Strudeln fehlen würde – aber sie stören den konstanten Rhythmus jener absoluten Flüsse nicht, die unerschütterlich geschlossen und insgeheim unbeweglich bleiben. Schnelligkeit wird zum Stillstand, Beschleunigung endet in Trägheit, wie auf einem Laufband, auf dem man stets weiter vorwärts rennt, um nicht zurückzubleiben. Alles ändert sich – aber im Grunde ändert sich nichts wirklich. Träg-verharrende Veränderung ist das Signum des synchronisierten Globus.
Die gesättigte Immanenz zeigt die erstickende Gegenwart einer Welt an, die im Glauben an das Unversehrte verlangt, sich gegen das »Außen« zu immunisieren.3 Daher hat sie alles, was anders ist als sie selbst, aufgesaugt, verbannt und zerstört, gesteuert von einem