Vor Dem Fall. L. G. Castillo
Читать онлайн книгу.vor ihm.«
Er erwiderte den Blick seines Freundes. Luzifer beneidete Michael. Er konnte es in seinen Augen erkennen.
»Sag mir, wozu soll es gut sein, wenn du auf die Erde gehst, um bei denen zu leben, die du so sehr verachtest?«
Luzifers Augen verengten sich, bevor sein Gesicht schnell einen neutralen Ausdruck annahm und seine Lippen sich zu einem Lächeln verzogen. »Aus demselben Grund, aus dem du immer wieder über die Brücke nach deiner Wüstenblume Ausschau hältst.«
Raphael stutzte. »Du hast meine Sorge falsch verstanden. Ich bin nur sichergegangen, dass Rebecca nichts zugestoßen ist wegen meines Eingreifens.«
»Rebecca.«
Raphael erstarrte, als Luzifer ihren Namen aussprach und ihn mit der Zunge förmlich streichelte. Er sprang auf die Füße. »Es reicht, Luzifer.«
Luzifer lachte. »Entschuldige. Es ist nur – ich habe dich noch nie so fasziniert von jemandem gesehen. Geh nicht. Du hast meinen Vorschlag noch nicht gehört.«
»Ich habe genug gehört.«
»Raphael.« Luzifer trat auf ihn zu und versperrte ihm den Weg. »Wir werden bald fortgehen und ich möchte, dass du dich uns anschließt. Du musst dort nicht bleiben. Vielleicht gerade lange genug, um sicherzustellen, dass deine Wüstenblume vor einem gewissen Jemand in Sicherheit ist…«
Das Bild von Bakas Körper, der sich über Rebeccas aufrichtete, schoss durch seinen Kopf und er zuckte zusammen. Sein Herzschlag pochte ihm in den Ohren und verdrängte jeden rationalen Gedanken. Er gestattete sich selbst den Gedanken daran, noch einmal bei Rebecca zu sein. In seinem ganzen Leben hatte er noch nicht ein einziges Mal mit einem Menschen eine Beziehung eingehen wollen. Und jetzt stand er hier und erwog, sich von den Engeln loszusagen – für Rebecca.
»Vielleicht würde ein Tag nicht schaden.«
»Natürlich würde es das nicht«, entgegnete Luzifer.
»Ein Tag oder zwei wären genug, um die Dinge zwischen den Ausgestoßenen und den Menschen von Ai zu regeln.« Raphael sprach die Worte, aber tief im Innern wusste er, dass er die Zeit damit verbringen würde, einen Weg zu suchen, wie er Baka von Rebecca fernhalten konnte.
»Ein Tag… ein Monat auf der Erde bedeutet hier oben so gut wie keine Zeit«, redete Luzifer auf ihn ein. »Es wird wie ein Wimpernschlag vergehen. Niemand wird überhaupt wissen, dass du fort bist.«
Er sah Rebeccas liebliches Lächeln vor sich und das merkwürdige Gefühl, dass er gehabt hatte, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte, stieg in ihm auf. Luzifer hatte recht. Niemand würde überhaupt wissen, dass er fort war.
»Wann gehen wir?«
»Ihr geht?«
Raphael fuhr beim Klang von Rachels Stimme herum. Einen Moment lang brachte ihn der verletzte Ausdruck auf ihrem Gesicht fast dazu, es sich anders zu überlegen.
Bevor er etwas erwidern konnte, trat Luzifer vor ihn. »Wie ich höre, hast du einen neuen Namen. Rachel, nicht wahr?«
Sie blinzelte, verwirrt, dass Luzifer ihr Beachtung schenkte. »Ich… ähm… ja.« Ihre Augen fuhren fragend zwischen ihm und Raphael hin und her.
»Das ist… reizend. Ich bin mir sehr sicher, dass Uriel das auch so sehen würde. Meinst du nicht, Raphael? Schade, dass er bald mit uns fortgehen wird, um auf der Erde zu leben.«
Sie beugte sich zur Seite und versuchte, Raphael anzusehen. »Uriel geht auch? Er wird doch wiederkommen, oder?«
»Es ist noch nicht zu spät«, antwortete Luzifer und ergriff sie am Arm, um sie von Raphael fortzuführen. »Uriel ist im Saal der Gaben. Wenn du dich beeilst, erwischst du ihn vielleicht noch.« Er setzte einen traurigen Gesichtsausdruck auf. »Das ist vielleicht die letzte Gelegenheit, um ihm zu sagen… du weißt schon.«
»Er kann nicht fortgehen«, flüsterte Rachel.
»Vielleicht kannst du ihn davon überzeugen.«
Rachel nickte und eilte mit wehendem Gewand davon.
Raphael schluckte schwer an dem Klumpen, der sich in seiner Kehle bildete, als er zusah, wie die kleine Gestalt verschwand. Wie konnte Luzifer so mit ihren Gefühlen spielen? Er wusste, dass es ausgeschlossen war, dass Uriel blieb und dass er sie mit einem gebrochenem Herzen zurücklassen würde. Trotzdem war da ein Teil von ihm, der dankbar war, dass Luzifer sie abgelenkt hatte. Er schämte sich.
Rachel hetzte durch die Korridore zum Saal der Gaben. Das Geräusch ihrer Füße hallte auf dem Marmorboden und in den Fluren wider.
Er kann nicht fortgehen. Er weiß es nicht.
Rachels Gedanken an Uriel kreisten rasend schnell in ihrem Kopf. Sie wusste nicht, was es ihm bedeuten würde. Wäre er jemals in der Lage zurückzukehren, wenn er erst einmal fort war? Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass irgendein anderer Engel je fortgegangen war, um auf der Erde zu leben.
»Hi, Raguel. Wie ich hörte, hast du deinen Namen…«
»Tut mir leid!«, rief Rachel, als sie an einem Engel mit dem Namen Marion vorbeieilte. »Ich kann jetzt nicht stehenbleiben, um mich zu unterhalten.« Der Gang war voller Engel. Sie alle sprachen im Flüsterton über Luzifer und Uriel. Die Nachricht von ihrer Abreise hatte sich schnell herumgesprochen.
Sie konnte ihre Blicke auf sich fühlen, als sie an ihnen vorbeieilte. Es war ihr egal. Zu jeder anderen Zeit hätte sie es vermutlich beschämend gefunden, dass sie von ihren Gefühlen für Uriel wussten. Jetzt konnte sie nur daran denken, zu ihm zu gelangen und ihn zum Bleiben zu überreden.
Als sie den Saal der Gaben erreichte, erstarrte ihre Hand auf der Türklinke, als ein tiefes, kehliges Lachen sich in Uriels Gelächter mischte. Jemand war bei ihm.
Sie blinzelte, um die Tränen zurückzuhalten. Uriel liebte es, mit anderen Engeln zu flirten. Das wussten alle. Selbst, wenn er mit ihr flirtete, wusste sie, dass es einfach ein Teil von ihm war und nichts weiter. Trotz dieses Wissens hatte sie nicht verhindern können, dass sie sich in ihn verliebte und sich mehr wünschte.
Er war anders als alle, die sie kannte: Raphael, Luzifer, Michael. Sie waren alle so ernst. Uriel hingegen war lustig und sorgenfrei. Er liebe das Leben.
Es gab nicht viele Engel, die ihn so kannten, wie sie es tat. Während einiger von ihren vielen Spaziergängen durch die Gärten wurde Uriels schönes Gesicht manchmal ernst und er teilte seine tiefsten Gedanken mit ihr. Er erzählte ihr dann, dass er sich manchmal wünschte, er wäre nicht der Erzengel des Todes. Er liebte die Menschen und die Freiheit, die sie hatten ihr Leben zu leben und er hasste es, ihnen das wegnehmen zu müssen. Er hatte ihr erzählt, dass niemand sonst wusste, wie schwer seine Rolle als Engel auf seinen Schultern lastete. Das war etwas nur zwischen ihnen beiden gewesen.
Sie konnte nachvollziehen, dass er versucht war, seine Stelle im Himmel aufzugeben, um bei denen zu leben, die er beneidete.
Sie dachte an das letzte Mal, als sie sich unterhalten hatten, bevor sie mit Raphael aufgebrochen war.
»Weißt du, Luzifer sagt, die Engel sollten mehr Freiheiten haben. Wir sollten nicht nur damit beschäftigt sein, die ganze Zeit den Menschen zu dienen.«
»Das glaubst du doch nicht etwa. Oder?«
»Na ja, nein… nicht wirklich.«
»An Luzifer ist etwas Merkwürdiges. Ich weiß nicht, was genau es ist, aber ich traue ihm nicht.«
»Raphael scheint ihn gern zu haben.«
Sie seufzte. »Ja, das tut er. Es ist nur… ach, ich weiß auch nicht. Ich habe kein gutes Gefühl, wenn um ihn geht. Er nimmt das Beste von dir weg, wenn du in seiner Nähe bist, weißt du.«
Uriel hob eine Braue. »Was meinst du damit?«
»Na ja, je länger du dich in seiner Nähe aufhältst, desto unglücklicher scheinst du zu sein.«
»Hmmm… Vielleicht bin ich tief im Innern schlecht und Luzifer hilft mir, das zu erkennen.«
»Du