Der Tod auf dem Nil. Agatha Christie

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Der Tod auf dem Nil - Agatha Christie


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Jackie stand ohne einen Pfennig da. Ich weiß gar nicht, wie sie die letzten zwei Jahre über die Runden gekommen ist.«

      Joanna polierte ihre blutroten Fingernägel mit Linnets Nagelkissen. Dann lehnte sie sich zurück, legte den Kopf auf die Seite und betrachtete das Ergebnis. »Liebling«, flötete sie schließlich, »ist das nicht schrecklich lästig? Wenn Freunde von mir irgendwie in die Bredouille kommen, lasse ich sie sofort fallen! Das klingt zwar herzlos, aber es erspart einem viel Ärger hinterher! Die wollen einen doch bloß anpumpen, oder sie machen ein Modegeschäft auf, und dann soll man ihnen die grässlichsten Kleider abkaufen. Oder bemalte Lampenschirme und Batikschals.«

      »Du meinst, wenn ich morgen mein ganzes Geld verliere, dann lässt du mich fallen?«

      »Ja, Liebling, lasse ich. Man kann mir jedenfalls nicht nachsagen, ich wäre nicht ehrlich! Ich mag eben nur erfolgreiche Menschen. Übrigens wirst du feststellen, dass die meisten Leute das so sehen – nur zugeben würden sie es nicht. Die behaupten dann, sie kämen eben nicht mehr zurecht mit Mary oder Emily oder Pamela! ›Das arme Mädchen ist ja so verbittert und so komisch wegen all dem Kummer!‹«

      »Was bist du für ein Biest, Joanna!«

      »Ich sehe nur zu, wo ich bleibe, wie alle Menschen.«

      »Ich nicht!«

      »Aus naheliegenden Gründen! Man braucht sich nicht schäbig zu benehmen, wenn einem attraktive amerikanische Vermögensverwalter im besten Mannesalter alle Vierteljahre einen dicken Scheck schicken.«

      »Und du irrst dich auch in Bezug auf Jackie«, sagte Linnet. »Sie ist keine Abstauberin. Ich wollte sie unterstützen, aber sie lässt mich nicht. Sie ist höllisch stolz.«

      »Und warum will sie dich so dringend sprechen? Ich wette, sie will etwas! Du wirst schon sehen.«

      »Sie klang schon aufgeregt, wegen irgendetwas«, gab Linnet zu. »Jackie war immer schnell aufbrausend, wegen aller möglichen Dinge. Einmal ist sie mit dem Taschenmesser auf jemanden losgegangen!«

      »Nein, wie gruselig!«

      »Ein Junge hat einen Hund gequält. Jackie hat versucht, ihn davon abzubringen, aber er hat weitergemacht. Sie hat an ihm herumgezerrt und ihn geschüttelt, aber er war stärker; da hat sie eben ein Taschenmesser gezückt und zugestochen. Es gab einen Heidenkrach deshalb.«

      »Das kann ich mir vorstellen. Klingt höchst unerfreulich!«

      Linnets Dienstmädchen kam herein, murmelte eine knappe Entschuldigung, nahm ein Kleid aus dem Schrank und ging damit wieder hinaus.

      »Was ist denn mit Marie los?«, fragte Joanna. »Sie hat ja geweint.«

      »Das arme Ding! Ich hatte dir doch erzählt, dass sie einen Mann heiraten wollte, der in Ägypten arbeitet. Sie wusste aber nicht viel über ihn, deshalb fand ich, ich sollte mal nachforschen, ob er in Ordnung ist. Und dann stellte sich heraus, er hat schon eine Frau – und drei Kinder.«

      »Du machst dir ja eine Menge Feinde, Linnet.«

      »Feinde?« Linnet sah sie verblüfft an.

      Joanna nickte und nahm eine Zigarette. »Feinde, Liebes. Du bist so entsetzlich tüchtig. Und du machst so schrecklich zuverlässig immer alles richtig.«

      Linnet lachte. »Aber wo – ich habe keinen einzigen Feind auf der Welt.«

      IV

      Lord Windlesham saß unter der Zeder und betrachtete lange den eleganten Umriss von Wode Hall. Nichts störte diese Schönheit der Alten Welt; die neuen Anbauten lagen alle dahinter und waren außer Sicht. So in die Herbstsonne getaucht, bot Wode Hall einen heiteren, friedlichen Anblick. Aber bald war, was er da betrachtete, nicht mehr Wode Hall. Stattdessen sah er ein viel imposanteres elisabethanisches Herrenhaus, einen ausgedehnten Park, eine kargere Landschaft … Es war der Sitz seiner eigenen Familie, Charltonbury, und eine Gestalt stand jetzt davor – ein Mädchen mit leuchtend goldenen Haaren und einem unduldsamen, selbstsicheren Gesicht … Linnet als Herrin von Charltonbury!

      Er war sehr zuversichtlich. Der Korb, den sie ihm gegeben hatte, war keineswegs eine endgültige Absage. Er war bloß eine Bitte um etwas mehr Zeit. Und er konnte es sich leisten zu warten …

      Wie erstaunlich gut sich alles fügte! Gewiss, es war ratsam, dass er reich heiratete, aber doch auch nicht so dringlich, dass er dafür seine Gefühle beiseitezuschieben gezwungen wäre. Er liebte Linnet. Er hätte sie auch heiraten wollen, wenn sie keinen Pfennig gehabt hätte, wenn sie nicht eins der reichsten Mädchen in ganz England gewesen wäre. Nun, glücklicherweise war sie eins der reichsten Mädchen in ganz England …

      In Gedanken spielte er verlockende Zukunftspläne durch. Er würde die Roxdale-Fuchsjagd ausrichten und den Westflügel restaurieren können, er musste die Ländereien in Schottland nicht mehr an Moorhuhnjäger verpachten …

      Charles Windlesham saß träumend in der Sonne.

      V

      Es war vier Uhr, als der klapprige kleine Zweisitzer knirschend auf dem Kies zum Stehen kam. Ein Mädchen stieg aus – ein schmächtiges kleines Geschöpf mit einem dunklen Wuschelkopf. Sie sprang die Stufen hinauf und riss an der Klingel.

      Ein paar Minuten später wurde sie in den pompösen, langgestreckten Salon geführt, und ein hochwürdiger Butler verkündete mit der gebührenden Feierlichkeit: »Miss de Bellefort.«

      »Linnet!«

      »Jackie!«

      Windlesham stand etwas beiseite und sah wohlwollend zu, wie das kleine Temperamentbündel sich Linnet mit offenen Armen entgegenwarf.

      »Lord Windlesham, Miss de Bellefort, meine beste Freundin.«

      Ein hübsches Kind, dachte er, obwohl eigentlich nicht hübsch, aber ausgesprochen anziehend mit ihren dunklen Locken und ihren großen Augen. Er murmelte ein paar Floskeln und ließ die beiden Freundinnen taktvoll allein.

      Jacqueline bestürmte Linnet, in ihrer typischen Weise, an die Linnet sich erinnerte. »Windlesham? Windlesham? Das ist der Mann, von dem die Zeitungen ständig schreiben, du willst ihn heiraten? Willst du, Linnet? Willst du?«

      Linnet murmelte: »Vielleicht.«

      »Liebling – ich freue mich ja so! Er sieht nett aus.«

      »Oh, keine voreiligen Schlüsse – ich habe ja selbst noch keinen gefasst.«

      »Natürlich nicht! Eine Königin schreitet mit Bedacht zur Wahl ihres Gefährten, wie es ihr zusteht!«

      »Sei nicht albern, Jackie.«

      »Du bist doch eine Königin, Linnet! Das warst du immer. Sa majesté, la reine Linette, Linette la blonde! Und ich – ich bin die Vertraute der Königin! Ihre getreue Hofdame.«

      »Was für einen Unsinn du redest, Jackie! Wo warst du überhaupt die ganze Zeit? Du verschwindest einfach. Und schreiben tust du auch nie.«

      »Ich hasse Briefeschreiben. Wo ich war? Ach, zu drei Vierteln ertrunken, Liebling. In ARBEIT nämlich. Grässliche Stellen mit grässlichen Frauen.«

      »Aber du hättest doch –«

      »Die Wohltaten der Königin annehmen sollen? Na ja, ehrlich gesagt, Liebling, deshalb bin ich hier. Nein, nicht um dich anzupumpen. Soweit ist es noch nicht! Aber ich möchte dich um einen großen Gefallen bitten!«

      »Na los.«

      »Wenn du deinen Windlesham heiraten willst, verstehst du mich vielleicht.«

      Linnet stutzte einen Augenblick lang, dann hellte sich ihr Gesicht auf. »Jackie, heißt das –?«

      »Ja, Liebling, ich bin verlobt

      »Ach, das ist es! Ich dachte gleich, du siehst irgendwie besonders lebenslustig aus. Das tust du natürlich immer, aber heute noch mehr.«

      »Genauso


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