Omnipotens. Thorsten Klein

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Omnipotens - Thorsten Klein


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      „Ein Vollbürger?“, fragte Bcoto, der die herrische Geste nicht entgangen war, mit der il caskar die Worte ihres Bruders abwürgte.

      „Natürlich nicht“, erwiderte der, „aber er hätte das Zeug dazu gehabt, irgendwann mal einer zu werden. Er lebt schon ziemlich lange hier. Viel länger, als für Psychaner üblich. Er ist fast unverwundbar und war noch nie in seinem Leben krank. Nur durch die RaumZeit konnte er noch nicht reisen. Vielleicht hat sein plötzlicher Tod, den er sicher überlebt haben wird, diese Fähigkeit geweckt? Möglich wäre das. Wir werden ihn wiederfinden. Er ist Beamter. Diesen bequemen Job hat er noch nie aufgegeben. Also werden wir ihn auf seiner Arbeit finden. In Berlin. Im Polizeipräsidium von Berlin.“

      „Soll ich hin? Soll ich ihn suchen, Chef?“, fragte Takhtusho eifrig. Er wusste nicht, ob er sich verplappert hatte, als er seiner Schwester das Vollbürgertum des Kriminalrates Renatus verriet. Wenn ja, wusste er, was zu tun sei. Unterwürfigkeit und Eifer kamen bei il caskar immer gut an.

      Aber der winkte ab. „Das hat noch Zeit. In Deutschland läuft alles so, wie es laufen soll. Russland ist da schwieriger und hat deshalb Priorität. Wir brauchen Verbündete gegen Michael Arx. Genosse Tscherkassow arbeitet schon lange für uns. Wenn wir nun noch den Genossen Wissarew auf unsere Seite ziehen, steht einem Sieg gegen Michael Arx nichts mehr im Wege.“

      „Dann red ich mit dem. Ich werde ihn schon überzeugen“, sagte Takhtusho in einem Ton und mit einer Geste, die einer ganzen Armee Angst gemacht hätte.

      „Das ist unnötig. Ala Skaunia kümmert sich bereits darum“, wiegelte il caskar ab.

      „Um Wissarew? Wie?“

      il caskar lächelte nur auf diese Frage Bcotos.

      „Verstehe“, erwiderte Bcoto, die nicht nur das Lächeln il caskars verstand, sondern auch einen Plan, der nur von Ala Skaunia kommen konnte. „Sie kümmert sich auf eine Weise um den Genossen Wissarew, die Takhtusho nicht möglich wäre. Habe ich recht?“

      „Leider lassen die Neigungen des Genossen Wissarew den Einsatz von Männern nicht zu. Den von Frauen schon.“

      „Wenn du seine Neigungen so gut kennst, weißt du auch, in welcher Gefahr sich Ala Skaunia befindet.“

      „In Gefahr? Bei diesem Ureinwohner? Wohl kaum.“

      Ein kurzer mentaler Impuls von Bcoto ließ il caskars Selbstsicherheit sofort bröckeln. Der erschrak, denn so detailliert, wie sie Bcoto schilderte, waren ihm die sexuellen Neigungen des Genossen Wissarew nicht bekannt.

      Typisch war, dachte Bcoto, dass er ihre Informationen im MindWeb verifizierte, bevor er ihr glaubte.

      Ihre Befürchtungen, il caskar würde sie nicht zu ihr lassen, waren unberechtigt. Sein Befehl war eindeutig: Bcoto sollte Ala Skaunia in Russland beschützen.

      Ort: Psyche, Kunzewo, Wissarews Datscha

      Ala Skaunia warf noch einen Blick ins Schlafzimmer. Dann schloss sie sacht die Tür.

      „Was hast du mit deinen Haaren gemacht?“

      Ala Skaunia holte tief Luft, um nicht zu schreien, so erschrocken war sie.

      Ihre ganze Aufmerksamkeit war darauf gerichtet gewesen, den Genossen Wissarew nicht zu wecken. Schließlich schlief der endlich und ließ sie in Ruhe. Das wollte sie genießen. Außerdem konnte sie diese Ruhe nutzen, ihren Haaren mit mentaler Kraft wieder jenes Semmelblond zu geben, dass il caskar so liebte, Wissarew aber nicht ausstehen konnte. Der mochte nur Frauen mit schwarzem Haar. Zum Glück wurde sie nur von Bcoto bei dieser „kosmetischen Operation“ überrascht.

      „Was machst du hier?“, fragte sie argwöhnisch und bereits wieder blond.

      „Ich bin zu deinem Schutz hier. il caskar hat von deinem genialen Plan erzählt, wollte aber sichergehen, dass dir dabei nichts passiert. Er weiß inzwischen, was für Neigungen Wissarew noch hat.“

      „Weißt du das auch? Hast du uns beide schon lange beobachtet?“

      „Konnte ich nicht. Ich bin erst seit ein paar Minuten hier“, log Bcoto.

      Um ihre Erleichterung zu verbergen, gab Ala Skaunia eine Antwort, die typisch war. Typisch für sie und typisch für ihr Verhältnis zu Bcoto. Sie fing an zu prahlen, als hätte eine Bedrohung nie existiert: „Du hättest eher da sein sollen. Von Anfang an. Du kannst viel von mir lernen, was den Umgang mit Männern betrifft. Vor allem, wie Frau im Bett mit ihnen umgehen muss. Besonders mit solch machtgierigen Männern, wie Wissarew einer ist. Ein Mann? Eigentlich ist der nur ein Würstchen. Vor allem in der Hose …“

      Bcoto ließ sie weiterplappern. Sie wusste, irgendwann würde Ala Skaunia ihre und il caskars Pläne vollständig ausplaudern, um sich damit zu brüsten.

      Sie hatte Recht. Ala Skaunia plauderte alles aus.

      Nicht nur Bcoto hörte interessiert zu.

      Sondern auch Catarina Velare.

      2. Kapitel Von hinten erdolcht

      Wie Siegfried unter dem hinterlistigen Speerwurf des grimmigen Hagen, so stürzte unsere ermattete Front; vergebens hatte sie versucht, aus dem versiegenden Quell der heimatlichen Kraft neues Leben zu trinken.

      P. von Hindenburg (1847 – 1934)

      Ort: Psyche, Wedding

      Kowalski blieb ruhig. Obwohl Baltheisser ihm eine Pistole an die Schläfe hielt. Sicher eine geladene.

      „Ich weiß, du denkst, du könntest andere erschießen. Einfach so, weil du Lust dazu hast. So, wie den Minister Erzberger und den Kriminalrat Renatus. Trotzdem ist es Mord. Mich zu ermorden, bringt dir gar nichts.“

      Kowalski wusste, er war unverwundbar. Der Hauptmann würde das gleich herausfinden. Allerdings waren zu viele Leute anwesend. Bestimmte Geheimnisse bleiben besser geheim. Kowalski hätte das Geheimnis seiner Kugelfestigkeit gern für sich behalten.

      Baltheisser reagierte auf Kowalskis Vorwurf, indem er die Pistole entsicherte. Mit dem Daumen. Und ohne sie dabei abzusetzen. Kowalski konnte das nicht sehen. Aber er kannte das charakteristische Geräusch.

      Luitpold Ether kannte es auch. Er stand auf. „Wenn du ihn erschießt“, sagte er, während er seine Pistole zog und auf Baltheisser richtete, „stirbst du auch. Ich war ebenfalls im Krieg. Auch ich kann schießen. Glaube mir, manchmal treffe ich sogar. Bei dir treffe ich ganz bestimmt.“

      Luitpolds Zwillingsbruder Heinrich stand die ganze Zeit wie teilnahmslos am Fenster und sah nach draußen. Er sagte nichts, aber die Pistole, die er nun ebenfalls auf den Hauptmann Baltheisser richtete, sagte genug.

      Der zog seine zurück, sicherte sie und steckte sie ins Halfter. „Verräter gehören erschossen“, knurrte er dabei, um wenigsten verbal zu erreichen, was ihm mit Taten nicht gelungen war.

      „Er ist kein Verräter, nur weil er uns verlassen will. Auch ich werde bei eurem Scheiß nicht mehr mitmachen. Ich verlasse eure Organisation des Fememordes noch heute“, erklärte Luitpold Ether.

      Nicht nur sein Bruder sah ihn erstaunt an, auch die anderen. Nur Kowalski schien nicht überrascht zu sein. War klar, dass beide gemeinsame Sache machten, dachte Baltheisser. „Gehst du auch nach Russland?“, fragte er.

      Luitpold Ether schüttelte den Kopf. „Ich gehe nach Berlin und werde Schauspieler.“

      „Schauspieler? Du bist ein hervorragender Soldat. Wie kann man da Schauspieler werden wollen?“

      „Ich muss. Es ist tief in mir drin. Ich spüre das. Schon seit langem. Warum sollte ich die Freiheiten nicht nutzen, die wir jetzt haben? Du nutzt sie doch auch.“

      Den letzten Satz sagte er mit einer Betonung, die den Hauptmann Baltheisser rot werden ließ. Die anderen sahen das mit Erstaunen. Nur Kowalski nicht. Der schien zu wissen, warum Baltheisser errötete. Er schwieg aber.

      Heinrich Ether stand immer noch am Fenster. Er war ein großer Fan davon, alles unter Kontrolle zu haben.


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