Totes Zen. Jasper Nicolaisen

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Totes Zen - Jasper Nicolaisen


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Sie jetzt sagen: Das hat er sich doch nur ausgedacht und außerdem ist es gar nicht so lustig, dann haben Sie natürlich recht. Also, zumindest das mit den Touristen. Zu meiner Verteidigung kann ich anführen, dass ich nicht nur die Akademie von Ha´wat besucht habe, sondern dort von den Preisrichtern des Epigrammwettbewerbs auch so heftig zur Gratulation umarmt wurde, dass mein Gehirn einige Minuten ohne Sauerstoff auskommen musste. So ein Epigrammwettbewerb an der Akademie von Ha´wat ist kein Scherz, das kann ich Ihnen flüstern. Als ich von den Grußgnollen fast um mein letztes Bisschen Verstand gedrückt wurde, konnte ich allerdings nicht einmal mehr das flüstern. Mir fehlte der Atem. Noch schlechter war es allerdings um meine Mitstreiter bestellt. Man hatte aufgrund der Einsendungen im Vorfeld drei Finalisten ausgewählt. Neben mir hatten sich der Vampir Lysbos und der Matrose Annabellus Schwingungsebene IV den strengen Ohren der Grußgnolle gestellt. Die Ohren waren klein, rund und rosa-plüschig. Ich sollte allerdings vielleicht erklären, was ein Matrose ist, da es heute nicht mehr allzu viele von ihnen gibt.

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      Während ich mich ein weiteres Mal an Brudi festklammerte, das den Eulenbärleichnahm mit dem Dämonen darin ein weiteres Mal fachmännisch (oder fachschwertisch) zerlegte, drehte sich der Teppich Staubvogt mit dem großen Manzani an Bord schweigend um uns herum. „Wie heißen Sie eigentlich?“, schrie ich durch das Heulen der Wirbelsturmtreppe. „Staubvogt“, sagte Staubvogt. „Ein ungewöhnlicher …“ Ich warf Brudi in die andere Hand, damit er dem Eulenbärzombie einen Arm abhacken konnte, „…Name.“ „Nicht so ungewöhnlich, wie Sie vielleicht glauben.“ Hätte Staubvogt Hände mit Fingernägeln gehabt, die er sich hätte feilen können, seine Stimme hätte nicht gelangweilter klingen können. „Meine Mutter war eine geborene Sandrock. Väterlicherseits bin ich mit den Milbsteins und der jüngeren Linie der Fadenscheiners verwandt. Staubvogts gibt es bei uns so viele, dass wir sie schon nummerieren mussten. Ich bin der V. meines Namens. Fünf ist nun wirklich nicht viel. Ich bin damit nicht annähernd so einzigartig und unverwechselbar, wie der Matrose, der sich uns gerade vom unteren Ende der Wirbelsturmtreppe nähert.“

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      Matrosen sind Kopffüßler, die ursprünglich aus der Leere zwischen den Sternen stammen. Durch irgendeine kosmische Katastrophe, über die mit Außenseitern zu sprechen ihnen eins ihrer vielen religiösen Tabus verbietet, wurden sie allesamt auf unsere Welt verbannt. „Allesamt“ ist dabei ein großes Wort, gibt es doch glaubwürdigen Schätzungen zufolge nur noch einige hundert von ihnen. Sie sehen ein bisschen aus wie Tintenfische und können ebenso wie diese die Farbe wechseln und Dinge aus ihrem Körper spritzen lassen. Sie haben an den Körperseiten Lamellen, die ständig geheimnisvoll flattern und wuseln. Wegen ihres mysteriösen Äußeren ergreifen sie oft den Beruf des Zauberers, des Jahrmarkthypnotiseurs, des Künstlers oder des Abenteurers. Sie fliegen mithilfe eines unsichtbaren Kraftfeldes, was ihrem wallenden Chamäleonkörper ein noch mysteriöseres Auftreten erlaubt. Sie haben immer dreiteilige Namen, bestehend aus einem albernen und irgendwie fettigen Menschenvornamen, einem esoterischen Konzept und einer Nummer. Warum, weiß keiner. Wenn Sie jetzt vermuten, dass eins ihrer vielen religiösen Tabus es den Matrosen verbietet, über die Hintergründe ihrer Namensgebung zu sprechen, dann haben Sie natürlich recht.

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      Ein solcher Matrose näherte sich uns vom unteren Ende der Wirbelsturmtreppe. Er strudelte fluoreszierend durch die Schwärze und ließ sich vom Tosen der Treppe offenbar kein bisschen beeindrucken.

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      Ein solcher Matrose war mein schärfster Konkurrent beim Epigrammwettbewerb auf der Akademie gewesen. Der Vampir hatte keine Rolle gespielt und war bereits nach der ersten Runde Wettreimen Blut weinend und glitzernd ausgeschieden.

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      Vampire glitzern, wenn sie sich aufregen. Das macht sie als Sexualpartner bei manchen Leuten sehr beliebt, besonders in Papashinko, dem zwielichtigen Vergnügungsviertel von Pipapoto, der Hauptstadt von Shibuto. Sie gelten als fast so krawall wie Grußgnolle.

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      Grußgnolle lieben Vampire fast noch mehr als die Umarmung gestresster Geschäftsleute nach einem 22-stündigen-Arbeitstag. Der Vampir Lysbos, der neben dem Matrosen mein dritter Konkurrent im Epigrammwettbewerb gewesen war, wurde denn auch prompt von allen pinkplüschigen Jurymitgliedern in den zärtlichsten Würgegriff genommen. Zwar brauchte er als Vampir keinen Sauerstoff zum Überleben, geriet aber, da er sich, wie alle Schüler der Akademie, noch in der Adoleszenz befand, durch die große körperliche Nähe in solche Erregung, dass er einen schweren Anfall von SEDUGLI erlitt und, wie oben schon erwähnt, Blut weinend ausscheiden musste.

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      SEDUGLI ist eine Autoimmunkrankheit, die nur Vampire befällt. Die Abkürzung steht für „Selbstverbrennung durch Glitzern“. Regt sich ein Vampir zu sehr auf, läuft er Gefahr, so stark ins Glitzern zu geraten, dass er sich durch taghelles Licht selbst verbrennt.

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      Es ist eine tragische, unerwiderte Liebe zwischen Grußgnollen und Vampiren.

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      Die Weltliteratur ist voll von Liebesdichtung über sterngekreuzigte Grußgnoll-Vampir-Paare, bei denen die Anziehung ein einziges Mal auf Gegenseitigkeit beruhte. „Ein einziges Mal“ ist ein großes Wort; tatsächlich gibt es über eine Million solcher Paare in der Weltliteratur. Am berühmtesten ist wohl das Versepos „Emanuellus und Freundschaftsgnöllchen“ des Matrosenlyrikers Roxannne Selbstwirksamkeitserwartung II.

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      „Entschuldigung“, brüllte ich dem heranstrudelnden Matrosen entgegen. „Sind Sie zufällig Zauberer? Oder Abenteurer? Ich könnte Hilfe im Kampf gegen diesen Zombieeulenbär gebrauchen, in dem ein Dämon haust.“ „Guten Tag, werter Barbar. Mein Name ist Giovanni Buddahnatur IX.“ Matrosen waren immer sehr höflich. „Darf ich mir die Frage erlauben, warum sie nicht jenen schlafenden Zauberer um Hilfe bitten, der sie dort auf einem alten Lappen umkreist?“ „Der alte Lappen“, versetzte ich, mich am wirbelnden Brudi festklammernd, ist ein Schlaubergerteppich names Staubvogt. Und er weigert sich, seinen Herren zu wecken.“ „Das tut mir sehr leid für sie.“ Giovanni Buddahnatur IX. ließ die Hautlappen erzittern, um sein Bedauern auszudrücken. „Leider bin ich aber weder Zauberer noch Abenteurer, noch Künstler, wie so viele meiner Spezies. Ich bin Jahrmarktshypnotiseur.“ „Was“, erkundigte sich Staubvogt, immer noch mit der Stimme einer alternden Gräfin, die beim Gabelfrühstück im Morgenmantel gerade beim Lackieren der Zehennägel angelangt ist. „was verschlägt einen Jahrmarktshypnotiseur wie sie auf die Wirbelsturmtreppe des Berges der Zwerge?“ „Ich freue mich außerordentlich, dass Sie mir so eben bestätigen konnten, dass ich mich auf dem richtigen Weg befinde.“ Der Matrose entschwand schon Richtung Zwergenheimstatt. „Ich habe mich nämlich gerade von dem Jahrmarkt verabschiedet, der am Ende der Treppe in der Kaverne der Pilzmenschen gastiert. Gehabt euch wohl!“

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      Ohne dass wir es wussten, taten Kräcki, Staubvogt und ich in diesem Augenblick den ersten Schritt in unsere Zeit als Jahrmarktshilfskräfte. Als Schießbudenfiguren, Karussellaufbauer und Zuckerwatteverkäufer sollten wir den halben Berg durchqueren.

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      Al Höhepunkt des Versepos „Emanuellus und Freundschaftsgnöllchen“ des Matrosenlyrikers Roxannne Selbstwirksamkeitserwartung II. gilt gemeinhin der XxiX. Gesang, dessen Beginn jedes mal aufs Neue verfehlte, mich zu Tränen zu rühren, wenn einer der Brillis aus der Zaubererklasse ihn mir vortrug:

      Emanuelle nahm das Zauberschwert und stieß es Freundschaftsgnöllchen verkehrt in den Bauch, weil sie also tot sein sollte wenn er nicht rot wie der Morgen in sie verliebt sein konnte sondern nur piept wie eine Maus oder ein Zauberschwert wie sie es Freundschaftsgnöllchen verkehrt in den Bauch und den Hals und den Arm rammt. Bis er tot ist.


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