„… dass die Welt zwischen den Liebenden verbrannt ist“. Richard A. Huthmacher
Читать онлайн книгу.gemacht.
Seine Erfolge bei der Behandlung Krebskranker, namentlich solcher, welche die Schulmedizin zuvor als unheilbar aufgegeben und ihrem Schicksal überlassen hatte, waren bald so überwältigend, dass die Fachwelt aufhorchte, indes das, was ihr zu Ohren kam, entweder mit Gleichgültigkeit oder, schlimmer, mit Feindseligkeit zur Kenntnis nahm. Denn Reinhards Heilmethoden kosteten nur einen Bruchteil der herkömmlichen Behandlung. So dass allzu viele im Medizingeschäft um ihre Pfründe fürchteten.
Dass man durch entsprechende Einflussnahme die Erteilung der von Reinhard angemeldeten einschlägigen Patente zu verhindern wusste war noch eine der „harmlosen“ Maßnahmen.
Vielmehr glaubte man, der Forschungsergebnisse von Reinhard ließe sich billiger habhaft werden. Durch Hausdurchsuchungen beispielsweise. Für die man irgendeinen Vorwand erfand.
Der groteskeste von allen war der, Hinweise erhalten zu haben, er, Reinhard, habe seine Frau ermordet, und ihre Leiche in seinem alten Auto abtransportiert. Mit gespieltem Erstaunen nahmen die Hüter von Ordnung, Herrschaft und Kapital bei der Hausdurchsuchung dann zur Kenntnis, dass Maria wohlauf und ob Dreistigkeit und Ungeheuerlichkeit solcher Vorwürfe und dergleichen Vorgehens völlig entsetzt, in ihrem Glauben an alles, was ihr zuvor selbstverständlich gewesen, zutiefst erschüttert war.
Reinhard versichert auf Ehre und Gewissen, dass sich dieser Vorfall tatsächlich so ereignet hat. So unglaublich dies auch klingen mag.
Derart jedenfalls wurde Reinhard – nach und nach, Willkürakt für Willkürakt, Rechtsverletzung nach Rechtsverletzung – klar, dass sogenannte rechtsstaatliche Systeme zwar ein kodifiziertes Recht garantieren, dass dessen beliebige Auslegung und ggf. auch Beugung und Brechung sich im Zweifelsfall jedoch nicht von der in Willkürherrschafts-Systemen unterscheiden.
Indes: Korruption, Vetternwirtschaft, organisierten Lug und Trug gibt es in Deutschland selbstverständlich nicht. Nur in Bananenrepubliken. Und die sind bekanntlich in Afrika, Südamerika, in Russlands „lupenreiner Demokratie“, jedenfalls anderswo zu finden.
„Lieber Gott, mach mich dumm, dass ich in den Himmel kumm“, fiel Reinhard ein. Oder auch ein anderer „Schüttelreim“: „Lieber Gott, mach mich fromm, dass ich nicht nach Dachau komm´.“
Dies alles schoss Reinhard, zeitrafferartig, durch den Kopf, als das bayerisch-grün uniformierte Rollkommando, Notarzt und Sanitäter im Tross, die Treppe hinauf stürmte. Im Wohnzimmer hatte sich Maria, starr vor Schreck, die Augen weit aufgerissenen, entsetzt ob der einfallenden Soldateska und aufgrund ihrer Erfahrungen Schlimmes ahnend, an ihre Mutter, eine winzige Person, gerade einmal ein Meter fünfzig groß und weit über achtzig Jahre alt, geklammert.
„Wir bringen Sie jetzt in die Klinik.“
„Wieso, weshalb? Wer gibt Ihnen dazu ein Recht? Zeigen Sie mir einen Beschluss, irgendein Papier.“
„Brauchen wir nicht. Gefahr im Verzug.“
„Was ist das? Wen gefährde ich? Wer oder was ist gefährdet?“
„Halten Sie den Mund. Sie kommen mit! Wenn nicht freiwillig, legen wir Ihnen Handschellen an. Solchen Neunmalklugen wie Ihnen werden wir schon zeigen, wo´s lang geht.“
Reinhard balgte sich mit den Polizisten, hatte gegen die Übermacht indes keine Chance; sie drängten ihn immer wieder ab, wenn er seiner Frau zur Hilfe eilen wollte. Diese hatten sie zwischenzeitlich ins Schlafzimmer geschleift und aufs Bett geworfen, wo sie mit Gewalt festgehalten wurde; ihre Mutter saß schreckensstarr in einer Ecke, stumm vor Angst, nachdem man sie mit roher Gewalt von ihrer Tochter losgerissen und ihr, die gerade einmal 35 kg wog, einen derart rüden Stoß versetzt hatte, dass sie, durchs Zimmer taumelnd, mit dem Rücken an der gegenüberliegenden Wand, in dessen Ecke sie nun saß, gelandet war.
Reinhard gelang es, ein Fenster aufzureißen und nach Leibeskräften um Hilfe zu rufen. Doch selbst wenn man ihn hörte, abgelegen, wie sie wohnten – wer hätte Hilfe gegen wen holen sollen. Die Polizei alarmieren, dass sie gegen die Polizei einschreitet?
Maria lag mittlerweile keuchend und strampelnd auf dem Bett, wehrte sich mit hochrotem Kopf und Tränen in den Augen gegen die rohe Gewalt, mit der man sie festhielt. „Gleich werden Sie schlafen, dann geht’s es Ihnen besser“, versuchte, dümmlich grinsend, der milchbärtige Notarzt mit dem Doppelnamen Verbrecher-Hasenfuß sie zu beruhigen. „Mein Gott, welche Waschlappen man aus Menschen machen kann“, schoss es Reinhard durch den Kopf. „Und welch Unheil diese Hasenfüße anrichten.“
„Hilfe, Hilfe, sie bringen mich um“, schrie Maria mit nach und nach erstickender Stimme; Verbrecher-Hasenfuß hatte ihr eine Spritze gesetzt, die sie zum Verstummen brachte.
Dann ging alles schnell. Man legte Maria auf eine Tragbahre, fixierte sie an Händen und Füßen – d.h., man fesselte sie wie eine Schwerkriminelle – und verfrachtete sie in den bereitstehenden Rettungswagen, der sich, eskortiert von Einsatzfahrzeugen der Polizei, alsdann mit Blaulicht und Martinshorn in Bewegung setzte.
Welch´ gelungene Inszenierung, was für ein Spektakulum für die Schaulustigen, die sich zwischenzeitlich, trotz der abseitigen Lage des Anwesens, eingefunden hatten. Reinhard erinnere sich an die Verhaftung eines Terroristen, die er in den Siebziger-Jahren während seiner Studienzeit in Berlin erlebt hatte; der Aufwand heute war dem von damals durchaus vergleichbar.
Noch hielt Reinhard die Ereignisse für eine weitere Nacht- und Nebelaktion der Polizei; dass Arzt-Kollegen – Prof. Neunmalklug, Frau Prof. Tausendschön und Dr. Großkotz – in das Geschehen verstrickt, mehr noch, dessen Initiatoren sowie Inszenierung und Ablauf des weiteren Vorgehens bereits minutiös geplant waren, ahnte er nicht.
Mithin glaubte er, mit Arztkollegen im Krankenhaus reden und sie vom Unrecht der Vorkommnisse überzeugen zu können, wenn er die Klinik nicht allzu lange nach dem gespenstischen Tross erreichen würde, der mittlerweile durch die Nacht preschte wie weiland der Reiter in Goethes Erlkönig. Schier wahnsinnig vor Angst um seine Frau jagte er deshalb hinter dem Konvoi her, überfuhr rote Ampeln, kümmerte sich nicht um Einbahnstraßen, übersah die Lichthupen der Autos, die ihm entgegenkamen, rumpelte über Bordsteinkanten, dass fast die Achsen brachen, schleudert auf dem nassen Asphalt und behielt nur mit Müh und Not die Kontrolle über seinen Wagen.
An der Klinik angekommen, hetzte er zur Notaufnahme. Schon von weitem hörte er die Hilferufe von Maria, die offensichtlich wieder aufgewacht war. „Hilfe. Hilfe, warum hilft mir denn keiner. Reinhard, bist Du da, wo bist Du. Hilf mir doch.“
Zwei Wachleute, die bereits auf Reinhard warteten, wollten ihm den Zugang zur Notaufnahme versperren; es misslang. „Ich komme, ich helfe Dir“ schrie Reinhard, und sah, wie Maria von Pflegern und Ärzten in wehenden weißen Kitteln in weiter hinten gelegene Räume verbracht wurde.
Arztkollegen, die er ansprach, zuckten zurück und stieben von dannen, als habe er Pest und Cholera gleichzeitig. Plötzlich begriff Reinhard, dass Marias Verschleppung generalstabsmäßig geplant worden war. Schon tauchten Grünuniformierte auf, welche die überrumpelten Wachleute zu Hilfe gerufen hatte; sie schleiften Reinhard, nicht gerade zimperlich, nach draußen.
VERSCHLEPPT – MITTEN IN DEUTSCHLAND
Als Maria ihre Briefe aus dem Psychiatrie-Knast, in den man sie verschleppt und eingesperrt hatte, schrieb, als sie diese Briefe in aller Eile kritzelte, weil sie unter ständiger Beobachtung stand und weil man schon wiederholt ihre Briefe konfisziert hatte, als Maria ihre Zeilen geradezu hinschmierte, weil ihre Mutter sich angemeldet hatte und den Brief für Reinhard, dem man nicht gestattete, sie zu besuchen, aus der geschlossenen Anstalt schmuggeln wollte, lag schon ein Martyrium hinter ihr. Und noch größere Pein vor ihr.
Nach ihrer gewaltsamen Klinikeinlieferung war sie sofort in den OP verbracht und dort gegen ihren Willen operiert worden. Weshalb war ihr unklar. Man hätte die Entzündung ihrer Beine, die mit ihrer – weitestgehend ausgeheilten – Krebserkrankung nichts, aber auch nicht das Geringste zu tun hatte, ohne weiteres konservativ, also nicht operativ behandeln können. Wie dies bei Kindern grundsätzlich