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Читать онлайн книгу.habe mich schon gewundert, dass du ihn zu der Feier überreden konntest. Hat er kalte Füße bekommen?“
„Nein. Auch wenn er nicht gerne im Mittelpunkt steht, ist er zu höflich, um eine ganze Geburtstagsgesellschaft sitzen zu lassen“, entgegnete Sayo kopfschüttelnd. „Außerdem haben wir eine kleine Überraschung für euch. Die will er sicher nicht versäumen.“
„Du machst es spannend. Um den Mittelpunkt muss er sich nicht sorgen. Wenn ein neun Monate altes Kind im Raum ist, stehen alle anderen im Schatten.“
Sayos kleiner Sohn Benjamin saß am Boden und lachte. Nyokos Mann Christian zauberte einen Plüschhasen aus einem Zylinder. Der Bub gab ihn zurück in den Hut und das Stofftier verschwand wieder. Der Wirt servierte Getränke. „Kannst du nicht meinen Sohn aus diesem Hut zaubern? Ich habe die Reservierung eines Ministers für diese Feier storniert und jetzt kommt Friedrich nicht“, donnerte der Mann mit dem Götterdämmerungsbass. Christian holte einen Hund aus der Kopfbedeckung. „Das ist er offensichtlich nicht. Es kann der Karriere des Ministers nicht schaden. Einem Regierungsmitglied kostete ein Geschäft in diesem Raum das Amt.“
Laurent brummte und ging zu Sayo. „Die Gäste schauen hungrig aus. Sollen wir nicht wenigstens mit der Suppe beginnen? Ich mag es nicht, wenn in meinem Gasthaus keiner etwas isst.“
„Ihr macht mich alle fertig! Ich kann nichts essen, wenn ich nicht weiß, wo Friedrich ist. Bitte verschont mich!“
Nyoko versuchte, abzulenken. „Ferdinand, ich sehe, du hast ein neues Bild gemalt.“ Die Aquarelle des Wirtes zierten die Wände der Hexenküche. Er malte im altmodischen Stil und hatte dabei eine Vorliebe für historische Wiener Gemeindebauten. Sein neuestes Werk zeigte den Karl-Marx-Hof in voller Länge. Das Panorama-Bild erstreckte sich beinahe über die ganze Wand.
Endlich kam Friedrich. Die Festgäste stimmten sofort „Happy Birthday“ an. Der Gefeierte freute sich nicht. Sein Gesicht war noch blasser als sonst. Sayo lief zu ihm, küsste ihn. „Was ist los mit dir?“
Friedrich löste sich aus ihrer Umarmung und ging zu seinem Vater. „Warum hast du mir nichts gesagt?“
Der Wirt erriet sofort, was sein Sohn herausgefunden hatte, und setzte sich. „Das ist schwer zu erklären.“
„Warum hast du mir nie etwas gesagt?“
„Ich und deine Mutter … wir wollten es dir natürlich mitteilen. Dann ist sie gestorben und es hat sich nie wieder ein geeigneter Zeitpunkt ergeben.“
Sayo ahnte, worauf das hinauslief, denn sie wusste, welchen Amtsweg Friedrich an diesem Tag geplant hatte. Erfahrungsgemäß waren Familiengespräche zwischen dem stillen Grübler und dem Brummbären ohne weibliche Hilfe nicht zielführend. Die beiden waren zu verschieden. Sie ging dazwischen. „Schatz, sag mir bitte, was dich bedrückt. Was hätte dir dein Vater sagen sollen?“
„Mein Vater … du weißt doch, dass ich heute wegen des Geburts-Registerauszugs beim Magistrat war …“
Dieses Dokument brauchte man nur bei einer Gelegenheit. Nyoko kapierte es sofort und sprang auf: „Ihr wollt heiraten! Das ist doch schön! Lass dich umarmen, Schwiegersohn. Warum machst du jetzt so ein Gesicht? Man könnte als Mutter der Braut beinahe beleidigt sein.“
„Ich weiß nicht, wer ich bin. Ich habe erfahren, dass ich bei meiner Geburt Friedrich Michael Einheit hieß und meine Eltern unbekannt sind. Ich bin ein Findelkind.“
Christian horchte auf. „Du bist das Einheitsfindelkind? Ich kann mich noch erinnern, sogar in der Schweiz brachten sie die Geschichte in den Nachrichten. Ich gratuliere zur Verlobung!“
Friedrich schien den Glückwunsch gar nicht zu bemerken. Sayo drehte sich zur Seite und schnäuzte sich. Nyoko nahm Friedrichs Hand. „Ich weiß, wer du bist, nämlich der Mann, der meine Tochter glücklich macht. Wir sind froh und stolz, dass du nun endgültig Teil unserer Familie wirst. Und wir verdanken dir unseren kleinen Sonnenschein.“ Sie nahm Benjamin aus Christians Armen und gab ihn seinem Vater. „Dieses Lachen ist die Zukunft. Lass dich nicht von der Vergangenheit runterziehen.“ Der Bub klammerte sich an seinen Vater. „Papa!“
Friedrich hatte Tränen in den Augen. „Ohne Vergangenheit hängt die Zukunft irgendwie in der Luft. Ihr seid doch im Bundeskriminalamt für ungewöhnliche Fälle zuständig. Dürft ihr auch alte Kindesweglegungen untersuchen?“
Nyoko atmete tief durch. „Nach 28 Jahren wird es schwierig sein, noch irgendetwas zu finden.“
Christians Vorliebe für Außergewöhnliches war geweckt. „Nichts ist unmöglich. Ich hätte eine Idee. Wir nehmen eine DNA-Probe von Friedrich und machen einen Verwandtschaftsabgleich mit der Datenbank. Eltern, die ihre Kinder weglegen, kommen meistens nicht aus den stabilsten Verhältnissen. Es gibt eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass wir etwas finden.“
„Christian, das sind sensible Daten! Die können wir nicht für unsere privaten Zwecke missbrauchen.“
„Du wirst immer unflexibler, seit du unsere Chefin bist. Wir werden eine Begründung finden. Die Kindesweglegung ist ein ungeklärter Fall. Bitte, bitte, bitte, liebe Chefin! Eine Geburt zu ermitteln wäre einmal etwas anderes als die ewigen Morde.“
„Christian, wie soll ich das Ernst erklären?“
„Den Herrn Oberst hast du noch immer um den Finger gewickelt. Morgen hast du deinen wöchentlichen Karate-Kampf mit ihm. Du könntest mit einer kleinen Schwächeperiode seine Stimmung heben.“
Der ansonsten sehr redselige Wirt Ferdinand Laurent war lange still gesessen. Nun horchte er auf. „Du kämpfst mit deinem Chef?“
Christian übernahm die Antwort. „Ernst ist ein leidenschaftlicher Wetter und sorgt sich immer um die Fitness seiner Abteilungsleiter. Er kämpft jeden Freitagmorgen gegen Nyoko. Wenn er länger als zehn Sekunden steht, muss Nyoko das Mittagessen bezahlen, ansonsten er. Meine geliebte Frau hat noch nie gezahlt. Ich könnte mir vorstellen, dass sich das morgen ändert.“
Nyoko wusste nur zu gut, dass Christian, wenn er einmal Feuer und Flamme für etwas war, so lange nervte, bis er das Gewünschte bekam. So hatte der Charlie Chaplin-Fan auch „Keystone Cops“ als Abteilungsnamen durchgesetzt. Die Verantwortlichen hatten gedacht, dass es Internationalität signalisierte und zu spät die wahre Bedeutung erkannt. Seither hieß die Elite-Abteilung des österreichischen Bundeskriminalamts wie eine turbulente Komikertruppe aus der goldenen Stummfilmzeit.
Christian hakte nach. „Wir haben noch bei jeder Vorschrift eine Hintertür gefunden, durch die man bequem schreiten kann.“
„Na gut, probieren wir es. Nach dem Kampf habe ich mit ihm eine Besprechung. Du wirst mich begleiten und die Hintertür öffnen. Jetzt wollen wir endlich auf den Geburtstag und die Verlobung anstoßen.“
Freitag, 10. November 2017
Christian wartete vor dem Büro von Oberst Ernst Stockhammer auf die beiden Karate-Kämpfer und feilte an seiner Argumentation. Als er Nyoko und Ernst kommen sah, bezweifelte Christian, dass seine Frau die besprochene Strategie umgesetzt hatte. „Ernst, was hat Nyoko mit dir angestellt? Ich bin jetzt über ein Jahr mit ihr verheiratet, aber ein blaues Auge hatte ich noch nie.“
„Das war es wert!“, rief der Polizeioffizier stolz. „Ich habe es geschafft! 14 Sekunden! Nur bin ich dann etwas unaufmerksam geworden und genau in den Gegenangriff gelaufen. Das wird das beste Mittagessen meiner Berufslaufbahn. Was habt ihr auf dem Herzen, dass ihr mich zu zweit bearbeiten wollt?“
Sie gingen ins Büro und setzten sich. Nyoko richtete sich einen abgerutschten Träger ihres ärmellosen Shirts, setzte eine professionelle Mine auf und öffnete ihren Laptop. „Wir haben eine interessante Anfrage bekommen. Kannst du dich noch an die Geschichte des Einheitsfindelkindes erinnern? Der junge Mann hat erst jetzt erfahren, dass er ein adoptiertes Findelkind ist und uns gebeten, ihm bei der Suche nach seinen leiblichen Eltern zu helfen. Wir möchten den Fall übernehmen.“
Der Oberst hielt sich eine kalte Kompresse auf das Auge. „Einheitsfindelkind? Das war vor 28 Jahren. Habt ihr nichts Wichtigeres