Fotografie als Methode. Maja Jerrentrup

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Fotografie als Methode - Maja Jerrentrup


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Fotografie: In der Forschung, in der Organisation von Gruppen, in der Therapie u.a. findet dieses Vorgehen statt, wenn die Teilnehmer dazu aufgefordert werden, selber Fotos zu erstellen. Die Vorgaben zum Fotografieren können mehr oder weniger eng sein, aber auch die Vertrautheit mit dem Medium beziehungsweise das fotografische Vorwissen der Teilnehmer kann recht unterschiedlich sein. Soziale Erwünschtheit spielt hier häufig bewusst oder unbewusst eine größere Rolle.

       Selbst aufgenommene Fotografien: Natürlich kann auch ein Forscher, Lehrender, Therapeut, Werbetreibender etc. auch selber, ggf. unterstützt durch einen Profi, Fotografien aufnehmen, um mit ihnen neue Situationen herbeizuführen. Dabei kann die genaue Zielsetzung vor, während oder nach der Aufnahme definiert werden.

      In jedem Fall gilt, dass visuelle Medien keinen objektiven Prozessen folgen, sondern i.d.R. an Personen, wie auch an kulturelle Kontexte gebunden sind (vgl. Parvez 2011: 687): Folgt man diesem Gedankengang und berücksichtigt die sich damit ergebende Prägung des entstehenden Bildmaterials, bedeutet dies, dass streng genommen keine Art fotografischen Materials mehr oder weniger angemessen ist in der Weise, wie sie Aussagen über die Realität trifft. Ferner impliziert diese Überlegung, dass es kaum möglich sein dürfte, ein Foto angemessen zu interpretieren, solange man diese Aspekte – persönliche und situative, wie auch den kulturellen Rahmen – nicht einschätzen kann, selbst wenn das Foto etwas augenscheinlich Bekanntes zeigt. Allerdings ist es möglich, persönliche und situative Aspekte in den Hintergrund treten zu lassen, wenn man gewisse Muster ausmachen kann, Bilder also als typisch definieren kann, da sie für eine größere Menge nach bestimmten Kriterien ähnlicher Fotografien stehen.

      Nicht immer steht aber das Bildmaterial – die Fotografien – im Vordergrund, es kann auch der Prozess des Bilderstellens sein – was eine Systematisierung, die vom Material ausgeht, verkennt. Folgende Momente im fotografischen Prozess lassen sich unterscheiden:

       Planung: Geht es um Inszenierungen, die zum Beispiel im Kontext mit Identität stehen oder die eine bestimmte Aussage transportieren sollen, ist die Planung von besonderer Bedeutung – das Bild entsteht oft schon vor dem eigentlichen Fotografieren im Kopf. So unterschiedliche Aspekte wie das Erlangen von Zugang zu Situationen, was durch die Kamera erleichtert werden kann, da sie dem Betreffenden eine bestimmte Rolle zuschreibt, bis zum Trainieren und Ausleben von Kreativität spielen in der „vorfotografischen“ Phase eine wichtige Rolle.

       Fotografieren: Planen und Fotografieren gehen bisweilen nahtlos ineinander über oder vermischen sich. Beim eigentlichen Fotografieren liegt der Fokus zum Beispiel auf dem Erleben von Flow, Achtsamkeit, Konzentration, aber auch das gemeinsame Erschaffen kann bei Team-Shootings eine Rolle spielen. Dem Fotografieren schließt sich oft noch das Bearbeiten an, das zu jedem späteren Zeitpunkt stattfinden oder wiederaufgegriffen werden kann.

       Bearbeiten: Die Bildbearbeitung ist zwar kein zwingender Schritt, findet aber im digitalen Zeitalter, welches entsprechende Prozesse deutlich erleichtert hat, häufig statt – sei es während der Fotografie, wie es Apps wie „BeautyPlus“ ermöglichen, oder beliebig lange nach dem Fotografieren.

       Sammeln, Kategorisieren, Interpretieren: Hier befinden wir uns zeitlich nach dem Fotografieren und betrachten Bilder, die mehr oder minder öffentlich bestimmt sind und sich räumlich und zeitlich mehr oder weniger von ihrer Quelle entfernt haben. Es kann sich um Einzelfotografien oder ganze Foto-Archive handeln.

       Rekontextualisieren: Eine gewisse Rekontextualisierung findet fast immer bei der Rezeption von Fotografien, beim Betrachten, Sortieren und Interpretieren statt. Im engeren Sinne meint dieser Aspekt die Einbindung des Fotos in neue (Präsentations-/Rezeptions-)Kontexte und damit auch neue Aufgaben, die die Bilder übernehmen. Die Fotografie des sterbenden Aids-Aktivisten David Kirby wird zur Benetton-Werbung, ein Bild aus einem alten Familienfotoalbum erscheint in einem Buch über die Geschichte der Mode, eine Bild, das im Rahmen einer Feldforschung entstanden ist, wird zum Lehrmittel in einem Buch über Partizipation.

      Nicht immer geht es bei der Fotografie als Methode um Menschenfotografie, aber in diesem Buch wird der Fokus so gesetzt, dass häufig zumindest Bezug zum Menschen besteht. André Rouillé und Bernard Marbot (1986) folgend kann man Fotografien nach der Rolle des Fotografierten beziehungsweise der Beziehung zwischen Fotograf und Fotografiertem unterteilen:

       Subjekt: Als Subjekt wird dem Fotografierten Individualität zugestanden und Respekt gezollt (vgl. Jäger 1995: 148); und der Fotografierte hat selbst Mitspracherecht bei der Aufnahme und beim Gebrauch selbiger, so zum Beispiel typisch für die private Fotografie, aber auch für die charakteristisch für partizipative Methoden.

       Objekt: Werden Menschen als Objekte fotografiert, geht es meist nicht (in erster Linie) um deren Interesse, sondern die Fotografien können beispielsweise als Beweismitteln in der Medizin, Forensigraphie, Anthropometrie, Ethnographie etc. dienen, oder als Werbematerial zum Einsatz kommen – die äußere Erscheinung der Betreffenden steht also im Vordergrund.

       Element: Hierunter fallen den Autoren zufolge Fotografien, auf denen die Fotografierten als Beiwerk dienen und letztlich austauschbar sind, wie etwa, wenn sie als Maßstab gedacht sind, beispielsweise neben einem Gebäude.

      Andererseits kann man die Unterteilung in „Subjekt“ und „Objekt“ auch eher nach dem Miteinander im Fotoprozess oder dem Zweck der entstehenden Bilder gliedern: So spricht man landläufig auch dann von „Objektifizierung“ wenn eine Person sich selbst so inszeniert, dass sie als Objekt wahrgenommen wird, beispielsweise im pornographischen Bereich – und das sogar, wenn die Fotos als Selbstportraits, also unter voller Kontrolle des gezeigten Individuums entstanden sind. Natürlich kann sich die Verwendung von Fotografien im Laufe der Zeit auch ändern, ein Bild, das als private Fotografie aufgenommen wurde – der Fotografierte als Subjekt – später unter einem ganz anderen Gesichtspunkt betrachtet werden.

      Ferner kann man natürlich auch eine Unterscheidung entsprechend des genutzten Mediums vornehmen, das – durchaus methodisch relevant – unterschiedliche Situationen, Ästhetiken, Emotionen etc. hervorbringen kann. Daraus folgt, dass es sich also je nach Ziel mal mehr, mal weniger anbietet. Kameras gibt es in ganz unterschiedlichen Variationen beziehungsweise basierend auf verschiedenen Funktionsweisen. Diese Funktionsweisen eignen sich Menschen unterschiedlich und kreativ an, jedoch zeigen sich bestimmte Tendenzen in der Nutzung, welche auch einem Wandel unterliegen können. Die folgenden Begriffe beziehen sich auf unterschiedliche Ebenen und betonen verschiedene Aspekte der jeweiligen Kameraart:

       Analoge Fotografie: Bei diesem Begriff handelt es sich um ein Retronym, eine nachträgliche Bezeichnung zur Abgrenzung. Was aufgenommen wird, spielt also zunächst keine Rolle – was grundsätzlich fotografierbar ist, lässt sich sowohl analog wie auch digital festhalten. Natürlich stellt sich hier die Frage, ob beziehungsweise inwiefern es sich beim dem Begriffspaar „analog“ und „digital“ um einen graduellen oder einen fundamentalen Unterschied handelt.

      Betrachten wir die Seite des Fotografierenden: Der Prozess hat sich in mancher Weise gewandelt, allein durch die simultane oder nur sehr knapp zeitversetzte Kontrollierbarkeit des Ergebnisses, die der Monitor der Digitalkamera erlaubt. Andererseits sind aber auch viele Aspekte ähnlich geblieben, so etwa die Suche nach dem Motiv und dem passenden Moment, die Entscheidung über gestalterische Mittel etc. Der graduelle Unterschied, dass digital einfach häufiger abgedrückt werden kann, mag aber auch zu einem für den Fotografen fundamentalen Unterschied führen: Er könnte sich angesichts größerer Chancen eines guten Fotos befreit sehen oder aber völlig „verzetteln“.

      Heftiger wird meist der Bezug der Fotografien zur Wirklichkeit diskutiert und damit rückt der Rezipient in den Fokus: Für ihn ist ohne zusätzliche Erklärung meist nicht oder kaum erkenntlich, ob es sich um ein digital oder analog entstandenes Foto handelt, phänomenologisch kann er es nicht unterscheiden – selbst ein ausschließlich am PC entstandenes Bild, also gar keine Fotografie, kann er unter Umständen nicht als solches einordnen. „Die Konsequenzen daraus muten verheerend an: Sind nun alle Bilder, denen wir bis jetzt die Fähigkeit zusprachen, uns Informationen über das Reale oder die Welt zu liefern, leer geworden?“


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