Wertschätzende Organisationsentwicklung. David Schneider
Читать онлайн книгу.Teamarbeit erfolgen können. Einzige Bedingungen sind die gemeinsame Zielerreichung und das gegenseitige Unterstützen der Teilnehmer (Hüther, 2018). Ein moderierender Begleiter kann helfen, dieses Gleichgewicht zu wahren und nötige Unterstützungsleistungen anzuregen.
Interdisziplinarität fördern. Komplexität in der Aufgabe und Diversität in der Teamgestaltung (d.h. unterschiedliche Disziplinen und Persönlichkeiten) lassen sich als Chance für Innovationskraft nutzen. Statt alte Vorstellungen noch konsequenter und noch effektiver umzusetzen, sollten wir Begegnungen mit Menschen bevorzugen, die von uns abweichende Vorstellungen haben, um das eigene Selbst- und Weltbild zu relativieren. Geben Sie den Mitarbeitenden die Möglichkeit, in den interdisziplinären Austausch zu gehen.
Talente-Kompass. Mit dem Talente-Kompass kann ein Bewusstsein für eigene Potenziale geschaffen werden. In biografischer Arbeit notieren wir zu Wissen, Eigenschaften, Fähigkeiten/Tun die persönlichen Kompetenzen als „Kraftfelder“ (Was kann ich?); dann analog die eigenen Interessen, Werte, das gewünschte berufliche Umfeld als „Magnetfelder“ (Was zieht mich an?). Alle Notizen zu Kraft- und Magnetfeldern hinterfragen wir intensiv und priorisieren diese je Einzelfeld. Zur Visualisierung hilft ein Kreis unterteilt in sechs Scheiben − links Wissen, Eigenschafen, Tun, rechts Interessen, Werte, berufliches Umfeld. Wir übertragen in jedes Feld die drei höchst priorisierten Notizen − fertig ist der Kompass. Für jede mögliche Kombination der Unterpunkte „Interessen“ vs. „Tun“ können wir Ideen für eine Handlung bzw. neue berufliche Ambition entwickeln, diese anschließend vs. der Wirklichkeit auf realistische Ansätze für die eigene Weiterentwicklung prüfen. Eine Idee daraus ist auszuwählen, für die wir das Zukunftsbild imaginieren, sowie Hürden und Bewältigungsstrategien in einen Plan mit den nächsten Schritten als unsere Agenda zusammenfassen. Wir wissen damit viel genauer, wer wir sind und wohin wir uns entwickeln können. Aufgrund der neuen Optionen gehen wir direkter auf Menschen zu und knüpfen neue Netzwerke.
Reflexion
Was bedeutet positive Kraft bezogen auf Potenzialentfaltung?
Menschen, die ihre Würde durch Wahrnehmung ihrer Selbstwirksamkeit als Subjekt wiedergefunden haben, wissen was sie wollen und können andere mit positiver Kraft „anstecken“. Durch offene Wissensweitergabe und -aufnahme, wechselseitiges Ermutigen und Inspirieren erwachsen unsere Potenziale in der Gruppe deutlich über die Kraft des Einzelnen hinaus.
Was bedeutet Komplexitätsbewusstsein bezogen auf Potenzialentfaltung?
Erst durch Akzeptanz und Neugier gegenüber der Komplexität der Erfahrungen, Werte und Perspektiven in der Gemeinschaft besteht die Chance, individuelle und kollektive Potenziale zu entwickeln und weiter zu beflügeln. Je bunter sich Teams zusammensetzen und je vielfältiger in Teams gedacht wird, desto resilienter werden Organisationen.
Was bedeutet experimentelle Erkundung bezogen auf Potenzialentfaltung?
Spielen, Ausprobieren und Handeln ermöglichen es uns, unsere Fähigkeiten zu entdecken und kennenzulernen. Dadurch stärken wir unser Selbstverständnis und Selbstwertgefühl. Das Konzept der Potenzialentfaltung hilft, die passende Kultur für solch ein experimentelles und bereicherndes Vorgehen zu gestalten.
Reflexionsfragen
Wie denke und handle ich? Ist eine Aktualisierung notwendig?
Wie kann ich ein tieferes Verständnis für das Verhalten von Mitmenschen erlangen?
Was sind meine Stärken und Fähigkeiten? Was sind die von anderen? Wie wirken sie sich auf die Gemeinschaft aus?
Wie können Stärken von Individuen und Teams offen kommuniziert werden?
Wie können wir für Vertrauen in die Kraft des Einzelnen sorgen?
Wie können wir Spannungen in Kooperationsgemeinschaften lösen?
Wie werde ich ein Anliegen formulieren, das Identität und Begeisterung erzeugt? Ist meine Organisation dafür bereit? Woran merke ich, dass sie bereit ist?
SVEN OLE MÜLLER
Multipreneur, Autor und Ultra-Radrennfahrer
Hallo Sven-Ole! Du bist ja ein Mensch, der immer in Bewegung ist. Was hat dich in Bewegung und zu dem Punkt gebracht, an dem du heute bist?
SOM: Der Drang nach Bewegung war schon immer da. Früher habe ich viel gearbeitet, da hatte ich einen starken Antrieb. Ich muss mich für etwas interessieren, es muss mir ans Herz gehen, dann setze ich mich in Bewegung. Alle Führung, mit der ich zu tun hatte, lief dagegen immer auf Bestrafung oder Belohnung hinaus. Es musste aber auch anders funktionieren, wenn genau diese Systeme bei mir nicht ziehen und ich trotzdem sehr viel mache. In der Selbstreflektion habe ich mir die Frage gestellt: Wie kann das sein? Wenn man sich wirklich für etwas interessiert, dann vergeht die Zeit wie im Flug − das kennt jeder mit seinen persönlichen
Leidenschaften. Das funktioniert auch in Teams. Wenn alle zusammen ein Anliegen verfolgen, für das sie wirklich brennen, dann brauchst du keine Vorgaben und keinen Vorgesetzten. Solche Teams organisieren sich selbst nach Fähigkeiten. Einer hat die Fähigkeit, die „Führung“ zu übernehmen und die anderen wollen auch, dass er oder sie das tut. Das ist der Beitrag dieser Person. Aber sie muss auch so weit sein, in anderen Kontexten einer anderen Person zu folgen, die es da besser kann. Ich nenne das rotierende Führung nach Kompetenzen.
Beim „Race across America“ (RAAM) ist bei euch ein unglaublich tolles Team entstanden. Was hilft, um in Fahrt zu kommen und dann die Dinge am Laufen zu halten?
SOM: Die Teambildungsphase war ein Experiment. Es gab bei dem Rennen nichts zu gewinnen, nur zwei Holzbretter. Es hat aber eine Menge Geld und Zeit gekostet. Sowas macht man nur, wenn es allen gleichermaßen ans Herz geht. Am Anfang waren wir zu zweit. Dann haben wir über unsere persönlichen Kontakte Leute angesprochen und die haben es weitererzählt. Gleiche Leute kennen gleiche Leute, denn solch ein Vorhaben geht nicht mit jedem. Nach einem 10- bis 20-minütigem Gespräch wussten beide Seiten, ob das was wird. Das hat sich schnell herauskristallisiert. Dazu bedarf es keiner Zertifikate, Urkunden oder Assessment Center.
Beim Fahren in der Gruppe passiert viel Zwischenmenschliches. Es gibt da z.B. einen Ziehharmonika-Effekt. Wenn vorne einer bremst, dann bremst der nächste, dann der nächste. Vögel müssen das auch können. Wenn eine Gans müde wird, wechselt sie ans Ende der Formation und eine andere nimmt ihren Platz ein. Auch beim Fahrradfahren bietet die Formation Hilfe, Schutz und Zusammenhalt. Wir haben vielfältig trainiert, uns gegenseitig wahrzunehmen, Rennfahrer und Crew, da ist man irgendwann ganz eng miteinander verbunden und kann sich mit allen Sinnen spüren. Das geht leider wieder weg, wenn man nicht weitermacht.
Woran hast du festgemacht, wer ins Team passt?
SOM: Wir haben intuitiv gewusst: „Das passt.“ Das ist etwas ganz Natürliches, was wir in uns tragen. Es sind alle freiwillig gekommen. Es galt: „Vertrauen statt Verträge.“ Wir hatten lediglich ein Credo, das alle unterschrieben haben − Grundwerte, an die wir uns halten wollten. Wenn du die Mutigen haben willst, musst du die Sache etwas gefährlicher darstellen. Uns war auch wichtig, dass die Freiheit da war, ohne Sanktionen aussteigen zu können. Souveränität des Einzelnen hat eine zentrale Rolle gespielt. Die existiert immer dann, wenn ich etwas tun kann, wovon ich überzeugt bin, dass ich richtig gut darin bin. Das braucht nicht immer eine offizielle Qualifikation, man muss es nur können. Souverän zu sein strahlt so weit aus, dass einem die anderen die Aufgabe auch zutrauen. Daraus resultiert gegenseitiges Vertrauen. Der dritte wichtige Aspekt war Potenzialentfaltung − u.a. in den vielen Situationen, wo wir schnelle Entscheidungen treffen mussten. Aus