Leopardenjagd. Edi Graf

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Leopardenjagd - Edi Graf


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aus ihrem Mund kam nur ein leises Wimmern. Er schlug zu, immer wieder, trat sie mit den Füßen wie im Rausch, schlug noch einmal zu, obwohl sich die Frau nicht mehr bewegte. Dann nahm er die Panga von der Wand und spaltete ihr den Schädel. Er hielt erst inne, als er das Geräusch an der Fensteröffnung vernahm.

      Der Junge stand wie erstarrt und vermochte nicht, sich zu rühren. Tränen traten aus seinen Augen, sein Magen verkrampfte sich, Übelkeit stieg in ihm auf. Hatte der Mann ihn gesehen? Der Junge duckte sich, rannte zur Hecke und übergab sich.

      Der Weiße trat vor die Hütte. Er hatte nicht die Augen, um Spuren zu finden. Der Junge lag, zitternd vor Angst, in seinem Erbrochenen und schloss die Augen. Er hörte, wie sich die Schritte des Weißen näherten. Er stapfte einmal um die Hütte und schien zu fluchen. Dann kam er auf sein Versteck zu. Zielstrebig. Er musste ihn entdecken!

      Der krächzende Schrei ließ den Jungen zusammenzucken. Er riss die Augen auf und sah aus seinem Versteck zur Hütte hinüber. Die Mantelaffen jagten mit weiten Sätzen über das riedgedeckte Dach und suchten Schutz im dichten Blätterwald der Akazie. Der Weiße schimpfte jetzt laut und schleuderte den Affen ein paar Schoten hinterher, die verstreut im Gras lagen. Dann kehrte er in die Hütte zurück. Er musste sich beeilen, die Dämmerung hatte eingesetzt.

      Als er Minuten später mit der Leiche der Frau, die er in ein Laken geschnürt hatte, aus der Hütte trat, folgte ihm Sam Mushowa.

      Hinunter zum Ozean, der das Grab seiner Mutter werden sollte.

TEIL I SEEUFER

      1

      Zwölf Jahre später, Tsavo-Ost, Kenya

      Hatte er einen Mörder beobachtet?

      Er sah dieses Bild vor sich, immer und immer wieder. Diesen Mann, der dabei war, einen leblosen Körper auf einen Baum zu hieven. Die schlaffe Hülle, die als Last über der Schulter des schwer Atmenden hing. Das entsetzte Gesicht, als ihn der Überraschte anstarrte. Nur mit Mühe konnte er sich auf die rotsandige Piste konzentrieren, die über das flache Buschland entlang des Athi-River nach Südosten führte. Hier begann früher die für Touristen unzugängliche Region, die fast zwei Drittel des gesamten Tsavo-East umfasste. Doch jetzt wurde auch das ausgedehnte Gebiet entlang des Tiva für den Tourismus erschlossen und die Zeiten, wo er sich hier oben im Norden einsam in die Wildnis zurückziehen und seinen Gedanken nachhängen konnte, waren ein für allemal vorbei.

      Die Sonne würde in einer Stunde hinter den Bergen des Yattaplateaus, die sich im Westen gegen den Horizont schoben, untergehen, dann würde die Nacht binnen weniger Minuten alles in Dunkelheit hüllen und den Jägern der Finsternis Tarnung bieten. Er musste versuchen, noch vorher den Parkausgang bei Maneaters Point und somit die Straße nach Voi und Mombasa zu erreichen.

      Er hasste den Uhuru-Highway, die lange, monotone A 109, die von Nairobi zur Küste führte, und hatte den Umweg über Kitui gewählt, war in Mutomo abgebogen, um wieder einmal durch den Tsavo zu fahren. Zu lange würde er in den nächsten Wochen darauf verzichten müssen, und er liebte diese rotbraune Erde, in der er schon als Kind seine Fußabdrücke hinterlassen hatte. Tsavo, das war sein Afrika, zumindest ein Teil davon. Das Land der roten Erde. Große Herden von Elefanten, rot gefärbt durch die Staubbäder im trockenen Sand, unermessliche Savannen, endlos bis zum Horizont, Heimat von Büffel, Zebra, Leopard. Unten am Galana der schmale Streifen eines alten Galeriewalds, in dessen Bäumen Gelbschnabeltokos ihre Bruthöhlen und Weißrückengeier ihre Nistplätze hatten. Von den tiefhängenden Ästen stürzten sich die Graufischer auf ihren Jagdzügen ins Wasser und hoch über ihnen hielt der Kampfadler nach Beute Ausschau. Auf den sandigen Uferbänken sonnten sich regungslos die gepanzerten Echsen in trauter Zweisamkeit mit den dickleibigen Flusspferden, die ihre tonnenschweren Leiber an Land gewälzt hatten.

      Er würde nach Deutschland fliegen, nachdem er in seiner kleinen Hütte am Diani-Beach noch das Notwendigste eingepackt hatte, und er wusste noch nicht, wie lange er blieb. Zum ersten Mal seit Jahren war er wieder verliebt. So verliebt, dass er sogar mit dem Gedanken spielte, Afrika für immer zu verlassen. Er hatte das Gefühl, dass seine Liebe zu Linda stark genug war, um diesen Verlust zu überwinden. Und vielleicht, so hoffte er im Stillen, wäre sie ja auch eines Tages bereit, ihm nach Afrika zu folgen.

      Er hatte die Fahrt noch einmal genossen, die Herden an sich vorüberziehen lassen, Grantgazellen, Wasserböcke, Giraffen, Warzenschweine. Und die roten Elefanten. Jetzt musste er kräftig aufs Gas drücken, der Weg zum Tsavo-Tor war noch weit. Dort würde er als Erstes die Polizei verständigen.

      Während der Landcruiser im schwächer werdenden Licht des scheidenden Tages über die Waschbrettpiste holperte, ging ihm diese seltsame Begegnung durch den Kopf. Zwei Männer, der eine tot, der andere, den Toten geschultert, unter den weit ausladenden Ästen der Schirmakazie verharrend, um deren Stamm sich die Wurzeln der Würgefeige wie eine hölzerne Todeskralle geschlungen hatten. Im Schatten der beiden ineinander verwachsenen Bäume hatte er den Mann erkannt. Der hatte gerade versucht, die Last von seiner Schulter auf den untersten, waagerecht verlaufenden Ast zu heben.

      Seine scharfen Augen, die es gewohnt waren, im Busch die kleinste Bewegung wahrzunehmen und sogar die Fährte des zierlichen Löffelhundes während der Fahrt neben der Piste zu entdecken, hatten die seltsame Gestalt schon Minuten vorher entdeckt und beobachtet, wie sie ein schweres Bündel aus einem Fahrzeug hievte, schulterte und in Richtung der Würgefeige schritt. Im Fernglas hatte er das Gesicht des Tragenden für Sekunden scharf gestellt. Auf Höhe der beiden Bäume hatte er den Landcruiser ausrollen lassen und sich noch einmal vergewissert, ob ihn der Blick durch das Rohr nicht getäuscht hatte. Nein, er war sich trotz der großen Entfernung sicher gewesen: Den Mann kannte er. Sie hatten sich zwar schon seit ewigen Zeiten nicht mehr gesehen, doch es gab keinen Zweifel. Und so hatte er aus dem stehenden Fahrzeug heraus den Namen des anderen gerufen. Der war erschrocken herumgefahren, hatte die Last abgeworfen, eine Waffe gezogen und ohne Warnung auf ihn geschossen.

      Er, der unbewaffnet war, hatte noch irgendetwas gerufen wie Hey, was soll das, begrüßt man so einen alten Freund, und seinen Namen hinübergebrüllt, doch der andere hatte zwei weitere Schüsse abgegeben, die ebenso wie die ersten fehlgegangen waren. Er hatte sich hinter die Beifahrertür gebückt, den Rover gestartet und versucht, so schnell es ging aus der Schusslinie zu kommen. Wirre Gedanken waren ihm durch den Kopf gegangen. Was hatte all das zu bedeuten? In jenem Moment, als das Bündel am Boden lag, hatte er darin den Körper eines Menschen erkannt und wußte, dass sein Bekannter hier im Tsavo versuchte, eine Leiche zu beseitigen.

      Und Alan Scott war sich sicher, in ihm Lucas Wayne erkannt zu haben.

      2

      Der Befehl war eindeutig: Der Mann, auf den Nickson Kitema neben der Piste wartete, durfte die Straße nach Mombasa nicht erreichen. Weshalb – danach hatte er nicht gefragt. Es ging ihn nichts an, und es interessierte ihn auch nicht. Das Honorar würde stimmen. Im Geist fühlte er schon das Bündel Geldscheine in seiner Brusttasche. Für diese Summe würde er ihn locker umlegen. Es würde ihm nichts ausmachen. Seit er damals, 1997, im Vorfeld der Parlamentswahlen in seinem Land, an den Anschlägen auf Hotels und den Überfällen auf Touristen beteiligt war, machte er diesen Job. Sein Auftrag lautete, ihn unbemerkt verschwinden zu lassen. Dazu würde er ihn zunächst lebendig an einen sicheren Ort an der Küste bringen, eine verlassene Fischerhütte, 30 Kilometer südlich von Mombasa, in der Nähe von Ukunda. Ein gutes Versteck. Und das Meer wartete geduldig auf eine mondlose Nacht.

      Er spähte durch das Glas. Sah den Landcruiser in der Ebene. Keine Täuschung. Er hielt den Atem an. Das musste sein Mann sein. Wer sonst sollte um diese Zeit noch durch den Tsavo fahren? Die Touristen hatten sich entweder in ihre Lodges verkrochen und fuhren erst am nächsten Morgen wieder hinaus, oder sie hatten, wie die meisten es taten, den Park noch vor Einbruch der Dunkelheit verlassen, um in ihre Hotels an der Küste zurückzukehren.

      Hier, wo Kitema zwischen den hohen Dornbüschen lauerte, musste das Fahrzeug, wenn es dem kürzesten Weg Richtung Voi folgte, ein ausgetrocknetes Bachbett durchqueren. Es war selbst für einen Fourwheeler die einzige Stelle weit und breit, an der die steilen Ufer passierbar waren. Der Landcruiser würde sich langsam schaukelnd den Weg zwischen den mächtigen Steinquadern und den


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