Der Strick um den Hals. Emile Gaboriau

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Der Strick um den Hals - Emile Gaboriau


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Mord wäre schon an jenem Tage begangen worden.«

      Eine schreckliche Gebärde verriet die Wut des Herrn von Boiscoran, aber er bemeisterte sich.

      »Meine Heftigkeit schien größer als sie war«, sagte er. »Ich hege für den Charakter des Herrn von Claudieuse die tiefste Hochachtung. Es würde meinen Schmerz unendlich vergrößern, wenn ich denken müßte, daß er mich könnte beschuldigt haben.«

      »Aber er hat Sie nicht beschuldigt«, fiel Daubigeon ein, »er war vielmehr der erste, der Sie hartnäckig verteidigte.«

      Und ungeachtet der Zeichen, die Galpin-Daveline ihm machte, fuhr der Staatsanwalt fort: »Unglücklicherweise werden dadurch die gegen Sie zeugenden Tatsachen nicht im mindestens entkräftet. Wenn Sie bei Ihrem Schweigen verharren, so überliefern Sie sich selbst dem Schwurgericht. Wenn Sie unschuldig sind, warum rechtfertigen Sie sich nicht? Was erwarten, was hoffen Sie?«

      »Nichts.«

      Méchinet hatte jetzt die Aufzeichnung des Protokolls beendet.

      »Es ist Zeit, aufzubrechen«, sagte Galpin-Daveline.

      »Ist es mir erlaubt«, fragte Herr von Boiscoran, »einige Zeilen an meinen Vater und an meine Mutter zu schreiben? Sie sind alt; ein solches Ereignis könnte sie töten.«

      »Unmöglich«, erklärte der Richter.

      Dann wendete er sich an Antoine. »Ich werde diesen Raum versiegeln, und Sie bleiben provisorisch als Wächter hier«, sagte er. »Sie wissen, zu welch einer Überwachung Sie dadurch verpflichtet werden und mit welcher Strenge Sie würden bestraft werden, wenn das Gericht nicht alle Gegenstände wiederfände, die im Protokoll als zum Beweise dienend aufgeführt sind ... Und nun, wie kommen wir nach Sauveterre zurück?«

      Nach reiflicher Überlegung wurde beschlossen, Herrn von Boiscoran unter Eskorte eines Gendarmen den Weg allein in einem Wagen zurücklegen zu lassen. Herr Daubigeon, der Richter und der Aktuar sollten das Gefährt des Bürgermeisters benützen, wiederum geführt von Ribot, der wütend darüber war, daß man ihn inzwischen unter Aufsicht gestellt hatte.

      »Gehen wir«, sprach der Richter, nachdem die letzten Formalitäten erledigt waren.

      Langsamen Schrittes stieg Jacques von Boiscoran hinab. Er wußte seinen Hof voll wütender Bauern und war gefaßt auf ihr Geschrei.

      Aber er irrte sich. Der von Herrn Daubigeon abgesandte Gendarm hatte seinen Auftrag so gut erfüllt, daß nicht ein Ruf vernommen wurde.

      Aber als er in seinem Wagen saß und das Pferd sich in Trab setzte, erhoben sich wilde Flüche, und eine Ladung von Steinen, deren einer die Stirn des Gendarmen traf, wurde ihm nachgeschleudert.

      »Jedenfalls bringen Sie Unglück mit sich, Freund Angeklagter«, sagte der Beamte, ein guter Bekannter des Mannes, der so grausam in Valpinson verletzt worden war.

      Herr von Boiscoran gab keine Antwort. Er warf sich in die Wagenecke und schien in eine Art Betäubung zu verfallen, aus der er erst in dem Augenblick erwachte, als der Wagen in dem Hof des Gefängnisses von Sauveterre hielt.

      Auf der Schwelle des Kerkers stand wartend der Wärter, Meister Blangin, und lächelte bei dem Gedanken, einen Gefangenen von solcher Bedeutung zu empfangen.

      »Ich werde Sie in mein schönstes Gemach führen, mein Herr«, sagte er zu dem Unglücklichen, »aber zuerst muß ich dem Gendarmen einen Empfangschein ausstellen und Sie einschreiben.«

      In der Tat holte er sein schmieriges Register hervor und schrieb den Namen Jacques von Boiscoran unter den eines gewissen Frumence Cheminot, eines Vagabunden, der tags zuvor in dem Moment festgenommen worden war, als er eine Mauer überstieg. Nachdem dies abgetan, war Jacques von Boiscoran Gefangener in Untersuchungshaft.

      10

      Das Palais Boiscoran, Rue de l'Université Nr. 216, hat ein bescheidenes Aussehen. Der Hof, der es umgibt, ist eng, und es wäre weit übertrieben, die wenigen Meter feuchter Erde, die sich dahinter ausdehnen, einen Garten zu nennen.

      Aber man darf nicht nach dem Äußeren urteilen.

      Die Wohnung selbst ist ein Meisterstück von Behaglichkeit, wo geduldige und sorgsame Hände alle Bequemlichkeiten des Lebens mit jenem soliden Luxus zu vereinigen gewußt haben, dessen Geschmack und Geheimnis immer mehr verlorengehen.

      Der Fußboden des Vorsaales, ein Mosaik von außerordentlicher Schönheit, kam im Jahre 1798 aus Venedig, und zwar durch einen Boiscoran, der im Schiffbruch des Lebens sich dem Geschick Bonapartes angeschlossen hatte. Das Treppengeländer ist ein Meisterwerk von Schmiedearbeit, und das Getäfel des Speisesaales findet seinesgleichen nicht in Paris, seit das berühmte Getäfel des Schlosses von Bercy bei einer Auktion zerstreut worden ist.

      Der Salon, in welchem die Marquise sich mit hervorragenden Politikern zu umgeben pflegte, ist dieser Berühmtheiten vollkommen würdig.

      Es gibt kein Möbel darin, das nicht künstlerischen Wert hätte. Man würde ein gutes Geschäft machen, wenn man die Verzierung des Kamins mit Gold aufwiegen wollte. Der Kronleuchter ist wundervoll. Jedes der acht Gemälde, die an dem Getäfel hängen, ist das Hauptwerk irgendeines berühmten Meisters. Und doch ist das alles nichts im Vergleich zu dem Kuriositätenkabinett des Marquis von Boiscoran.

      Im zweiten Geschoß gelegen, von dem es die halbe Breite und die ganze Tiefe einnimmt, empfängt dieses Kabinett, im Stil eines Ateliers hergerichtet, das Licht von oben und würde das Entzücken jedes Künstlers ausmachen.

      In den mächtigen Glasschränken, die rings das Zimmer umgeben, sind die Sammlungen des Marquis aufgehäuft; Seltenheiten aus allen möglichen Epochen; Elfenbein und Emails, feine Bronzen und seltene Manuskripte, seine unvergleichlichen Porzellane, und vor allem seine Fayencen, seine kostbaren Fayencen, der Genuß und die Qual seines Alters.

      Der Mann selbst war dieser Umgebung würdig.

      Bei seinen einundsechzig Jahren, die er damals zählte, hielt er sich aufrecht wie ein I und war von der aristokratischsten Hagerkeit. Er hatte eine verteufelt große Nase, die er unaufhörlich mit Tabak vollstopfte, einen großen Mund, aber noch voll guter Zähne, und kleine blitzende Augen, in denen man alle Verschmitztheit eines Liebhabers las, der beständig mit der Schlauheit der Altertümer- und Raritätenhändler in den Auktionslokalen zu fechten hat.

      Es war im Jahre 1845, als seine Laufbahn ihren Gipfelpunkt erreichte, bezeichnet durch eine Abhandlung »Über das Recht der Wiedervereinigung«, und gleichzeitig schien dies Jahr einen Stillstand für ihn anzudeuten. Alle seine Ideen verrieten den Mann der Julidynastie; selbst sein Äußeres, seine Kleidung, seine steife Halsbinde, sein Bart und das Toupet, welches seine Stirn krönte, bezeichneten den Bewunderer und Freund des Bürgerkönigs. Er beschäftigte sich deshalb nicht etwa mit der bezüglichen Politik – ja, die Wahrheit zu gestehen, er beschäftigte sich eigentlich mit gar nichts.

      Unter der einzigen Bedingung, seine harmlose Passion zu respektieren, durfte Frau von Boiscoran auf eine despotische Weise in ihrem Hause herrschen, indem sie das Vermögen verwaltete, ihren einzigen Sohn Jacques bevormundete und ohne Widerspruch über alles verfügte.

      In nichts konnte man sich an den Marquis wenden; seine stehende Antwort war: »Wenden Sie sich an meine Frau.«

      Dieser vortreffliche Mann hatte gerade abends zuvor den glücklichen Kauf eines ansehnlichen Vorrats von Fayencen gemacht, welche verschiedene Szenen


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