Der Strick um den Hals. Emile Gaboriau

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Der Strick um den Hals - Emile Gaboriau


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unterbrach Herr Sénéchal den andern, »das ist eine Sorge, die mir zufällt. In zehn Minuten werde ich beim Staatsanwalt sein ... Und nun vorwärts, schont Euer Pferd nicht und sagt Frau von Claudieuse, daß wir folgen.«

      Während seiner ganzen langen Amtstätigkeit war der Bürgermeister von Sauveterre noch nie so jählings aus seiner Ruhe aufgerüttelt worden.

      Er verlor den Kopf darüber nicht mehr und nicht weniger als an jenem andern verhängnisvollen Tage, an dem ihm unversehens neunhundert Mann Mobilgarde zugewiesen wurden, die er mit Kost und Wohnung versehen sollte. – Ohne die Hilfe seiner Frau wäre er nie in seine Kleider gekommen.

      Doch war er bereit, als der Bediente wieder erschien.

      »Bei Gott«, dachte er bei sich selbst, »wenn ich nur den Daubigeon zu Hause finde!«

      Herr Daubigeon, der ehemals kaiserlicher Staatsanwalt, dann ein solcher der Republik gewesen, war einer von Herrn Sénéchals besten Freunden.

      Er war ein Mann von etwa vierzig Jahren, mit schlauem Blick und lächelnden Mienen, der sich in den Kopf gesetzt hatte, Junggeselle zu bleiben, und sich dessen gern zu rühmen pflegte.

      Man fand aber in Sauveterre, daß weder sein Wesen noch sein Äußeres sein gestrenges Amt verriet.

      Übrigens war er allgemein geachtet, nur warf man ihm heftig seine optimistische Philosophie und seine Gutmütigkeit vor, besonders aber seine Nachlässigkeit bei den Untersuchungen, eine Nachlässigkeit, die in strafbare Schwäche ausartete und dem Verbrechen Vorschub leistete.

      Er selbst warf sich vor, »das heilige Feuer« nicht zu besitzen und, wie er sich ausdrückte, der kalten Themis soviel Zeit als möglich zu rauben, um sie liebenswürdigeren Musen zu widmen.

      Als »aufgeklärter Sammler« hatte er eine Passion für schöne Bücher, für seltene Ausgaben alter Werke, für kostbare Einbände, schöne Sammlungen von Stichen, und der größte Teil seiner zehntausend Francs jährlicher Rente wurde für diese seine »geliebten Scharteken« verausgabt.

      Als Gelehrter »der alten Schule« widmete er den lateinischen Dichtern Vergil, Juvenal und namentlich Horaz eine Verehrung, welche sich in fortwährenden Zitaten kundtat.

      Aus dem Schlaf emporgeschreckt, wie alle Welt, eilte dieser würdige und elegante Herr sich anzukleiden, um Erkundigungen einzuziehen, als seine alte Wirtschafterin ganz entsetzt hereinstürzte, um Herrn Sénéchals Besuch zu melden.

      »Er trete ein«, rief er, »er trete ein!«

      »Denn«, fuhr er fort, als der Bürgermeister kaum in der Türe erschienen war, »Sie werden mir doch Nachricht bringen, was all der Tumult, das Geschrei, das Trommelgewirbel zu bedeuten hat!

      ... ›Clamorque virum, clangorque tubarum!‹«

      »Ein fürchterliches Unglück ist geschehen«, stieß Herr Sénéchal heraus in einem Ton, daß jedermann hätte schwören mögen, er selbst sei der Betroffene.

      Das war auch so sehr Herrn Daubigeons Eindruck, daß er alsbald ausrief: »Was gibt es, mein teurer Freund? Quid? Mut, zum Henker! Erinnern Sie sich der Mahnung des Dichters, im Mißgeschick eine immer gleichmütige Seele zu bewahren!

      › Aequam, memento, rebus in arduis Servare mentem ...‹«

      »Der Graf von Claudieuse stirbt vielleicht in diesem Augenblick als Opfer eines feigen Mordversuches.«

      »Oh!...«

      »Die Trommel, die Sie vernehmen, vereinigt die Feuerwehrleute, die ich alsbald abschicken will, um das in Valpinson ausgebrochene Feuer zu löschen, und daß ich zu dieser Stunde bei Ihnen erscheine, geschieht aus amtlichen Gründen, um Ihnen das Verbrechen anzuzeigen und alsbald Gerechtigkeit zu fordern.«

      Das war mehr als genug, um alle Zitate auf den Lippen des Staatsanwalts ersterben zu lassen.

      »Genug«! rief er erschreckt. »Kommen Sie, wir wollen unsere Maßregeln treffen, daß die Schuldigen uns nicht entrinnen!«

      Als sie in der Rue nationale ankamen, war diese belebter als sonst am hellen Tage; denn Sauveterre ist einer jener unbedeutenden Amtsbezirke, wo Zerstreuungen so selten vorkommen, daß jeder Anlaß zur Aufregung begierig ergriffen wird.

      Schon war die traurige Begebenheit bekannt und besprochen worden. Anfangs hatte man gezweifelt, aber man war überzeugt, als man das Kabriolett des Doktors Seignebos in Begleitung eines reitenden Bauern in vollem Galopp vorbeieilen sah.

      Die Feuerwehrleute ihrerseits hatten keine Zeit verloren.

      Kaum wurde des Bürgermeisters und Herrn Daubigeons Ankunft auf dem Neumarkt angezeigt, als der Hauptmann Parenteau ihnen entgegenstürzte und, indem er die Hand militärisch an seinen Helm legte, ausrief: »Meine Leute sind bereit!«

      »Alle?«

      »Es fehlen ihrer nicht zehn. Als man erfuhr, daß es sich darum handele, dem Grafen und der Gräfin von Claudieuse beizuspringen, Donnerwetter ... Sie werden sich denken können, daß sich da keiner erst an den Ohren herbeiziehen ließ.«

      »Dann fahrt ab und eilt euch«, befahl Herr Sénéchal. »Wir werden euch unterwegs einholen. Wir, das heißt Herr Daubigeon und ich, gehen sofort, Herrn Galpin-Daveline, den Untersuchungsrichter, abzuholen.«

      Sie hatten nicht weit zu gehen.

      Der Richter hatte sie selbst schon seit einer halben Stunde in der Stadt gesucht; auf dem Platze angelangt, ward er ihrer alsbald gewahr.

      Der personifizierte Gegensatz des Staatsanwalts, war Herr Galpin-Daveline ganz und gar Mann seines Berufs, und mehr als das.

      Alles an ihm von Kopf bis Fuß, von seinen Tuchgamaschen bis zu seinem hochblonden Backenbart, bekundete die Magistratsperson. Er war nicht nur ernst, er war die Verkörperung der Ernsthaftigkeit. Obgleich er noch jung war, konnte sich niemand rühmen, ihn jemals lächeln oder spaßen gesehen zu haben. Zugleich war er so steif, daß er, nach Herrn Daubigeons Ausdrucksweise, »das Schwert der Gerechtigkeit selbst verschluckt zu haben schien«.

      Daher hielt er es auch unter seiner Würde, auf einem zu engen Spielraum zu operieren, die großen Fähigkeiten, die er zu besitzen glaubte, in alltäglichen Angelegenheiten zu vergeuden, wo es sich etwa nur um den Urheber eines Holzdiebstahls oder um den Einbruch in einen Hühnerstall handelte.

      Doch alle seine verzweifelten Anstrengungen, einen bedeutenden Posten zu erlangen, waren bisher zunichte geworden. Vergebens hatte er sich sogar heimlich in die Politik gemischt, bereit, stets der Partei zu dienen, die ihm am besten dienen würde.

      Aber Herr Galpin-Daveline war nicht einer von denen, deren Ehrgeiz sich entmutigen läßt. Auch hatte er, von einer Reise nach Paris zurückgekehrt, in letzter Zeit zu verstehen gegeben, daß eine brillante Heirat, die ihm in Aussicht stehe, nicht verfehlen werde, ihm die Protektionen zu verschaffen, welche seinen Verdiensten bisher gefehlt hatten.

      »Wohlan«, rief er, als er Herrn Sénéchal und Herrn Daubigeon erreicht hatte, »da haben wir einen entsetzlichen Fall, der jedenfalls die weitesten Dimensionen annehmen wird!«

      Der Bürgermeister wollte ihm die näheren Umstände mitteilen.

      »Nicht nötig«, sagte jener; »alles, was Sie wissen, weiß ich auch. Ich bin dem Bauern begegnet, der Ihnen zugeschickt wurde, und habe ihn ausgefragt. – Ich denke«,


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