Gabriele Reuter – Gesammelte Werke. Gabriele Reuter

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Gabriele Reuter – Gesammelte Werke - Gabriele Reuter


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es war dort im­mer ein fröh­li­ches Trei­ben.

      Manch­mal kam es frei­lich zu un­an­ge­neh­men Auf­trit­ten, wenn der Re­gie­rungs­rat plötz­lich sei­ner Frau und Toch­ter hef­ti­ge Vor­wür­fe über ihre Ver­schwen­dungs­sucht im Haus­halt mach­te und er­klär­te, er habe kein Geld zu die­ser aus­ge­brei­te­ten Ge­sel­lig­keit. Aber gleich dar­auf mein­te er wie­der, Aga­the müs­se neue Stie­fel ha­ben, oder er brau­te eine Bow­le, wenn sich sechs bis acht jun­ge Leu­te zum Abend ein­fan­den und nur Kar­tof­fel und Hä­ring es­sen woll­ten.

      Es war dem Re­gie­rungs­rat an­fangs schwer ge­wor­den, von den Tra­di­tio­nen sei­ner Fa­mi­lie ab­zu­wei­chen und den Sohn nicht Jura stu­die­ren zu las­sen. Am Of­fi­zier­stan­de haf­te­te in sei­nen Au­gen ein un­ech­ter ober­fläch­li­cher Glanz. Wal­ter hat­te die jah­re­lang nach­klin­gen­de Be­geis­te­rung von 1870 be­nutzt, um den Va­ter sei­nem Wun­sche güns­tig zu stim­men. Der Re­gie­rungs­rat sah jetzt, dass auch sein Sohn stren­ge ar­bei­ten muss­te, wenn er vor­wärts kom­men woll­te. Es war ein eif­ri­ges Stre­ben un­ter den jun­gen Leu­ten, je­der such­te sich im neu­en Reich einen ei­ge­nen gu­ten Platz zu er­obern. Wal­ter und sei­ne Freun­de lach­ten viel über Mar­tin Gref­fin­gers zor­ni­ge Kri­tik der frisch er­run­ge­nen Herr­lich­keit.

      Wal­ter war kaum drei Mo­na­te in M., als er sich mit Eu­ge­nie Wu­trow ver­lob­te. Das kam selbst sei­ner Fa­mi­lie über­ra­schend. Aga­the hat­te an­ge­nom­men, Eu­ge­nie sei mit Mar­tin heim­lich ver­spro­chen. We­ni­ge Tage vor­her, bei ei­nem ge­mein­sa­men Spa­zier­gang, der mit Kaf­fee­trin­ken in ei­nem öf­fent­li­chen Gar­ten en­de­te, hat­te sie zu se­hen ge­glaubt, wie Mar­tin un­ter dem Tisch nach Eu­ge­nies Hand fass­te, und das Mäd­chen ließ sie ihm. Da­bei tausch­te sie, den Kopf in die Rech­te ge­stützt, über den Tisch Ne­cke­rei­en mit Wal­ter.

      So­bald Aga­the mit der Braut al­lein war, konn­te sie nicht un­ter­las­sen, die Be­mer­kung hin­zu­wer­fen:

      »Ich glaub­te, es wäre Mar­tin, den Du gern hät­test!«

      »Ei­nen so­zi­al­de­mo­kra­ti­schen Stu­den­ten?« frag­te Eu­ge­nie vor­wurfs­voll. »Aber Aga­the –! Den hei­ra­tet man doch nicht! – Und üb­ri­gens hasst er ja auch die Ehe«, füg­te sie mit ih­rem fri­vo­len klei­nen La­chen hin­zu.

      Ein Ge­fühl von Ab­nei­gung, von Ver­ach­tung ge­gen die neue Schwä­ge­rin pei­nig­te Aga­the, wäh­rend ihr alle Be­kann­te Glück wünsch­ten, weil ihr Bru­der die liebs­te Freun­din zur Frau wähl­te. Sie mein­te, es sei ihre Pf­licht, Eu­ge­nie noch ein­mal ernst­lich zur Rede dar­über zu set­zen, ob sie Wal­ter auch wirk­lich lie­be. Aber nach dem ers­ten miss­glück­ten Ver­such fand sie nicht den Mut. Was hät­te Eu­ge­nie auch be­we­gen sol­len, sich mit Wal­ter zu ver­lo­ben? Sie war ein rei­ches Mäd­chen und hat­te schon ver­schie­de­ne An­trä­ge aus­ge­schla­gen.

      Die bei­den Freun­din­nen be­rich­te­ten sich ge­treu­lich jede Klei­nig­keit ih­res täg­li­chen Le­bens. Sie wür­den es sehr übel ge­nom­men ha­ben, wenn eine von ih­nen sich eine Schlei­fe ge­kauft hät­te, ohne die an­de­re um Rat zu fra­gen und län­ge­re Ver­hand­lun­gen dar­über zu pfle­gen. Was aber im In­nern ih­rer zu­künf­ti­gen Schwä­ge­rin vor sich ging, blieb Aga­the eine so frem­de Welt, wie es Eu­ge­nie ihr fan­tas­ti­sches Traum­le­ben ge­we­sen wäre. Jede hü­te­te ängst­lich die ei­ge­nen Ge­heim­nis­se.

      VIII.

      Zur Zeit, als die Kin­der noch klein wa­ren, hat­te Frau Heid­ling nach dem Tode ih­rer Schwie­ger­mut­ter de­ren Kö­chin ins Haus ge­nom­men. Schon da­mals hieß sie die alte Dor­te. Mit den Jah­ren hart und dürr ge­wor­den, gleich ei­nem ver­wit­ter­ten Zaun­ste­cken, und von gal­li­ger Ge­müts­art, ar­bei­te­te sie für die Fa­mi­lie mehr in zä­hem Ei­gen­sinn als in lin­der Treue. Wie oft sie schon ge­kün­digt hat­te und trotz­dem ge­blie­ben war, konn­te nie­mand mehr nach­rech­nen. Hör­te man sie in der Kü­che vor sich hin­brum­men und schel­ten, so muss­te man ih­ren Aus­drücken nach die Über­zeu­gung ge­win­nen, ihre Herr­schaft ge­hö­re ei­gent­lich in ein Nar­ren­haus. Den jun­gen Stu­ben­mäd­chen, die ihr zur Hil­fe ge­hal­ten wur­den, be­zeig­te Dor­te gleich­falls die grim­migs­te Ver­ach­tung und wur­de von ih­nen sehr ge­fürch­tet; denn die alte Dor­te war un­er­müd­lich in der Ar­beit und ver­lang­te von den jun­gen Din­gern das Glei­che. Des­halb be­nei­de­ten die Rä­tin­nen sämt­lich Frau Heid­ling um den Schatz, den sie in der al­ten Kü­chend­orte ge­fun­den.

      Ein Ehr­geiz hat­te sich in dem ver­dorr­ten Ge­müt der al­ten Magd her­aus­ge­bil­det. Sie woll­te die Be­loh­nung für fünf­und­zwan­zig­jäh­ri­ge Dienst­leis­tung in ein und der­sel­ben Fa­mi­lie er­wer­ben. Die Kö­ni­gin schenk­te in sol­chen sel­te­nen Fäl­len ein sil­ber­nes Kreuz und eine Bi­bel.

      Und weil die Rä­tin Heid­ling Dor­tes Hoff­nun­gen teil­te, ja, weil im Grun­de die­se öf­fent­li­che Aner­ken­nung der Her­rin eben­so­viel Ehre brach­te, als der Die­ne­rin, dar­um be­hielt sie sie ge­dul­dig im Haus, ob­wohl Dor­te sich durch­aus nicht ge­neigt er­wies, Aga­the Ein­bli­cke in ihre Kunst zu ge­stat­ten.

      Konn­te Aga­the von Dor­te nichts ler­nen, so nahm sie sich de­sto eif­ri­ger der Er­zie­hung des klei­nen Haus­mäd­chens an, wel­ches mit ihr zu­sam­men kon­fir­miert wor­den war. Pas­tor Kand­ler hat­te ihr die Verant­wor­tung für das un­ver­dor­be­ne Land­kind warm ans Herz ge­legt. Sie gab also Wie­sing Gro­ter­jahn am Sonn­tag Nach­mit­tag Ge­schich­ten von From­mel und Ma­rie Na­thu­si­us zu le­sen, und hielt ihr klei­ne mo­ra­li­sche Vor­trä­ge über die Schäd­lich­keit und die Ge­fah­ren der Tanz­bö­den. Wäh­rend Frau Re­gie­rungs­rat es pas­sen­der fand, das Mäd­chen Lui­se zu ru­fen, ob­wohl dem heim­weh­kran­ken Kin­de an­fangs je­des Mal die Trä­nen in die Au­gen schos­sen, nann­te Aga­the sie nach wie vor mit der trau­li­chen Ab­kür­zung »Wie­sing«. Nah­men sie zu­sam­men eine Ar­beit vor, so un­ter­hielt sie sich freund­lich mit Wie­sing und such­te ihr be­greif­lich zu ma­chen, wie gut es für sie sei, in ei­nem Hau­se zu die­nen, wo kei­ne Sor­ge und nichts von dem Elend, wel­ches die Ar­bei­te­rin­nen in Fa­bri­ken er­war­te, an sie her­an­tre­ten kön­ne. Es be­küm­mer­te Aga­the zu­wei­len, dass trotz ih­rer lieb­rei­chen Be­mü­hun­gen Wie­sing ihr kein rech­tes Ver­trau­en zu schen­ken schi­en.

      »Die Mäd­chen be­trach­ten Euch als ihre na­tür­li­chen Fein­de, und im Grun­de ha­ben sie recht dar­in«, hat­te Mar­tin ein­mal ge­sagt. Das konn­te Aga­the doch nicht ver­ste­hen.

      In­des­sen in­ter­es­sier­te sie sich nach und nach weit mehr für ih­ren ima­gi­nären Ge­lieb­ten, als für die See­len­bil­dung des Haus­mäd­chens, und be­küm­mer­te sich nur noch um sie, wenn die­se ihre Diens­te brauch­te.

      »Fräu­lein«, sag­te Wie­sing ei­nes Mor­gens, als sie Aga­the war­mes Was­ser in ihr Schlaf­zim­mer brach­te, und da­bei stand sie mit ge­senk­ten Au­gen, »an mei­ner Tür is kein Rie­gel, könn­te da nicht ei­ner an­ge­macht wer­den?«

      »Ja – hast Du denn kei­nen Schlüs­sel?«

      »Den hat der jun­ge Herr ab­ge­zo­gen«, stot­ter­te Wie­sing.

      »Der jun­ge Herr? Was ist denn das für dum­mes Zeug! Du hast ihn si­cher ver­lo­ren!«

      »Ne, Frö­len!«


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