Ardistan und Dschinnistan. Karl May

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Ardistan und Dschinnistan - Karl May


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Eure stehenden Heere für den Frieden, die keinen einzigen Para kosten, sondern Milliarden einbringen würden? Wo sind Eure Friedensfestungen, Eure Friedensmarschälle, Eure Friedensstrategen, Eure Friedensoffiziere? Mehr Fragen will ich jetzt nicht fragen. Denn alle, alle diese Fragen werden sich in Ardistan vor Dir erheben, und die Antworten werden Dir in Dschinnistan erscheinen, doch nur dann, wenn Du die Augen offenhältst. Dein Ritt nach diesen beiden Ländern ist ein Studien-und Übungsritt, und was Du Dir da geistig aneignest, das betrachte als meinen Dank für die Bereitwilligkeit, mit der Du meinen Auftrag übernimmst. Diese beiden Länder werden Dir ein ziemlich treues Bild der Erde bieten, der Erde, ihrer Bewohner und aller möglichen Verhältnisse, in denen die Völker zueinander stehen. Und wenn Dir da Rätsel begegnen, die Du nicht lösen kannst, so denke an das Bild, welches ich Dir jetzt entwerfe.«

      Sie machte eine langsame, andeutende Armbewegung nach dem Osten und fuhr dann fort:

      »Da hinten ist die gelbe Rasse aus einem langen, tiefen Schlaf erwacht. Sie regt nur erst die Glieder. Sie beginnt erst frei zu atmen. Wehe, wenn sie, ihre Kräfte fühlend, vom Lager aufspringt, um zu zeigen, daß sie genau so wie andere berechtigt ist, zu leben!«

      Hierauf machte sie eine Armbewegung nach dem Westen und sprach weiter:

      »Da drüben liegt Amerika, das Ihr so falsch als >Neue Welt< bezeichnet. Dort lebt der rote Mann, von dem Ihr meint, daß er dem Untergang gewidmet sei. Ihr irrt. Dieser rote Mann stirbt nicht. Kein Portugiese, kein Spanier, kein Englischmann, kein Yankee hat die Macht, ihn auszurotten. Und der Deutsche geht nicht hinüber, um des Indianers Feind zu sein. Sie haben beide das, was wohl kein anderer hat, nämlich Gemüt, und das wird sie vereinen. Der sogenannte >sterbende< Indianer wird wieder aufstehen. Es gibt ein übermächtiges, weltgeschichtliches Gesetz, welches befiehlt, daß der mit dem Schwert Besiegte mit dem Spaten dann der Sieger sei. Der gegenwärtige Yankee wird verschwinden, damit sich an seiner Stelle ein neuer Mensch bilde, dessen Seele germanisch-indianisch ist. Diese neue amerikanische Rasse wird eine geistig und körperlich hochbegabte sein und ihren Einfluß nicht auf die westliche Erdhälfte allein beschränken. Sie wird sich aller Ideale und aller geistigen Triebkräfte des Abendlandes bemächtigen, und wehe dem alten Europa, wenn es dem nichts anderes entgegenzusetzen hat, als nur die alten Vorurteile, die alte Selbstüberhebung, die alten Kultursünden und - - die alten Kanonen! Denn auch der Orient beginnt schon, sich zu regen. Er streckt die Glieder; er prüft die Muskeln, die Gelenke. Er glaubt, was Japan konnte, das könne er auch! Der Riese Islam, dessen mächtige Gestalt auf europäischer, asiatischer und afrikanischer Erde ruht, fürchtet sich nicht vor der scheinbaren Übermacht des Abendlandes. Das Kismet, an welches er glaubt, ist unwiderstehlich im Angriff und von unendlicher Ausdauer. Es wiegt die Übermacht der europäischen Waffen auf. Gebt dem Morgenlande gute Führer, so wird es siegen. Und siegt es nicht, so wird sein Untergang zugleich der Eure sein. Die gelbe Rasse wird sich dann mit der germanisch-indianischen in die Herrschaft über die Erde teilen. Und warum? Weil das Abendland nicht groß, gerecht und edel genug war, seine angeblichen >Interessensphären< einer humanen Nachprüfung zu unterwerfen und sich mit dem Morgenlande auszusöhnen!«

      »Sich mit dem Morgenlande auszusöhnen?« fragte ich. »Das ist falsch. Es muß heißen, das Morgenland mit sich auszusöhnen, denn nicht das Abend-sondern das Morgenland ist der beleidigte, der schwer gekränkte, der unterdrückte Teil. Fast alles, was das Abendland besitzt, hat es vom Morgenlande. Seine Religion, seine Kraft, seine Wissenschaft, seine ganze Bildung und Gesittung, seine Cerealien, seine Früchte. Den ganzen Grund und Boden seines äußeren und inneren Lebens. Und was es nicht unmittelbar von ihm hat, dazu ist doch wenigstens der Anstoß von ihm ausgegangen. Wie unendlich groß ist der Dank, den wir ihm schuldig sind! Und wie haben wir ihm gelohnt? Wie und womit?«

      »Du fragst sehr richtig, sehr richtig!« antwortete Schakara. »Wie habt Ihr uns gelohnt, und womit? Nachdem wir Euch alles gaben, was wir besaßen, nur unsere Erde nicht, denn die gehört nicht uns, sondern Gott, kommt Ihr mit allerlei Listen und Waffen, uns auch noch diese wegzunehmen! Hätte Euch der Orient weiter nichts, weiter gar nichts, als nur das eine, einzige Wort gegeben, >Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibet, der bleibet in Gott und Gott in ihm<, so könntet Ihr ihm diese eine Gabe nicht mit allen Sonnen, Monden und Sternen belohnen, soviele ihrer auch am Himmel stehen; Ihr aber habt nicht nur hierfür, sondern überhaupt für alles, was Ihr bekamt, keine einzige Tat des Dankes, sondern nur Blut und Krieg und Neid und Haß gegeben.«

      »Wenn Du das im Abendlande sagtest, würde man darüber lachen, o Schakara,« warf ich ihr zu. »Man behauptet dort das gerade Gegenteil von dem, was Du behauptest. Man glaubt, dem Morgenlande Wohltat über Wohltat zu erweisen, indem man sich in seine Wohnung drängt - - -«

      »Um ihm die Liebe aufzudringen, die es nicht mag, weil sie die falsche ist,« fiel Marah Durimeh ein. »Ich spreche nicht von der Mission, ich spreche von der Nächstenliebe der europäischen Politik. Man zeige mir ein Herz, welches durch sie gewonnen worden wäre! Es gibt keines, kein einziges! Und doch ist es die größte, die wichtigste, ja die heiligste Aufgabe des Abendlandes, das Herz des Orients zu gewinnen, wenn es zukünftige Kämpfe vermeiden will, aus denen es wohl kaum als Sieger hervorzugehen vermag. Und nicht nur nach der Liebe des Orients hat es zu trachten, sondern auch nach seiner Achtung, seinem Vertrauen!«

      »Aber wie?« erkundigte ich mich.

      »Das fragst Du, der Du doch schon längst auf dem rechten Wege bist, Dir alles dieses zu gewinnen? In allen Büchern, die Du schreibst, lehrst Du die Liebe zu dem Morgenlande! Aus allen Deinen Schriften lächelt die Seele des Orients - sehnsüchtig, wehmutsvoll! Es ist ein Lächeln durch Tränen! Wärst Du das Abendland, Du hättest den Orient wohl schnell gewonnen, denn Du liebst ihn, und Du kommst nicht, um ihn auszunützen. Aber Du bist nur ein einzelner Mensch, und es müßten außer Dir und denen, die Dich lesen, noch viele, viele Tausende kommen, um in demselben Sinne zu wirken und zu leben. Man schicke, so wie Du, die deutsche Kunst ins Morgenland! Da lernt man es am besten kennen und lieben. Man sende auch die Wissenschaft, doch nicht nur, um in Babylon nach alten Steinen zu graben, sondern um überhaupt nach dem ruhenden Geist des Orients zu suchen. Die Wege, welche vom Abendlande zum Morgenlande führen, sollen nicht mehr Wege des Krieges, sondern Pfade des Friedens sein! Laßt Waffen-und Soldatentransporte verschwinden! Der Handel blühe! Die Wohlfahrt eile freudig hin und her, um Zwiste auszugleichen, Schäden zu heilen und Segen zu verbreiten! Dann wird der Mensch des Menschen würdig sein. Und wenn die große, schwere Stunde kommt, in der im fernen Westen wie im fernen Osten die Schicksalsfrage: ob Krieg oder Friede klingt, dann werden beide, der Orient und das Abendland, als unüberwindliche, weltgebietende Freunde beieinander stehen und die Völker der Erde zwingen, ihre Schwerter verrosten zu lassen!«

      »Wann wird das sein?« fragte ich »Wie bald, wie spät?«

      »Geh nach Dschinnistan; dort wird die Stunde schlagen,« antwortete sie. »Jetzt bin ich mit der Vorrede zu Ende, und das Werk kann nun beginnen. Ich führe Dich zur Bibliothek, um Dir die Karten und sonstigen Quellen zu zeigen, aus denen Du Dir Vorbereitung holst.«

      Wir verließen den Söller und gingen zur Bücherei. Während ich da in den vorhandenen Werken nachschlug, um mich für die geplante Reise zu orientieren, gab Marah Durimeh den Befehl, »Wilahde«, das Segelschiff, für morgen klar zu machen. Später brachte sie mir den heute von Dschinnistan zurückgekehrten Boten, mit dem es eine längere Besprechung gab, die mir für späterhin von großem Nutzen war. Dann, gegen Mitternacht, war ich allein und ging, wie ich es täglich tat, bevor ich mich niederlegte, noch einmal hinunter zu den Pferden. Sie waren das so gewohnt, daß sie gewiß nicht eingeschlafen wären, wenn ich es einmal vergessen hätte, ihnen diesen Besuch zu machen.

      Sie waren nicht allein. Halef befand sich bei ihnen. Er saß im Grase. Ich grüßte ihn; er antwortete nicht. Ich grüßte abermals; er schwieg noch immer. Ich grüßte zum dritten Male; auch da war er still. Da sagte ich:

      »Gute Nacht, Halef!« und tat, als wollte ich gehen. Das wirkte. Er rief sehr schnell:

      »Gute Nacht,


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