Mut. Rotraud A. Perner

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Mut - Rotraud A. Perner


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Bauer weist darauf hin, dass unterdrückte Aggressionsimpulse »für einen eventuellen späteren Gebrauch wie eine Konserve« aufbewahrt werden – zwecks Wiedererlangung von »Respekt«.) Leider beschränkt sich bei manchen Menschen die Akzeptanz, ja sogar Toleranz, nur auf »ihresgleichen«. Daher werden Mutproben als nützliche Beweise eingefordert, um die Widerstandskraft der »Ungleichen« zu prüfen, und überdies, um herauszufinden, wer mit wem sympathisiert. Zusätzlich entdeckt man dabei auch, wer sich zum Sündenbock/zur Sündenziege eignet.

      Es ist wichtig zu erkennen, wie sehr mit dem Appell, mutig zu sein, manipuliert wird.

      Deswegen ist es wichtig zu erkennen, wie sehr mit dem Appell, mutig zu sein, manipuliert wird. Besonders sichtbar wird dies bei den sogenannten Mutproben Jugendlicher, die in Wirklichkeit Unterwerfungstests sind: Wie existenziell wichtig ist jemandem die Zugehörigkeit zur Gruppe, wie sehr ist jemand bereit, für diese Zugehörigkeit sein Leben aufs Spiel zu setzen? Und wo soll er danach in der Hackordnung platziert werden?

      Mut als »Mannestugend«

      Die erste Manipulation besteht bereits darin, dass Mut als männliche Tugend definiert wird. Schon die alten Griechen nannten Mut andreia: Darin steckt das Wort aner, der Mann. Das beweist den Zusammenhang mit der traditionellen militärischen Erziehung: Jahrhundertelang teilte sich der männliche Bereich in wenige Befehlshaber und massenhaft Gehorsamspflichtige, denen Bildung und Information vorenthalten wurde, wohingegen der weibliche Teil der Menschheit bestenfalls in Küche und Kinderstube kommandieren durfte – sofern der »Herr des Hauses«, Ehemann oder Vater, in manchen Rechtssystemen noch dazu Bruder oder Vatersbruder, dies erlaubte. In Österreich wurde erst durch die Familienrechtsreform Ende der 1970er-Jahre diese juristische Vorrangstellung des Ehemannes durch eine auf Gewaltverzicht ausgerichtete partnerschaftliche Rechtskonstruktion ersetzt – aber eingehalten wird sie noch immer nicht überall; das zeigt mir meine Beratungstätigkeit leider immer wieder.

      Der Mut, den viele Frauen aufbringen müssen, um ungerechte Verhältnisse aufzuzeigen, dagegen zu protestieren und sich davon zu befreien, egal ob es private, berufliche oder gesellschaftliche sind, wird hingegen weder als psychische Kraftleistung, noch als Tugend der Selbstfürsorge anerkannt, sondern ganz im Gegenteil: Frauen werden eher als überanspruchsvolle Störenfriede bezeichnet, wenn sie Widerstand leisten – außer es wurde ihnen das von einer übergeordneten Instanz »angeschafft«.

      Im militärischen Modell gilt Gehorsam wesentlich mehr als etwa Eigenaktivität, selbst wenn diese zum Sieg führt.3 Ähnlich toben oft herrische Menschen, wenn jemand ohne zu fragen den Mut besitzt, notwendige Handlungen zu setzen: Sie fühlen sich dann in ihrem Führungsanspruch nicht respektiert – was enttarnt, dass ihr Ziel nicht der jeweilig angepeilte Erfolg ist, sondern ihre persönliche Dominanz. Darin sehe ich einen Grund, weswegen Mut bei Frauen und Kindern ignoriert, abgewertet, verboten oder auch verspottet wird: Sie werden immer noch von vielen Menschen nur als Untergeordnete von Männern »erwünscht« und dementsprechend mittels Angstmache bedroht, wenn sie keinen »Beschützer« aufzuweisen haben, vor dem man(n) sich vorauseilend vorsehen muss. So höre ich immer wieder Klagen von frisch geschiedenen Frauen, dass sie sich kaum der einschlägigen Anträge von Arbeitskollegen oder Nachbarn erwehren könnten, die wähnen, eine Frau brauche unbedingt einen, der zu ihr hält – also einen »Zuhälter«.

      Aristoteles sah Mut als Mitte zwischen Furcht und Zuversicht und hielt ihn für lehrbar bzw. erlernbar. Zuversicht – das bedeutet vor allem auch Selbstvertrauen, und das gewinnt man erst aus der Erfahrung gelungener Wagnisse. Aber ist dieses gesellschaftlich überhaupt erwünscht? Im militärischen Modell sollen die Angehörigen der jeweils bewusst uninformiert gehaltenen untergeordneten Dienstgrade ihren Übergeordneten »blind« – das bedeutet »ohne nachzudenken« – vertrauen, daher ist aus dieser Sicht Selbstvertrauen unnötig, ja sogar gefährlich: Es könnte sich jemand für klüger halten als seine Vorgesetzten.

      Dieses hierarchische Herrschaftsmodell kann bis in die Antike zurückverfolgt werden: Bevor die Menschen sesshaft wurden, fungierten Männer auch als Wachtrupp Vieh hütender Nomaden, immer vorbereitet auf Überfälle von organisierten Viehdieben oder Frauenräubern. Frauen hatten vor allem die Aufgabe, für Zuwachs an Kämpfern zu sorgen und nebenbei noch die Verwundeten oder Kranken zu pflegen, alles andere war unnötiger Aufputz, denn hochwertiges Essen bereiteten sich Jagende traditionell selbst zu, gesammelte Kräuter, Beeren, Obst und Feldfrüchte galten ohnedies nichts gegenüber eiweißhaltiger Kraftnahrung (wie ja auch heute noch viele Männer diese gesunde Kost als »Babynahrung« verweigern). Erst mit der Sesshaftwerdung und ausgeklügeltem Ackerbau samt Bewässerungssystemen ging die hierarchische Herrschaft vom Clanältesten bzw. Familienoberhaupt auf Älteste als Ortsvorsteher über, bildeten sich Ortsverbände als Kampf- und Verteidigungsbündnisse und mit zunehmender Größe Fürstentümer und Königreiche – immer mit Befehlsgewalt von der einsamen Spitze oben nach unten zur breiten Masse.

      Mein Jungianischer Lehranalytiker erzählte mir (als Mahnung!) einmal von einem Naturvolk, bei dem alle Männer »in Reih und Glied« der Jagdbeute gegenüberstehend erst dann ihre Pfeile abschießen dürfen, wenn sie dazu den Befehl erhalten; ist aber einer schneller und wartet nicht die Gleichschaltung mit den anderen ab, wird er sofort von diesen erschossen – selbst wenn er die Jagdbeute erlegt hat (und die anderen das nicht geschafft hätten, weil allein das Schießkommando das Tier möglicherweise bereits vertrieben hätte). Er ist zum »Outlaw« – zu einem außerhalb des Gesetzes – geworden. Nur wenn er allein – ohne konkurrierendes Nebeneinander – eine beängstigende Gefahr (es gibt ja auch andere) bezwingt, wird er zum Helden … Und da dürfen dann auch Frauen Heldentaten begehen, denken wir nur an Judith im Alten Testament, die den feindlichen Feldherrn Holofernes im Doppelsinn des Wortes »berauschte« und dem Betäubten statt sexuelle Wohltaten zu gewähren den Kopf abschlug.

      Aristoteles sah Mut als Mitte zwischen Furcht und Zuversicht.

      Suggestionen

      Die Anerkennung als Heldentum ist immer von der nachträglichen Genehmigung durch »obere Instanzen« – Männer! – abhängig. Alltagsfrauen dürfen nur Kinder loben. Erst wenn eine die Spitze einer Hierarchie erklommen hat, gilt ihr Wort richtungweisend – aber das auch nicht immer, denn alle, die ihre Position selbst bekleiden wollen (oder für »Besserwisserei« bezahlt werden wie Lohnschreiber), werden auf Ansatzmöglichkeiten für Kritik lauern und gegebenenfalls zur Attacke schreiten. Jemanden aus der Masse hervorzuheben – eben etwa durch die Bezeichnung als Held oder gar Heldin –, suggeriert nicht nur besondere Hochachtung, sondern auch Nachahmungsaufforderung für das ausgezeichnete Verhalten, und das nicht nur in der Hochkultur, sondern auch in den jeweiligen Subkulturen.

      Auszeichnung besitzt Doppelsinn: Man kann jemanden positiv oder negativ »markieren« – so wie es auch von alters her Tätowierungen als Königs- oder als Sträflings-Marker gab. Manchmal kann diese Usance aber durcheinandergebracht werden. Ich kann mich noch gut erinnern, wie beeindruckt ich war, als ich als Kind in dem dänischen Familienmagazin Hjemmet (zu Deutsch »Heim«, vergleichbar etwa mit Frau im Spiegel oder Die ganze Woche) eine Rückenansicht des damaligen Königs Frederik, des Vaters der gegenwärtigen Königin Margarethe, sah, denn da gab es nicht nur die eine oder andere abgegrenzte Tätowierung, sondern er hatte sich als Marineoffizier gleich die ganze Rückenfläche voll bebildern lassen.

      Belobigungsinstanzen waren früher die staatliche oder kirchliche Obrigkeit, heute sind dies vor allem die Medien. Ihr Lob lässt Nachahmung wachsen – und als Lob gilt vielen bereits, in Bild oder Text aufzuscheinen, egal ob positiv oder negativ. Deswegen sollten sozial unerwünschte Handlungen nicht explizit beschrieben werden. Als ich im Jahr 2010 für die Katholische Medienakademie ein Seminar zum Thema »Wie schreiben über sexuellen Missbrauch?« abhielt, plädierte ich aus den soeben genannten Gründen dafür, so unemotional wie möglich zu formulieren – ich wusste aus meiner beratenden und therapeutischen Praxis, dass gerade pädophil veranlagte Männer solche Zeitungsberichte sammelten und gleichsam als Pornoliteratur »genossen«. »Aber wir haben doch gelernt, möglichst emotional zu texten!«, protestierte die Seminarteilnehmerschaft. »Ja, schon – bei all den Themen, die zur Nachahmung herausfordern dürfen!«, konterte ich und erklärte: Beim Lesen von Sexualstraftaten


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