Das Orchester, das niemals schläft. Christoph Wagner-Trenkwitz

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Das Orchester, das niemals schläft - Christoph Wagner-Trenkwitz


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bis heute eine Heimat bildet: Es erfolgte die Architektenausschreibung für das neue Hofoperntheater, das neun Jahre später eröffnet wurde.

      Richard Wagner und die Wiener Philharmoniker

      Der wichtigste deutsche Opernkomponist, der den Philharmonikern erstmals 1861 begegnete, verdient einen ausgiebigeren Exkurs, der uns bis in die 1870er-Jahre führen wird.

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      Richard Wagner zu einer Zeit, als er nur mehr die Musik und nicht mehr die Politik revolutionieren wollte

      Als Revolutionär hatte sich Richard Wagner exponiert und musste 1849 aus Dresden flüchten. Nun lebte er, immer noch persona non grata in Deutschland, im Schweizer Exil. Im Mai 1861 hörte Wagner erstmals das Wiener Opernorchester – und erstmals den eigenen Lohengrin. An seine Frau Minna Planer schrieb der Meister: »Zum ersten Mal in meinem mühe- und leidvollen Künstlerleben empfing ich einen vollständigen, allesversöhnenden Genuß«. Wenige Tage später folgte ein nicht minder umjubelter Fliegender Holländer, nach dem Wagner in einer Ansprache ankündigte, im Herbst nach Wien kommen zu wollen, um hier seine neue Oper einzustudieren: Tristan und Isolde. Nach 77 Proben und einer Erkrankung des Tenors Alois Ander verabschiedete man sich von dem kühnen Projekt einer Tristan-Uraufführung in Wien, der Komponist flüchtete hochverschuldet aus seiner Penzinger Villa. Das Jahrhundertwerk erblickte erst im Juni 1865 in München das Licht der Bühne.

      Erwähnenswert ist eine Uraufführung am Kärntnertor-Theater, die zustande kam, ohne auf die erhoffte Resonanz zu stoßen. Im Februar 1864 gingen Jacques Offenbachs Rheinnixen in Szene, woraus der Franzose Jahre später die berühmteste Melodie in sein letztes Werk übernahm: die Barkarole in Hoffmanns Erzählungen.

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      Das erste Foto der Wiener Philharmoniker (1864) in der Dekoration des Kärntnertor-Theaters, links von der Mitte der Dirigent Otto Dessoff (in hellen Hosen)

      Richard Wagner mochte von den Opernbehörden enttäuscht gewesen sein, die für die Uraufführung seines Tristan nicht zu allen Opfern bereit gewesen waren; dem Wiener Orchester jedoch bewahrte er eine lebenslange Verbundenheit, die sich bereits in der Saison 1862/63 in mehreren epochalen »außerordentlichen« Konzerten manifestierte. Im Theater an der Wien erklangen nacheinander Ausschnitte aus dem Ring des Nibelungen und den Meistersingern von Nürnberg.

      Im Mai 1872, knapp vor der Bayreuther Grundsteinlegung, gastierte der Meister wieder im Musikverein, lobte die Philharmoniker bei einer Probe als »das beste Orchester der Welt« und fügte hinzu: »Bei euch und mit euch Musik zu machen ist eine Lust!« Im Konzert am 12. Mai, das auch das Walküre-Finale beinhaltete, ergab sich ein besonderer Effekt: Als Wotan den Feuergott Loge herbeirief, brach ein lautstarkes Gewitter los.

      Von Wagners Wien-Besuchen im März und Mai 1875 sind vielsagende Anekdoten überliefert. Zu einer Konzertprobe mit Bruchstücken aus Götterdämmerung kam die Hofopernsängerin Amalie Materna erschöpft von einer Probe der Goldmark’schen Königin von Saba. Als sie versuchte, sich der Probe mit halber Stimme zu entledigen, meinte Wagner: »Bitte nicht markieren! Goldmarkieren Sie in der Oper!« Beim Konzert war es abermals ausgerechnet ein jüdischer Konkurrent, der die künstlerischen Kräfte abzog. Als das frenetisch jubelnde Publikum eine Wiederholung des Trauermarsches aus Götterdämmerung erzwingen wollte, baten die Bläser den Dirigenten um Schonung, da sie abends noch Meyerbeers Afrikanerin in der Hofoper zu spielen hatten. Wagner erklärte dem Publikum die Situation und nannte das Opernwerk – ob irrtümlich oder in sarkastischer Absicht, muss dahingestellt bleiben – die »Amerikanerin«.

      Am 2. März 1876 dirigierte Wagner das einzige Mal an der Hofoper – eine Benefizvorstellung seines Lohengrin. Dem Konzertmeister streute der Dichterkomponist Rosen (»Sie spielen das ja viel schöner, als ich es komponiert habe«), konnte sich als nicht geübter Kapellmeister aber auch auf einen »heimlichen« Subdirigenten verlassen, der so manchen »Schmiss« verhinderte. Niemand Geringerer als der Wagner ergebene Hofkapellmeister Hans Richter hatte an der Pauke Platz genommen und dirigierte an heiklen Stellen »mit dem Paukenschlägel, ohne daß es Wagner gewahr wurde«, wie Joseph Sulzer, Zeitzeuge in der Cellogruppe, berichtete.

      Richard Wagner besuchte das Orchester nach 1876 nicht mehr, doch dieses reiste ihm nach: Ab den ersten Bayreuther Festspielen halfen über viele Jahre Musiker der Wiener Philharmoniker im Festspielorchester aus. Nicht alle waren Freunde des »Zukunftsmusikers« Wagner. Der Hofopernfagottist Wilhelm Krankenhagen etwa notierte in seine Götterdämmerung-Stimme:

      Der Zukunft Musik dereinst oben

      wird hoffentlich anders sein,

      sonst möcht’ ich nach hiesigen Proben

      nicht in den Himmel hinein.

      Und Krankenhagens Parsifal-Stimme trägt die Verse:

      Zwei Knaben gingen nach Bayreuth,

      der eine dumm, der andre g’scheit.

      Und als der Parsifal war um,

      da war der G’scheite auch schon dumm.

      Auch der Sekundgeiger Johann Czapauschek dürfte kein überzeugter Wagnerianer gewesen sein. Bei dem Geständnis Lohengrins im 1. Akt, »Elsa, ich liebe dich!«, notierte er in seine Stimme: »Hier empfiehlt Czapauschek Tusch in A-Dur und Ende der Oper!«

      Lebende Komponisten und Denkmalpflege

      Zurück in die 1860er-Jahre, in denen regelmäßig bedeutende Komponisten am Pult unseres Orchesters standen, so Max Bruch im Konzert oder Charles Gounod, der im Kärntnertor-Theater seine Oper Roméo et Juliette dirigierte. Auch konzertierte man mit gefeierten Solisten wie dem Pianisten Anton Rubinstein und dem Geiger Joseph Joachim.

      1865 spielte das Opernorchester zugunsten der Errichtung eines Schubert-Denkmals (das Monument des Bildhauers Karl Kundmann ist noch heute im Wiener Stadtpark zu besichtigen), im Jahr darauf für ein Mozart-Denkmal, wobei im Großen Redoutensaal noch unveröffentlichte Kompositionen Rossinis erklangen, die der Meister zur Verfügung gestellt hatte. 1878 stellten sich die Philharmoniker schließlich in den Dienst eines weiteren Denkmalprojekts: Das Beethoven-Monument von Caspar von Zumbusch wurde 1880 an der Lothringerstraße, heute Beethoven-Platz, enthüllt, das Originalmodell der sitzenden Figur ist vis-à-vis im Wiener Konzerthaus zu sehen.

      Der ab Oktober 1867 amtierende Operndirektor Franz von Dingelstedt setzte sich einerseits für die Erhöhung der immer noch mageren Orchestergagen ein, unternahm andererseits einen Versuch, die Philharmonischen Konzerte unter die Kontrolle der Hofopernverwaltung zu bringen. »Jede sich selbständig gebahrende und für ihre Privatzwecke arbeitende Körperschaft ist im Theater-Organismus eine Anomalie, die nicht geduldet, geschweige denn gehegt werden darf«, so Dingelstedt. Wenngleich mit der Vereinigung des Opern- mit dem Konzertbereich »wesentliche Diensterleichterungen verbunden« gewesen wären, »hätten die ›Philharmonische Idee‹ und damit die Philharmoniker aufgehört zu existieren« (Hellsberg). Das Orchester blockte diplomatisch ab, der neue Direktor beschloss, eine etwaige Reform »dem Zeitpunkt der Eröffnung des neuen Opernhauses« überlassen zu wollen – und dieser Moment stand unmittelbar bevor.

      Das Opernhaus am Ring

      Der Neubau löste keine Vorfreude aus. Die Pläne wurden verspottet, von einem »versunkenen Walfisch« und einem »Königgrätz der Baukunst« (in Anspielung auf die verheerende Niederlage der österreichischen Armee bei der Schlacht von Königgrätz 1866) war die Rede. Den beiden Architekten wurde böse nachgereimt: »Sicardsburg und van der Nüll, die haben beide keinen Styl«, und auch künstlerisch, so munkelte man, würde das neue Theater nicht entsprechen: Laut Blaukopf glaubte man genau zu wissen, »daß man im Innern des Hauses weder etwas sehen noch hören würde«.

      Letztlich


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