Die Tränen des Kardinals. Heinz-Joachim Simon

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Die Tränen des Kardinals - Heinz-Joachim Simon


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hat sich von dir verabschiedet, habe ich gehört“, bohrte sie auch gleich in meiner Wunde. „Na ja, ein braves Mädchen aus Trastevere ist auch nichts für einen Räuber wie dich!“

      „Wir haben lediglich eine Auszeit genommen“, log ich. Dies war eine gehörige Untertreibung.

      „Läuft bei dir bereits etwas anderes?“

      „Nein. Ich lebe so keusch wie einst Franz von Assisi.“

      „Ha, das soll ich dir glauben? Eher so keusch wie Papst Alexander, der Borgia. Aber dem können wir Rechnung tragen. Kommst du ein bisschen zu mir hoch? Du könntest dein müdes Haupt auf mein Kopfkissen legen. Wir könnten eine Menge Spaß haben.“

      „Ich melde mich zum Spaß gern an. Aber ich muss noch ins Büro, um mit Marcello den nächsten Fall zu besprechen.“

      „Ach, wegen des neuen Vatikangerüchtes, über das alle sprechen, über das aber niemand etwas Genaues weiß? Vater hat sogar mir gegenüber nichts rausgerückt. Aber er sprach davon, dass ein Auftrag auf dich wartet, der sich mit deinem letzten Fall durchaus messen könnte. Du bleibst also länger in Rom?“

      „Sieht ganz danach aus.“

      „Treffen wir uns doch in Harry’s Bar auf der Via Veneto. Ich laufe dort um zehn Uhr ein.“

      „Nachts?“

      „Ja, was denkst du denn?“

      „Mal sehen, ob es passt.“

      „Sei kein Berlusconi“, erwiderte Estefania. Es war in ihren Kreisen die größtmögliche Beleidigung. Berlusconi war für sie der Inbegriff des Parvenüs. Ich bekam dazu einen Augenaufschlag, der mir das Paradies verhieß. Estefania war darin eine Meisterin. Spencer knurrte.

      „Du hast ja immer noch den Köter.“

      Sie mochte meinen Hund nicht. Die Abneigung bestand gegenseitig. Er hatte ihr öfter mal auf die Pumps gepinkelt. Spencer konnte gemein sein. Sie nickte mir noch einmal hoheitsvoll zu und stieg die Freitreppe zu ihren fürstlichen Gemächern hoch. Sie machte ein unzufriedenes Gesicht.

      Ich ging zurück zur Via del Babuino. Obwohl es bereits zwölf Uhr war, herrschte immer noch viel Leben in den Straßen. Ich tippte die Geheimzahl in die Alarmanlage und die Haustür sprang auf. Ich nahm den Fahrstuhl. Er knarrte immer noch und signalisierte seine Altersschwäche. Er stammte noch aus der Zeit, als Caruso das „Ave Maria“ sang. Oben empfing mich Marcello Buardi. Er hatte ein paar Kilo zugelegt. Es stand ihm gut. Mit der Schönheit seiner Schwester hatte er ohnehin nichts gemein. Während Maja das Aussehen von ihrer Mutter geerbt hatte, war er ein Abbild seines Vaters, der durch seine Fülligkeit signalisierte, dass er ein hervorragender Pizzabäcker war. Marcello hatte etwas von Bud Spencer an sich. Nicht, dass er fett war. Er hatte an Muskelmasse zugelegt.

      „Übertreib nicht zu sehr! Wenn du so weitermachst, siehst du bald aus wie Arnold Schwarzenegger.“

      „Und du ähnelst immer mehr Bruce Willis.“

      Daran war kein Wort wahr.

      „Wie stehen die Geschäfte?“

      „Wir könnten einen dicken Auftrag gebrauchen. Im Moment begnügen wir uns mit Kleinvieh. Macht zwar auch Mist, aber wir werden den dritten Monat rote Zahlen schreiben. Warst du beim Fürsten? Kommt tatsächlich ein dicker Brocken auf uns zu, wie der Fürst andeutete?“

      Ich informierte ihn über die Sachlage.

      „Oha, das sieht nach einem großen Knochen aus.“

      „Richtig. Kümmere dich mal um Archivar Giuseppe Casardi. Leumund, Nachbarschaftsklatsch, Verwandtschaftsverhältnis, teure Leidenschaften etc.“

      „Hast du den bereits in Verdacht?“

      „Ach was! Aber mit irgendetwas müssen wir ja anfangen. Wie geht es Maja?“

      „Nicht so gut!“, sagte er und setzte seinen vorwurfsvollen Dackelblick auf. Aber sagen tat er nichts. Er hielt sich wirklich raus.

      „Bestelle ihr liebe Grüße.“

      „Komm nachher mit, dann kannst du ihr das selber sagen. Mutter und Vater würden sich freuen, dich wiederzusehen.“

      „Nein. Sie hat mich verlassen, nicht ich sie! Da muss erst mal von ihr ein Leuchtfeuer kommen.“

      „Maja hat recht. Du bist schwierig.“

      „Sie ist nicht weniger schwierig. Wo hast du mich einquartiert?“

      „Gegenüber in der Residenza Canova.“

      „Wunderbar. Dann habe ich keinen langen Weg vor mir.“

      Pünktlich fand ich mich am nächsten Mittag im Governatoratspalast ein. An dem Torbogen Cortile della Sentinella hatte ich mit der Schweizergarde keine Probleme. Man war bereits informiert worden. Der Palast war rein äußerlich nicht ganz so prächtig wie der Amtssitz des italienischen Staatspräsidenten, aber im Innern übertraf er ihn bei Weitem. Sämtliche Renaissancemaler gaben sich hier ein Stelldichein. Ich hätte gern mehr Zeit gehabt, um die Bilder gebührend zu bewundern. Ich meldete mich im Vorzimmer des Kardinals Wischnewski. Sein Sekretär hätte auch auf dem Laufsteg einen guten Eindruck gemacht. Wischnewski empfing mich mit ausgebreiteten Armen, als wären wir schon seit langen Jahren gute Kumpels.

      „Schön. Ich mag pünktliche Menschen“, sagte er.

      Sein Zimmer war eine Bildergalerie. Ich kam aber auch hier nicht dazu, sie mir anzusehen.

      „Wir gehen gleich zum Kardinalstaatssekretär.“

      Er ging mir voran. Die Schätze an den Wänden wurden immer anspruchsvoller. Leonardo, Michelangelo, Botticelli und Raffael. Sein Vorzimmer war gleich mit zwei Sekretären bestückt. Selbstredend sahen auch sie aus, als hätte Raffael sie ausgesucht. Der Kardinalstaatssekretär empfing mich, als stünde mir auf der Stirn geschrieben, dass ich Protestant war.

      „Eminenz, darf ich Ihnen Serge Christiansen vorstellen?“

      Der Staatschef, denn dies besagte sein Titel, musterte mich kalt.

      „Der Mann aus Hamburg. Er ist uns nicht ganz unbekannt.“

      Die Größe seines Schreibtisches hätte auch dem Duce gefallen. Er war mit vielen Papieren überladen. Er gab mir die Hand. Wenn er geglaubt hatte, dass ich sie küssen würde, hatte er sich getäuscht. Er wies auf eine Sitzecke. Die rotbraunen Ledersessel passten farblich zu seiner Soutane. Er fragte, ob er etwas zu trinken kommen lassen solle. Ich entschied mich für ein Mineralwasser. Er nickte zustimmend und klingelte. Einer der Cherubine trat ein und nahm die Bestellung entgegen. Wischnewski sah aus wie Cary Grant und dieser Priester ähnelte Anthony Perkins. Den Kardinalstaatssekretär hatte Gott nicht mit körperlichen Vorzügen bedacht. Er war klein, schmächtig, hatte flinke Augen und ein gelbes, pergamentartiges Gesicht. Er schien Schwierigkeiten mit der Leber zu haben.

      „Sie sehen viel Arbeit!“, sagte er und wies auf seinen überladenen Schreibtisch. „Ich bin ja erst seit Kurzem im Amt. Sie haben, wie ich hörte, dem Vatikan unschätzbare Dienste erwiesen.“

      „Danke für die Blumen! Ich habe nur meine Arbeit getan“, wehrte ich bescheiden ab.

      „Ja. Lassen wir die traurige Geschichte um unseren armen Luciani. Kardinal Wischnewski hat Sie über die Bedeutung des vermissten Dokuments informiert?“

      Ich nickte. Wischnewski nickte.

      „Schön. Ich wollte Sie kennenlernen, denn einen Deutschen mit dieser Aufgabe zu betrauen, ist doch etwas …, sagen wir, ungewöhnlich.“

      Ich verstand ihn durchaus. Wir Deutschen galten im Vatikan als etwas schwierig und zu nachgiebig gegenüber dem Zeitgeist.

      „Ich bin auch in einer Stadt am Meer geboren“, sagte er nachdenklich. „Ich komme aus Genua. Den Menschen aus Hafenstädten sagt man nach, dass sie sehr weltoffen sind.“

      Ich korrigierte ihn nicht, dass Hamburg nicht am Meer, sondern


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