Seewölfe Paket 33. Fred McMason
Читать онлайн книгу.konnte es kaum erwarten, die Neuigkeiten unter das Decksvolk zu streuen. Was er da alles mitgekriegt hatte, war eine Ungeheuerlichkeit, und er würde schon dafür sorgen, daß es bald die Möwen von den Rahen pfiffen.
Als seine Ablösung dann endlich erfolgte, nahm ihn der Erste Offizier zur Seite und packte ihn am Arm.
„Ein Wort an das Decksvolk von dem, was hier gesprochen wurde, und ich lasse Ihnen zweihundert Hiebe verabreichen“, sagte er. „Wenn Sie die überleben, werden Sie zusätzlich gekielholt. Ab jetzt!“
Pergoza wandte sich wieder dem Alten zu, doch dessen Gesichtsausdruck war völlig abwesend. Er sah und hörte nichts, er starrte nur auf die silbrige Fläche des Wassers und wirkte, als sei er im Stehen gestorben. Nur seine durchsichtigen Hände mit den blauen Adern lagen wie die Krallen eines Geiers auf dem Handlauf, und an seiner linken Halsseite zuckte wild eine Ader.
Eine halbe Stunde verging, bis in Don Julio wieder das Leben zurückkehrte. Er sah um Jahre gealtert aus.
2.
Der Küstenverlauf hatte sich nicht geändert, und auch der Harmattan blies unverändert sein unangenehm trockenes Lied. Er blies in den Wanten und Pardunen und ließ sie schauerlich aufklingen, und er fuhr mit seinem wilden Geräusch den Männern in die Gesichter.
„Brasilien“, sagte Don Julio in die fast geisterhaft wirkende Stille hinein. Er sprach zu sich selbst und erwartete offensichtlich auch nicht, daß ihm jemand zuhörte. „Das könnte durchaus passen, dort würde ihnen niemand etwas tun, wahrhaftig nicht. Sie geben einen Teil der Beute an die Portugiesen ab und führen danach ein beschauliches Leben bis an ihr unseliges Ende.“
„Es ist nur eine abenteuerliche Annahme“, sagte Pergoza leise. „Sie muß ja nicht stimmen.“
Er hatte das Gefühl, als müsse er Don Julio Trost zusprechen, obwohl er Trost jetzt selbst bitter nötig hatte. Aber der Alte tat ihm auf irgendeine unerklärliche Art leid.
„Nein, sie muß nicht stimmen“, sagte Don Julio. „Ich muß jetzt jedoch eine Entscheidung treffen. Wir können nicht vor die spanische Admiralität hintreten und sagen: ‚Es tut uns außerordentlich leid, ihr ehrenwerten Señores, aber den Konvoi konnten wir nicht finden. Wir bedauern das zutiefst.‘ Nein, das geht nicht, das wäre wahnsinnig.“
„Was können wir dann tun, Don Julio?“
„Wir segeln zunächst nach Santa Cruz zurück.“ Der Alte, der Pergoza um mehr als Haupteslänge überragte, versuchte seine Schultern zu straffen, doch die Geste bewirkte, daß er nur noch schlapper und hinfälliger aussah. „Es gibt immerhin noch die eine Möglichkeit, daß sich wirklich alles als Irrtum herausstellt. In Santa Cruz werden wir mehr erfahren, da bin ich ganz sicher.“
„Dann bleiben wir auf dem Kurs?“
„Ja, natürlich.“
Die Gedanken der beiden Männer bewegten sich im Kreis. Don Julio grübelte verzweifelt über diese mehr als peinliche Sache nach, gelangte jedoch zu keinem brauchbaren Ergebnis. Er versuchte, die beiden Männer zu analysieren, die ihm die Geschichte mit dem Konvoi aufgetischt hatten, doch auch das brachte nichts ein.
Er kam einfach nicht weiter. Schon irgendwo auf dem Atlantik mußte sich die Spur des Konvois verloren haben. Die Annahme, die Kapitäne hätten sich abgesprochen und tatsächlich nach Brasilien abgesetzt, erschien ihm längst nicht mehr so abenteuerlich.
„Angenommen“, begann der Erste nach einer Weile, „wir erfahren auch in Santa Cruz nichts Neues. Wie soll es dann weitergehen, Don Julio?“
„Dann werde ich diese Halunken auf eigene Verantwortung jagen, ohne mir dazu die Erlaubnis in Spanien zu holen“, entgegnete der Kommandant entschlossen. „Wir können ohne die Schatzschiffe nicht mehr zurückkehren, das ließe mein Stolz nicht zu. Ich werde die südamerikanischen Küsten solange abfahren, bis wir eine Spur finden.“
Don Julio hieb wütend mit der Hand durch die Luft. „Ich glaube es trotzdem nicht“, fügte er störrisch hinzu. Aber das sagte er nur, um sich selbst zu beruhigen.
Wieder vergingen etliche Minuten in dumpfem Schweigen. Die Mannschaft war anders als sonst. Fast alle wirkten verkrampft oder ängstlich, denn kaum einer von ihnen wußte genau, was hier überhaupt vor sich ging.
Die wildesten Gerüchte wurden in Umlauf gesetzt. Die Mannschaft wurde allerdings auch nicht aufgeklärt. Was hier passiert war, ging nur die oberen Chargen etwas an.
Pergoza hatte alle Ausgucks doppelt besetzen lassen, und ihnen eingeschärft, auf alles zu achten, was irgendwie von der Norm abwich. Auch gesichtete Leute in Küstennähe sollten sofort gemeldet werden, selbst kleine Fischerboote waren davon nicht ausgenommen.
Noch am Vormittag dieses Tages wurden sie fündig. Einer der Ausgucks schrie sich die Kehle heiser.
„Masten Steuerbord voraus dicht unter Land!“ brüllte er.
Dieser Ruf riß den Alten schlagartig aus seinem lethargischen Zustand. Sofort ließ er sich ein Spektiv geben und blickte angespannt zu der angegebenen Stelle.
„Ich sehe nichts!“ rief er wütend und ungeduldig.
Pergoza sah auch noch nichts, denn der Ausblick, den die Männer da oben hatten, war wesentlich weitflächiger und größer.
Aber nach einer Viertelstunde entdeckte er ebenfalls die Masten eines Schiffes hinter einer Landzunge. Sie waren noch ganz dünn und kaum zu bemerken.
Seine Finger zitterten so stark, daß er das Spektiv kaum halten konnte. Das Bild verwackelte und verschwamm vor seinen Augen. Es dauerte lange, bis er die Masten wieder entdeckte.
Das Schiff selbst war nicht zu sehen. Eine Landzunge verbarg es vor seinen Blicken.
„Gefechtsbereitschaft anordnen, Señor Pergoza“, befahl er. „Kurs halten auf die Landzunge. Ich glaube, wir haben eine erste Spur, denn was bewegt eine Galeone, diesen öden Küstenstrich anzulaufen? Es muß eine Galeone sein, ich kann mir nichts anderes vorstellen.“
„Es muß so sein“, sagte der Erste zögernd. „Vermutlich ist es nur ein Portugiese.“
„Ein Portugiese soll mir auch recht sein“, knurrte Don Julio. Er mußte seinen Zorn und seine riesengroße Enttäuschung abreagieren. Aber dieses Schiff wollte er sich genau ansehen.
Das Schiff, das hinter der Landzunge lag, war die „Isabella“, die zur Zeit der Franzose Jean Ribault befehligte. Sie hatten fünf Dutzend Sklaven an Bord, die ihnen der Kapitän der Kriegsgaleone „Aguila“ regelrecht aufgedrängt hatte.
Bei Nacht und Nebel war Ribault auf Gegenkurs gegangen, nachdem er versprochen hatte, die schwarzen Sklaven nach Spanien zu bringen. Dadurch waren sie den recht aufdringlichen Kapitän César Garcia erst mal los, der ihnen eine Menge Ärger und Scherereien bereitet hatte und dessen Neugier schon fast penetrant war.
Natürlich dachte niemand im Traum daran, die Sklaven nach Spanien zu bringen. Hasard hatte sich mit Jean dahingehend beraten, daß die Schwarzen wieder in ihre Heimat zurückgebracht werden sollten, aber das durften wiederum die Kapitäne des Konvois nicht wissen.
Ribault hatte von der Schebecke zusätzlich sechs Arwenacks übernommen und war dann angeblich schon vorausgesegelt, in Wirklichkeit aber heimlich nach Süden abgelaufen, wo er die mauretanische Küste ansteuern wollte.
Nicht alles hatte geklappt, denn unter den Schwarzen war Aufruhr ausgebrochen. Keiner der Sklaven hatte glauben wollen, daß man sie in ihre Heimat zurückbrachte, und so hatten sich die Mißverständnisse auf der „Isabella“ gehäuft, bis schließlich alles ein gutes Ende gefunden hatte.
Die Sklaven befanden sich noch an Bord, denn vor ein paar Minuten war ein riesiger Dreidecker mit vier Masten von Jonny gemeldet worden.
Ribault war verblüfft, als er die „Casco de la Cruz“ erkannte, die von den Kapverden herauftörnte.
Der