NOVA Science-Fiction 29. Cory Doctorow

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NOVA Science-Fiction 29 - Cory Doctorow


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Das mein echtes Antlitz unter sich begraben hatte. Es war gar nicht so schwer. Ich durfte mich nur nicht bewegen. Meine Bewegungen waren so … schwerfällig geworden. Ich – merkte, dass Hein recht hatte. Es war mein Körper, mein naturgegebener Körper, der mich gegen meinen Willen veränderte …

      Außerhalb existieren Kolonien, manche sagen, ganze Länder, die sich gegen die Transplantation entschieden haben, wo es noch Generationen gibt. Phil hatte im Prozess alle Schuld übernommen. Viele forderten für ihn die Todesstrafe, als Rädelsführer. Leute, die wegen der plötzlichen Knappheit – damals gab es noch keinen Leerkörperüberschuss wie heute, keine älteren Leeren, die als Notkörper dienen konnten – Menschen verloren hatten. Kranke Verwandte, Partner – damals glaubte man ja noch, diese Dinge würden über die Transplantationen hinaus bestehen. Nun ja, manchmal stimmte es wohl auch …

      Die Rechts-KI wies damals darauf hin, dass die Todesstrafe vor langer Zeit abgeschafft worden war und empfahl, Phil zu verbannen. Der Vorschlag wurde angenommen, wobei viele murrten. Mit ihm gingen die meisten aus unserer Gruppe. Meine Beteiligung blieb mein Geheimnis. Er verriet niemanden. Gruppenmitglieder, die die Polizei nicht verhaftet hatte, meldeten sich entweder aus freiem Willen und zogen mit ihm fort oder sie blieben unerkannt und unverfolgt, unbelastet zurück. Wie ich.

      Phil und die anderen sollen irgendwo in der Außenwelt eine Stadt oder einen Staat gegründet haben. Wäre ich dort glücklicher? Würde ich dort … zufrieden, selig sterben, nach einem erfüllten Leben? Ich weiß es nicht … Dort werden noch Kinder geboren. Dort verwelken die Körper noch. Würde die Sorge für die Kinder, für das Ganze, mir das Alter erleichtern? Phil meinte, das wäre so, weil die Menschheit wichtiger ist, die Evolution. Das Individuum sei nur, auf wundervolle Weise, ein Funken, eine Explosion. Und diese Explosion feiere man, indem man die Generationenfolge über sich stelle. Die Sorge für die Kinder, die Kranken, die Alten. Die Bedürftigen. Auch wenn das nur die »praktische Seite der Wahrheit« sei, wie er meinte. Er sagte, die Menschheit als Ganzes, das Leben, habe ein eigenes Bewusstsein, über dem unseren, an das keine KI je herankäme. Aber ich eben auch nicht …

      Damals liebte ich Phil. Ich wollte für ihn der Preis sein, den die Welt, die Natur ihm schenkt, für seine Mühen, sein Engagement. Aber … Das Erlebnis in der Zuchtfarm, mit diesen jungen Leeren, änderte alles. Phil hatte viele Kinder, von verschiedenen Frauen. Ich wollte fast nie Kinder haben, nach meiner ungewollten Schwangerschaft, damals – auch wenn es sicher in jedem Leben Momente gibt, in dem man sich die Standarddinge wünscht. Ich musste lachen.

      Der Fortpflanzungsstandard existierte bei uns ja ohnehin nicht mehr. Die Kassenmodelle waren seit jeher steril. Konnte man sich überhaupt ein fruchtbares Sondermodell kaufen?

      Ich hatte länger nicht mehr an Jahn gedacht. Ihn lernte ich kurz nach meinem Bruch mit den »Freunden des Zyklus« kennen, während Phils Verhandlung. Er war einfach da. Plötzlich, irgendwo, mit seinem schiefen Lächeln. Wir trafen uns eine Weile, redeten die Tage und Nächte durch. Ich erzählte ihm alles. Er hörte zu. Fand Phils Meinungen …

      Er fand sie, glaube ich, dumm. »Das ist kurz gedacht«, sagte er oft. Und dann argumentierte er. Langsam. Schmerzhaft detailliert. Ich verteidigte Phil immer wieder, aber auch mit Zweifeln im Herzen. Jahn meinte, die »Beleidigung durch die Sterblichkeit« wäre eine Art … Droge für das menschliche Bewusstsein. Er, sagte er, umarmt die Möglichkeit … zu existieren. Dauerhaft. Für ihn war das einzige Argument gegen die Transplantation das Problem der fraglichen Identität. Ist eine Person in einem neuen Körper noch identisch mit sich selbst?

      Die Frage, sagte er, sei gut; aber bleiben wir im Laufe der Jahre wir selbst? Verändert sich der Hormonhaushalt nicht? Was ist mit den nicht gleichbleibenden Erfahrungsmöglichkeiten? Manchmal sagte Jahn einfach Gemeinplätze vor sich her, wie »Die Welt ist nicht ideal«. Ich erinnere mich. Direkt danach meinte er: »Die Zyklusfreunde haben aber wohl das Bedürfnis, sie als ideal anzunehmen – da sie korrekt angepasst sein wollen.« Ich verstand, was er meinte. Phil und die anderen waren Kinder, die an ihre Menschheit glauben wollten. Ihre Heimat.

      Jahn dachte weiter. Er redete mit mir über die Zukunft, hypothetisierte. Sollten die Körper dauerhafter sein? Wie wäre es, wenn man sich in einen künstlich-technischen Bewusstseinsträger verpflanzen könnte – wäre es besser, könnte das Gehirn ersetzt werden, als Träger? Jahn, er war etwa in meinem Alter, hätte sich sicher für die Transplantation entschieden, hatte es sicher schon getan. Doch die Option wurde ihm genommen. Ich sah in ihm fast einen neuen Partner. Er half mir, mich von Phils Ideologie abzuwenden, aber dann …

      Der Unfall war brutal, unerwartet. Nichts blieb von seinem Körper übrig, es war keine Nottransplantation möglich. Von allen Menschen, die ich kannte, war Jahn vielleicht der, der am … hellsten leuchtete, am meisten leben wollte. Ihn hatte ein sinnloser Zufall vernichtet, einer dieser kaum mehr vorkommenden Unfälle. Vielleicht war es auch die Kürze unserer Begegnung, wegen der ich ihn als so eigen empfand.

      Danach suchte ich … den Alltag. Ich hatte mich für das Bleiben entschieden, dagegen, Phil zu folgen. Ich verpartnerte mich mit einem guten Mann, der keine Veränderung suchte. Wir hatten eine erfüllte gemeinsame Zeit. Er starb, es ist nicht lange her, ohne Gegenwehr, weil er … nicht mehr wollte. Er. Er war wirklich der letzte Jungmann gewesen. Und nun? Ich hatte mich an ihn gewöhnt. Er fehlte mir. Sollte ich ihm folgen? War er mein »richtiger« Todfreund?

      Ich ließ die Schaukel leicht drehen, etwas nach rechts, etwas nach links. War das wirklich, wie ich mein Leben empfand, darüber nachdachte? Als Abfolge von bedeutungsschwangeren Partnerschaften? Als Teilmenge eines Ganzen, das ich mit einer anderen Entität, Person oder Generation, teilte? In deren Dienst ich mich erfüllte? Nein. Bedeuteten diese Partner eher meine … Verbindung zur Umwelt? Wie, ursprünglich, die Eltern? Und wie erlebten Eltern das? Ich hielt die Drehbewegungen an. Das ganze Gedenke nervte. Ich wollte nicht über andere mit dem Leben verbunden sein, sondern … ich sein? Im Moment sein? Eine andere sein?

      Ich sah eine Passantin kommen. Der Körper war ein Sondermodell, das auf einer historischen Schauspielerin beruhte. Sie trug ein rotes Kleid, wiegte sich beim Gehen in den Hüften, lächelte unbekümmert. Zog vorbei. Was sollte ich tun? Ich dachte an das männliche Kassenmodell in Heins Schaustall. An das leere Gesicht. Das könnte mein Körper sein. Ich wäre … aktiv. Dürfte es, könnte es, wieder, sein. Ich würde ihr nachlaufen können, eine Dummheit sagen. Wir könnten uns unterhalten, vielleicht nur das, einen Kaffee trinken. Uns verabschieden. Vielleicht aber auch …

      Wie würden sich Berührungen anfühlen? Mit dem neuen Körper, für den, wie Hein gesagt hatte, Berührungen intensiver waren, einen oft einfach … glücklich machten? »In den Moment rissen«? War ich darauf neugierig? »Wir sind nicht mehr unsere Körper. Und interessieren uns jetzt … mehr für unsere Körper. Ergab das Sinn? Es ist eine andere … Kommunikation. Denk darüber nach«, hatte Hein gesagt, zum Abschied, als ich mir Bedenkzeit nahm. Dabei wischte er die Büroblumen feucht ab. Ich konnte mir vorstellen, wie er das schon damals, in seiner Rentnerbude, getan hatte – eine alte Angewohnheit?

      Er würde in etwa einer Stunde nach Hause gehen, aber natürlich könnte ich mich auch direkt an seine Assistentin wenden. Ich lächelte, als ich an das Retrointerface dachte. Ist die Darstellung auch aktiv, wenn Hein nicht im Büro ist, oder würde ich direkt an die Zentralverwaltung durchgestellt, an die körperlose KI? Mir standen alle Möglichkeiten offen. Ich rieb mir über den Bauch, der unter meinen Händen nachgab, über meine verbrauchten Organe wellte. Über mich? Dann schwang ich die Beine, holte Schwung, flog höher, immer höher, das Gesicht zur Sonne.

Chris Schlicht

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