Ihr Kampf. Eva Kienholz

Читать онлайн книгу.

Ihr Kampf - Eva Kienholz


Скачать книгу
sie sogar ein Referat vor Flügel-Freunden im inzwischen vom Verfassungsschutz beobachteten »Institut für Staatspolitik« von Götz Kubitschek. Ihr Thema: »Politik in Berlin«. Am Ende ihrer knapp einstündigen Rede machte sich Weidel beim Publikum beliebt: »Die damaligen Faschisten sind die heutigen Antifaschisten.« Mit radikalen Äußerungen lässt es sich an der rechten Flanke eben am besten punkten. Das kann man besonders gut bei Reden auf AfD-Parteitagen erkennen: Je heftiger und deftiger die Sprache, desto mehr Applaus und Standing Ovations sind bei den Delegierten aus dem Höcke-Lager zu erwarten.

      Auch Parteichef Meuthen, der sich gerne gemäßigt gibt, hat jahrelang das Kyffhäusertreffen besucht, dort sogar Reden gehalten. Nur im Sommer 2019 blieb Meuthen dem Treffen fern. Ein paar Monate zuvor hatte er zum Auftakt des Landesparteitags in Baden-Württemberg von »einigen komplett rücksichtslosen Radikalen« gesprochen – der Flügel verstand das als Kampfansage. Dabei dürfte Meuthen wohl gewusst haben, dass er ohne die Gunst der Radikalen nicht mehr sicher auf seinem Stuhl als Parteichef sitzen würde. Dem Flügel wiederum dürfte klar gewesen sein, dass er Kader wie Meuthen braucht, um anschlussfähiger zu wirken. Allerdings dürfte 2019 noch niemand sicher gewusst haben, dass aus den einstigen Verbündeten echte Feinde werden würden.

      Wie alles begann

      Um die »Alternative für Deutschland« noch alternativer auszurichten, initiierten Björn Höcke und André Poggenburg, damaliger AfD-Chef von Sachsen-Anhalt, die »Erfurter Resolution«. Diese wurde am 14. März 2015 auf dem thüringischen Landesparteitag von Höcke vorgestellt und von den Mitgliedern verabschiedet. Auch wenn sie später als »Gründungsurkunde« des Flügels bezeichnet wurde, so bestand im März 2015 noch kein direkter Bezug zu der gerade gegründeten Gruppierung.

      Die Erfurter Resolution stellte bei ihrer Verkündung schlichtweg ein Gegengewicht zur Politik von Parteichef Bernd Lucke dar, die vielen zu »mainstreamig« geworden war. Zwar gehörten zahlreiche Erstunterzeichner bis zuletzt dem Flügel an, aber es gab auch AfD-Politiker, die die Erfurter Resolution nur unterschrieben, um damit ein Zeichen gegen die Politik Luckes zu setzen – wie etwa der Brandenburger Landtagsabgeordnete Steffen Königer. Im Sommer 2017 schloss er sich gar der »Alternativen Mitte«, der Gegenbewegung zum Flügel, an – und wurde 2018 als Mitglied des Bundesvorstands mehr oder minder aus der Partei gemobbt. Er und ein weiterer AfD-Aussteiger werden später zu Wort kommen.

      Zwar hatte der Flügel im März 2015 auf seiner neu registrierten Website begonnen, Unterzeichnerlisten der Erfurter Resolution aus verschiedenen Bundesländern zu veröffentlichen, nahm diese aber wenig später wieder aus dem Netz. Bis zuletzt fanden sich lediglich 19 Erstunterzeichner auf der Website. Alexander Gauland hingegen wurde darauf nicht aufgeführt, obwohl er auch einer der Erstunterzeichner der Resolution war. Womöglich aus taktischen Gründen: Gauland galt lange als Vermittler zwischen Gemäßigten und Flügelisten. Als Parteigrande gelang es ihm, den Flügel innerhalb der AfD salonfähig zu machen. Während er Höcke in der Mitte der Partei verortete, sagte er im ARD-Sommerinterview 2019 über Kalbitz: »Er macht es gut, und er ist ein bürgerlicher Mensch. Ich kann nichts Rechtsextremes in ihm finden.« Kurz zuvor hatte Kalbitz zugegeben, 2007 nach Athen gereist zu sein, um an einem Neonazi-Aufmarsch teilzunehmen.

      Zwei Jahre später gesellte sich zur Erfurter Resolution noch das »Kyffhäuser-Manifest«, das als Aufruf zur Einigkeit der Partei beworben wurde: »Wir verteidigen die Einheit der AfD gegen Spaltungsversuche von innen und außen, denn das ist die größte Gefahr: daß wir uns auseinanderreißen lassen. Gewonnen hätte dann nur einer: der politische Gegner.« Dass die beiden Positionspapiere 2015 und 2017 entstanden sind, dürfte kein Zufall sein. In diesen Jahren fanden im Vorfeld von Parteitagen massive innerparteiliche Machtkämpfe statt, die schließlich zur Spaltung führten. Erst wurde Bernd Lucke gestürzt, dann dessen Nachfolgerin Frauke Petry. Und jedes Mal gingen die Anhänger des Flügels als Gewinner hervor.

      Warum der Flügel gegründet wurde, ist der Erfurter Resolution zu entnehmen. Darin wird vor allem der damalige Kurs des Parteigründers Lucke kritisiert: »Die Bürger haben uns gewählt, weil sie hoffen, daß wir anders sind als die etablierten Parteien: demokratischer, patriotischer, mutiger. Anstatt nun jedoch die Alternative zu bieten, die wir versprochen haben, passen wir uns ohne Not mehr und mehr dem etablierten Politikbetrieb an: dem Technokratentum, der Feigheit und dem Verrat an den Interessen unseres Landes.« Der Flügel wollte eine Alternative in der Alternative sein – allein dieser Ansatz klingt nach Spaltung.

      Wer die Resolution unterzeichnete, forderte demnach eine AfD, die sich »als Bewegung unseres Volkes gegen die Gesellschaftsexperimente der letzten Jahrzehnte (Gender Mainstreaming, Multikulturalismus, Erziehungsbeliebigkeit usf.)« aufstellt, als »Widerstandsbewegung gegen die weitere Aushöhlung der Souveränität und der Identität Deutschlands« agiert – und sich dabei nicht von »bürgerlichen Protestbewegungen« wie etwa Pegida fernhält. Vielmehr sollte sich die AfD zu einer »grundsätzlichen politischen Wende in Deutschland« bekennen.

      Ein anderes Land

      Es ist nicht ganz einfach, eine genaue Vorstellung davon zu bekommen, welches Deutschland Höcke, Kalbitz und Co. wollen, was vor allem daran liegt, dass sie zwar die Vision eines völkisch organisierten Landes ohne Einwanderung und mit straffen traditionellen Werten entwerfen, sich aber aus taktischen Gründen bedeckt halten, wenn es um die Frage geht, wie genau sie diese Vision durchsetzen wollen. Einen Einblick liefert Höcke in seinem Buch Nie zweimal in denselben Fluss. Darin redet er von einer Politik der »wohltemperierten Grausamkeit«, die notwendig sei, um ein »großangelegtes Remigrationsprojekt« durchzusetzen, und von einer »zentralen Führungsfigur«, mit der die AfD in einer Epoche an die Macht kommen soll, die Höcke als »Wendezeit« bezeichnet. »Wenn einmal die Wendezeit gekommen ist, dann machen wir Deutschen keine halben Sachen. Dann werden die Schutthalden der Moderne beseitigt, denn die größten Probleme von heute sind ihr anzulasten.«

      Ein Unterschied zwischen den Positionen der gemäßigten und der radikalen AfD-Mitglieder ist bisweilen schwer zu erkennen. Doch es scheint oft so, als würden viele Gemäßigte den Inhalten der Radikalen zustimmen – nur in einem moderateren Ton, um ja nicht die bürgerlich-konservative Wählerschaft zu vergraulen. Ohnehin soll hier nicht der Eindruck entstehen, gemäßigtere AfD-Parteigänger seien im Gegensatz zum Flügel »die Guten«. Jeder, der als Politiker, als Mitglied, als Wähler oder als Sympathisant die heutige AfD unterstützt, steht hinter einem völkischen und in Teilen rechtsextremen Denken, das sich gegen ein liberales Weltbild richtet.

      Feststeht, dass der Flügel den politischen Diskurs entschieden nach rechts verschoben hat, sowohl in der AfD als auch in Deutschland insgesamt. Haben nach der Parteigründung 2013 noch die Aussagen eines Bernd Lucke für Empörungswellen getaugt, so wirken sie neben Sätzen von Kalbitz, Höcke oder anderen Radikalen der Partei heute fast schon schulbubenhaft. So warnte etwa die Flügel-Anhängerin Christina Baum vor einem »schleichenden Genozid« an den Deutschen, während Jens Maier, Flügel-Anhänger und Höcke-Verehrer, gegen eine »Herstellung von Mischvölkern, um die nationalen Identitäten auszulöschen«, wetterte. Damit fährt der ehemalige Richter am Dresdner Landgericht komplett auf einer Spur mit der NPD.

      Ausgerechnet Maier, der sich selbst gerne »kleiner Höcke« nennt und schon oft wegen rassistischer Äußerungen aufgefallen ist, wurde im Januar 2019 von Höcke persönlich zum Flügel-Obmann in Sachsen ernannt. Maiers verbale Ausfälle sind nicht gerade selten. Ein Jahr vor seiner Ernennung zum Obmann wurde von seinem Twitter-Account ein Sohn von Boris Becker als »Halbneger« bezeichnet. Darüber hinaus soll Maier Anfang 2018 Verena Hartmann, die inzwischen die AfD verlassen hat, in einer Sitzung gedroht haben: »Wir machen dich fertig!« Für den norwegischen Attentäter Anders Breivik fand der Abgeordnete hingegen verständnisvollere Worte. Maier erklärte 2017 bei einer Veranstaltung des verschwörungstheoretischen Magazins Compact, dass Breivik »aus Verzweiflung heraus« zum Massenmörder geworden sei.

      Der Flügel agierte aber nicht nur mit Worten. Als beispielsweise 2018 Daniel H. in Chemnitz mutmaßlich von Asylbewerbern erstochen wurde, organisierten die AfD-Landesverbände von Thüringen, Sachsen und Brandenburg mit ihren jeweiligen Vorsitzenden Björn Höcke, Jörg Urban und Andreas Kalbitz einen »Trauermarsch« durch die Stadt, bei dem die Flügel-Politiker wie selbstverständlich mit Pegida-Anhängern und gewaltbereiten Neonazis marschierten,


Скачать книгу