Caspar Hauser. Jakob Wassermann

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Caspar Hauser - Jakob Wassermann


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(Studien und Aufsätze, 1921)

       Sturreganz (Erzählung, 1922)

       Ulrike Woytich (Roman, 1923)

       Faber, oder die verlorenen Jahre (Roman, 1924)

       Laudin und die Seinen (Roman, 1925)

       Der Aufruhr um den Junker Ernst (Novelle, 1926)

       Das Gold von Caxamalca (Erzählung, 1928)

       Christoph Columbus, eine Biographie (1929)

       Selbstbetrachtungen. 1931

       Engelhart Ratgeber

       Der Fall Maurizius (1928)

       Etzel Andergast (1931)

       Joseph Kerkhovens dritte Existenz (1934)

      Caspar Hauser

       Es ist noch dieselbe Sonne

       die derselben Erde lacht;

       aus demselben Schleim und Blute

       sind Gott, Mann und Kind gemacht.

       Nichts geblieben, nichts geschwunden,

       alles jung und alles alt,

       Tod und Leben sind verbunden,

       zum Symbol wird die Gestalt.

      Erster Teil

      Der fremde Jüngling

      In den ersten Sommertagen des Jahres 1828 liefen in Nürnberg sonderbare Gerüchte über einen Menschen, der im Vestnerturm auf der Burg in Gewahrsam gehalten wurde und der sowohl der Behörde wie den ihn beobachtenden Privatpersonen täglich mehr zu staunen gab.

      Es war ein Jüngling von ungefähr siebzehn Jahren. Niemand wußte, woher er kam. Er selbst vermochte keine Auskunft darüber zu erteilen, denn er war der Sprache nicht mächtiger als ein zweijähriges Kind; nur wenige Worte konnte er deutlich aussprechen, und diese wiederholte er immer wieder mit lallender Zunge, bald klagend, bald freudig, als wenn kein Sinn dahintersteckte und sie nur unverstandene Zeichen seiner Angst oder seiner Lust wären. Auch sein Gang glich dem eines Kindes, das gerade die ersten Schritte erlernt hat: nicht mit der Ferse berührte er zuerst den Boden, sondern trat schwerfällig und vorsichtig mit dem ganzen Fuße auf.

      Die Nürnberger sind ein neugieriges Volk. Jeden Tag wanderten Hunderte den Burgberg hinauf und erklommen die zweiundneunzig Stufen des finstern alten Turmes, um den Fremdling zu sehen. In die halbverdunkelte Kammer zu treten, wo der Gefangene weilte, war untersagt, und so erblickten ihre dicht gedrängten Scharen von der Schwelle aus das wunderliche Menschenwesen, das in der entferntesten Ecke des Raumes kauerte und meist mit einem kleinen weißen Holzpferdchen spielte, das es zufällig bei den Kindern des Wärters gesehen und das man ihm, gerührt von dem unbeholfenen Stammeln seines Verlangens, geschenkt hatte. Seine Augen schienen das Licht nicht erfassen zu können; er hatte offenbar Furcht vor der Bewegung seines eignen Körpers, und wenn er seine Hände zum Tasten erhob, war es, als ob ihm die Luft dabei einen rätselhaften Widerstand entgegensetzte.

      Welch ein armseliges Ding, sagten die Leute; viele waren der Ansicht, daß man eine neue Spezies entdeckt habe, eine Art Höhlenmensch etwa, und unter den berichteten Seltsamkeiten war nicht die geringste die, daß der Knabe jede andre Nahrung als Wasser und Brot mit Abscheu zurückwies.

      Nach und nach wurden die einzelnen Umstände, unter denen der Fremdling aufgetaucht war, allgemein bekannt. Am Pfingstmontag gegen die fünfte Nachmittagsstunde war er plötzlich auf dem Unschlittplatz, unweit vom Neuen Tor, gestanden, hatte eine Weile verstört um sich geschaut und war dann dem zufällig des Weges kommenden Schuster Weikmann geradezu in die Arme getaumelt. Seine bebenden Finger wiesen einen Brief mit der Adresse des Rittmeisters Wessenig vor, und da nun einige andre Personen hinzukamen, schleppte man ihn mit ziemlicher Mühe bis zum Haus des Rittmeisters. Dort fiel er erschöpft auf die Stufen, und durch die zerrissenen Stiefel sickerte Blut.

      Der Rittmeister kam erst um die Dämmerungsstunde heim, und seine Frau erzählte ihm, daß ein verhungerter und halbvertierter Bursche auf der Streu im Stall schlafe; zugleich übergab sie ihm den Brief, den der Rittmeister, nachdem er das Siegel erbrochen, mit größter Verwunderung einige Male durchlas; es war ein Schriftstück, ebenso humoristisch in einigen Punkten wie in andern von grausamer Deutlichkeit. Der Rittmeister begab sich in den Stall und ließ den Fremdling aufwecken, was mit vieler Anstrengung zustande gebracht wurde. Die militärisch gemessenen Fragen des Offiziers wurden von dem Knaben nicht oder nur mit sinnlosen Lauten beantwortet, und Herr von Wessenig entschied sich kurzerhand, den Zuläufer auf die Polizeiwachtstube bringen zu lassen.

      Auch dieses Unternehmen war mit Schwierigkeiten verknüpft, denn der Fremdling konnte kaum mehr gehen; Blutspuren bezeichneten seinen Weg; wie ein störrisches Kalb mußte er durch die Straßen gezogen werden, und die von den Feiertagsausflügen heimkehrenden Bürger hatten ihren Spaß an der Sache. »Was gibts denn?« fragten die, welche den ungewohnten Tumult nur aus der Ferne beobachteten. »Ei, sie führen einen betrunkenen Bauern«, lautete der Bescheid.

      Auf der Wachtstube bemühte sich der Aktuar umsonst, mit dem Häftling ein Verhör anzustellen; er lallte immer wieder dieselben halb blödsinnigen Worte vor sich hin, und Schimpfen und Drohen nutzte nichts. Als einer der Soldaten Licht anzündete geschah etwas Sonderbares. Der Knabe machte mit dem Oberkörper tanzbärenhaft hüpfende Bewegungen und griff mit den Händen in die, Kerzenflamme; aber als er dann die Brandwunde verspürte, fing er so zu weinen an, daß es allen durch Mark und Bein ging.

      Endlich hatte der Aktuar den Einfall, ihm ein Stück Papier und einen Bleistift vorzuhalten, danach griff der wunderliche Mensch, und malte mit kindisch-großen Buchstaben langsam den Namen Caspar Hauser. Hierauf wankte er in eine Ecke, brach förmlich zusammen und fiel in tiefen Schlaf.

      Weil Caspar Hauser, so wurde der Fremdling von nun ab genannt, bei seiner Ankunft in der Stadt bäurisch gekleidet war, nämlich mit einem Frack, von dem die Schöße abgeschnitten waren, einem roten Schlips und großen Schaftstiefeln, glaubte man zuerst, es mit einem Bauernsohn aus der Gegend zu tun zu haben, der auf irgendeine Weise vernachlässigt oder in der Entwicklung verkümmert war. Der erste, der dieser Meinung entschieden widersprach, war der Gefängniswärter auf dem Turm. »So sieht kein Bauer aus«, sagte er und deutete auf das wallende hellbraune Haar seines Häftlings, das etwas nicht ausdrückbar Unberührtes hatte und glänzend war wie das Fell von Tieren, die in Finsternis zu leben gewohnt sind. »Und diese feinen weißen Händchen und diese sammetweiche Haut und die dünnen Schläfen und die deutlichen blauen Adern zu beiden Seiten des Halses, wahrhaftig, er gleicht eher einem adligen Fräulein als einem Bauern.«

      »Nicht übel bemerkt«, meinte der Stadtgerichtsarzt, der in seinem zu Protokoll gegebenen Gutachten neben diesen Merkmalen die besondere Bildung der Knie und die hornhautlosen Fußsohlen des Gefangenen hervorhob. »So viel ist klar« hieß es am Schluß, »daß man es hier mit einem Menschen zu tun hat, der nichts von seinesgleichen ahnt, nicht ißt, nicht trinkt, nicht fühlt, nicht spricht wie andre der nichts von gestern, nichts von morgen weiß, die Zeit nicht begreift, sich selber nicht spürt.«

      Die hohe Polizeibehörde ließ sich durch ein solches Urteil nicht aus dem vorgesetzten Gang der Untersuchung lenken; es bestand der Verdacht, daß der Stadtgerichtsarzt durch seinen Freund, den Gymnasialprofessor Daumer, beeinflußt und zu diesen Überschwenglichkeiten verführt worden sei. Der Gefängniswärter Hill wurde beauftragt, den Fremdling insgeheim zu belauern. Er spähte oft durch das verborgene Loch in der Türe, wenn sich der Knabe allein wähnen mußte; aber es war immer derselbe traurige Ernst in den bald schlaffen und beklommenen, bald wie durch den Anblick eines unsichtbaren Furchtgebildes verzerrten und zerrissenen Zügen. Es war auch vergeblich,


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